Vor einem Jahr musste der VC Wiesbaden noch kurzfristig eine Spielerin abgeben, um die Lizenz zu sichern. Um nicht erneut in solche Nöte zu geraten, tritt der Klub die Flucht nach vorn an und steckt sich hohe Ziele.
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00:53 Min.|09.10.25|Martina Knief
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Der VC Wiesbaden hat grundlegende Veränderungen hinter sich gebracht. Nur eine Spielerin aus dem Kader der vergangenen Saison ist noch an Bord und hinter den Kulissen hat sich fast noch mehr getan. Um sich dauerhaft von finanziellen Schwierigkeiten zu befreien, hat sich der Klub deshalb bemerkenswert ambitionierte Ziele gesteckt.
„Play. Grow. Lead.“ Der Markenclaim des VC Wiesbaden ist an vielen Stellen auf der Website des Clubs zu finden. Auch ein Papier, das die strategische Neuausrichtung des Vereins erklärt, überschreibt der Verein mit diesen Schlagworten, die etwa so viel und wenig bedeuten wie „Spiele. Wachse. Führe.“
„VCW@2030“ hat der Klub die Langfriststrategie hinter dieser Umstrukturierung getauft. Ein Ziel sei es dabei, ein „Home for female Professionals“ zu werden „– auf und neben dem Court“. Auf den Positionen „Content-Creator*in“ und „Sport-Campaigning-Manager*in“ haben die Hessen auf dem Weg dorthin jedoch noch Bedarf ausgemacht und suchen nach geeignetem Personal. Der VCW hat keine Scheu davor, große Ziele auszurufen und die auch selbstbewusst zu benennen. Grundlegende Englischkenntnisse sollte allerdings mitbringen, wer da nicht den Überblick verlieren möchte.
Finanzprobleme und Sorgen um die Lizenz
Dabei war der Sound beim SCW in der jüngeren Vergangenheit noch ein ganz anderer. Finanzielle Probleme zogen einen nachträglichen Punktabzug in der Saison 2023/24 nach sich. Vor ziemlich genau einem Jahr musste sich der Klub sogar kurzfristig von Diagonalspielerin Anneclaire Ter Brugge trennen, um den Etat zu entlasten und die Lizenz zu sichern. Ein letzter Warnschuss. Kurz darauf verordnete sich der Klub ein umfangreiches Maßnahmenpaket, um die Geldprobleme endlich in den Griff zu bekommen.
Nun, ein gutes Jahr später, klingt vieles ganz anders. Der Vorsitzende Joachim Raczek verkündete im September, dass ein „nachhaltiger, stabiler und auskömmlicher“ Haushalt gesichert sei. Weiter gelte es aber, eine strenge Kostendisziplin einzuhalten. Gleichzeitig formuliert der Sportdirektor Ziele, die klingen wie ein Widerspruch zum Spardiktat. „Wir wollen darauf hinarbeiten, in den kommenden Jahren nationale Endspiele zu erreichen und bis 2030 die Qualifikation für die Champions League zu schaffen“, erklärte Benedikt Frank.
Die Wiesbadener versuchen sich an einem Spagat. Um wirtschaftlich wieder in die Spur zu kommen, stellte der Klub zwischenzeitlich auch den Verkauf der Namensrechte zur Diskussion. So weit kam es vorerst nicht. Stattdessen kam mit Thomas Utsch ein gut vernetzter Berater, der inzwischen als zweiter Geschäftsführer fungiert.
Geldgeber werden zu Gesellschaftern
Mit einem neuen Investor und bereits aktiven Sponsoren beschritt der Klub dann neue Wege. Acht Partner sind in den Kreis der Gesellschafter eingestiegen, bekamen im Gegenzug Anteile und Mitspracherecht. Die Mehrheit der Anteile an der Spielbetriebs-GmbH, in der die erste und zweite Damenmannschaft organisiert sind, verbleiben jedoch beim Stammverein, der damit in allen wichtigen Fragen das letzte Wort behält.
Um die Geldgeber von diesem Investment zu überzeugen, war es aber geradezu notwendig, in der Landeshauptstadt große Ziele auszurufen, argumentiert der VCW. „Es mussten Lösungen gefunden werden, die tragfähig sind und es uns möglich machen, in die Zukunft zu planen. Dabei haben wir gesagt: Es reicht nicht, nur zu sparen. Wir müssen uns auf den Weg machen, größer denken und an einigen Schrauben etwas mehr drehen“, erklärt Geschäftführer Christopher Fetting dem hr-sport.
Das sei nicht etwa vermessen, sondern sogar das gründliche Gegenteil: „Wenn wir keine ambitionierten Ziele ausgerufen hätten, wäre für einige das Investment nicht interessant. Wenn wir auf der Stelle treten, wer weiß, ob wir dann bald wieder in so eine Schieflage geraten wären“, sagt Fetting.
Nur eine Spielerin ist geblieben
Wer als Volleyballklub erfolgreich sein will, muss aber nicht nur in Marketing und Wirtschaft gute Noten haben, sondern vor allem in Sport. Beim eigentlichen Kerngeschäft muss Trainer Tigin Yağlioğlu einen Radikalumbruch moderieren. Mit Libera Rene Sain ist nur noch eine Spielerin aus dem Kader der vergangenen Saison an Bord geblieben.
„Insgesamt keine untypische Maßnahme“, findet Fetting. Im Volleyball werde nun mal häufig mit Ein-Jahres-Verträgen gearbeitet. Drei Spielerinnen beendeten zudem ihre Karriere, drei andere entschieden sich gegen ein Angebot zur Verlängerung. „Wir mussten einen Kader zusammensuchen, der zu unserer Vision passt, um jetzt einen gemeinsamen Weg einzuschlagen“, erklärt Fetting.
Bislang scheint das neu formierte Team gut zu harmonieren. „Die Mannschaft fühlt sich wohl, es gab schon gute Testspiele, aus denen wir wertvolle Erkenntnisse ziehen konnten“, sagt der Geschäftsführer. Am Samstag, 11. Oktober (17.15 Uhr) steht bei den Ladies in Black aus Aachen das erste Pflichtspiel der neuen Saison an.
Saisonziel: obere Tabellenhälfte
Die vergangene Spielzeit schlossen die Hessinnen auf Platz sechs ab und schieden in der ersten Playoff-Runde gegen Dresden aus. Obwohl die Bundesliga zwei zusätzliche Teams hinzubekommen hat, will Wiesbaden die Bilanz der letzten Runde übertreffen. „Wir sehen uns schon in der oberen Tabellenhälfte. Der Play-off-Einzug ist ein ganz klares Ziel“, sagt Fetting. Mittelfristig soll es dann wieder nach Europa gehen. Beim VC Wiesbaden heißt es: think big!