Nicht nur Leipzig steckt tief in der Haushaltsklemme. Prinzipiell laufen mittlerweile sämtliche sächsischen Landkreise und Kreisfreien Städte im Minus. Ein Minus, das sich selbst noch im laufenden Haushalt an unerwarteten Stellen erhöht. So ging es auch dem Landkreis Leipzig, der am 25. September eine Haushaltssperre für den Bereich Jugendhilfe verhängte. „Trotz positiver Entwicklungen in anderen Verwaltungsbereichen kann es passieren, dass die Kassenkredite des Landkreises aufgrund der zu niedrig angesetzten Zahlen aus dem Jugendamt überplanmäßig steigen“, warnte das Landratsamt am 25. September.

„Bisher war zu Ende 2026 von rund 80 Millionen Euro Kassenkrediten ausgegangen worden, der in der Haushaltssatzung festgelegte Höchstbetrag liegt bei 90 Millionen Euro. Auch, um die Kassenkredite nicht voll ausschöpfen zu müssen, wurde die haushaltswirtschaftliche Regelung für das Jugendamt getroffen“, betonte das Landratsamt.

„Der Kassenkredit ist ein kurzfristiges Finanzierungsinstrument, das dazu dient, temporäre Liquiditätsengpässe zu überbrücken, wenn Ausgaben und Einnahmen zeitlich auseinanderfallen. Es handelt sich dabei um eine Art kommunalen Überziehungskredit, der sicherstellt, dass laufende Verpflichtungen fristgerecht erfüllt werden können. Ein hoher Kassenkreditbestand bedeutet eine entsprechend hohe kurzfristige Verschuldung, verbunden mit einer eingeschränkten finanziellen Flexibilität und zusätzlichen Zinslasten für den Landkreis.“

Unerwartete Kostensteigerung im Jugendhilfebereich

Im Jugendhilfebereich war die Kostensteigerung schon deutlich: „Aktuelle Prognosen zeigen, dass das Jugendamt bis Ende 2025 einen zusätzlichen Zuschussbedarf von rund 16,3 Millionen Euro aufweisen wird. Das Budget erhöht sich damit von ursprünglich geplanten 64 Millionen Euro auf rund 80,3 Millionen Euro.“ Die Kosten stiegen dabei bei den Hilfen zur Erziehung genauso wie bei Eingliederungshilfen und Leistungen für Bildung und Teilhabe.

Was dann das Landratsamt zu seiner Entscheidung brachte: „Aufgrund zu erwartender erheblicher Budgetüberschreitungen hat die Finanzverwaltung des Landratsamtes eine haushaltswirtschaftliche Sperre für das Jugendamt verhängt. Die Maßnahme gilt voraussichtlich auch im 2. Haushaltsjahr des Doppelhaushaltes (2026) weiter. Betroffen sind neun Leistungsbereiche, in denen neue Bewilligungen und Folgeanträge nur noch nach ausführlicher Begründung und Freigabe durch die Amtsleitung möglich sind.“

Eine Entscheidung, die natürlich bei den betroffenen Einrichtungen für gelinde Aufregung sorgte. Denn ihre Aufgabenlast vermindert sich ja nicht einfach, wenn das Landratsamt eine Haushaltssperre verhängt. Mit einem Offenen Brief wendet sich die Arbeitsgemeinschaft freier Träger deshalb jetzt an die Öffentlichkeit.

Der Offene Brief

Offener Brief der Arbeitsgemeinschaft der freien Träger im Landkreis Leipzig zur verhängten Haushaltssperre im Jugendamt Landkreis Leipzig und den damit verbundenen Anordnungen und Erlassen

Sehr geehrter Herr Landrat Graichen,

Mit Bestürzung und Fassungslosigkeit haben alle freien Träger der Jugendhilfe am 22.09.2025 die Mitteilung über die Haushaltssperre im Jugendamt und deren Umsetzung erhalten. Die Leistungen des Jugendamtes werden massiv eingeschränkt und sind durch Kürzungen und restriktive Vorgaben unmittelbar betroffen.
Es sei in aller Deutlichkeit betont: In der Kinder- und Jugendhilfe existieren keine „freiwilligen Leistungen“.

Sämtliche unmittelbar betroffenen Angebote beruhen auf klaren Rechtsverpflichtungen. Der Landkreis Leipzig ist verpflichtet, seine Aufgaben nach dem Sozialgesetzbuch VIII und der Eingliederungshilfe zu erfüllen und trägt hierfür die Gesamtverantwortung – einschließlich Planungsverantwortung sowie der Sicherstellung, dass „Einrichtungen, Dienste und Veranstaltungen rechtzeitig und ausreichend zur Verfügung stehen“ (§ 79 SGB VIII i. V. m. § 27 SGB VIII). Das Kindeswohl steht unter dem besonderen Schutz der staatlichen Gemeinschaft (Art. 6 Abs. 2 GG). Präventive Hilfen sind Teil dieses Schutzauftrags.

Ihre Einschränkung ist nicht vereinbar mit den verfassungsrechtlich geschützten Rechten der Kinder. Dieser gesetzlichen Verpflichtung wird mit der verhängten Haushaltssperre und den erlassenen Einschränkungen nicht ausreichend nachgekommen.

Hilfen zur Erziehung sind präventive und unterstützende Maßnahmen. Ihr Ziel ist es, Kinder, Jugendliche und Familien rechtzeitig zu stärken und Krisen zu verhindern. Wenn Leistungen künftig nur noch bei akuter Gefährdung gewährt werden, verliert die Jugendhilfe ihre präventive Funktion. Dies hat zur Folge, dass Kinder und Familien mit erkennbarem Unterstützungsbedarf systematisch ausgeschlossen werden.

Aus sozialpädagogischer Sicht bewirkt dies: Eine Verengung des Schutzauftrags auf akute Notlagen, eine Verstärkung von Belastungen bei Kindern und Familien, bevor Hilfe einsetzt sowie eine systematische Gefährdung des Kindeswohls, da präventive Maßnahmen unterbleiben. Diese Situation erfüllt die Merkmale einer strukturellen Kindeswohlgefährdung, da das Risiko für Kinder nicht in Einzelfällen besteht, sondern durch die institutionelle Praxis des Jugendamtes verursacht wird.

Die bisherigen Entscheidungsprozesse, sowohl in den Fachdiensten des Jugendamtes als auch bei den leistungserbringenden Fachkräften der Träger, haben bisher zu einer bedarfsgerechten Wahrnehmung der Aufgaben geführt. Eine übertriebene Beauftragung von Leistungen oder eine ungerechtfertigte Fortführung von Leistungen konnten wir nicht feststellen.

Die nun faktisch verfügten Leistungskürzungen betreffen alle freien Träger im Landkreis. Die angekündigten Kürzungen drohen schon in Kürze zu Schließungen, zum Abbau von Strukturen und zur endgültigen Abwicklung essenzieller Pflichtleistungen des Jugendamtes im Landkreis Leipzig zu führen. Dies stellt eine manifeste strukturelle Kindeswohlgefährdung dar.

Freie Träger, deren Angebote derzeit unmittelbar von Kürzungen oder Schließungen bedroht sind, müssen angesichts der unsicheren Perspektive existenzielle Entscheidungen treffen: Setzen sie darauf, dass der Kreistag nachträglich zusätzliche Mittel bereitstellt? Oder beugen sie sich der Realität, dass sie mit bestehenden Mietverträgen, laufenden Fixkosten und Personalverpflichtungen allein gelassen werden? Schon jetzt kündigen viele freie Träger an, noch vor Weihnachten Arbeitsverhältnisse zu beenden. Zahlreiche Fachkräfte blicken mit wachsender Existenzangst und von Ungewissheit geprägter Perspektivlosigkeit in die Zukunft.

Dabei wird oft vergessen, dass auch Mitarbeitende in sozialen Berufen Familien zu versorgen haben. Sollte es im Frühjahr 2026 tatsächlich noch einmal Bewilligungen für die wenigen verbliebenen freien Träger geben, die die Krise überlebt haben, wird es vielerorts an Personal und Infrastruktur fehlen. Zurück bleiben dann Kinder, Jugendliche und Familien im Landkreis Leipzig – insbesondere jene, die ohnehin am dringendsten Unterstützung benötigen.

Gerade die Bedürftigsten sind wieder einmal die ersten, bei denen gespart wird. Das verstärkt Politikverdrossenheit, Ungerechtigkeitsempfinden und allgemeine gesellschaftliche Unzufriedenheit.

Es stellt sich die Frage:
• Wo werden die Einsparungen innerhalb des Jugendamtes selbst sichtbar?
• Wer trägt die Verantwortung für die eingetretene Situation? Doch sicher nicht die Leistungsempfänger wie Kinder und Familien?
• Wo bleiben die Einsparungen durch echten Bürokratieabbau und Digitalisierung? Stattdessen erleben wir das Gegenteil: Die Verwaltung erhöht, entgegen allen Empfehlungen, die bürokratischen Hürden im Antragswesen. Wo früher ein formloser Antrag genügte, um den Rechtsanspruch auf Hilfen zur Erziehung nach §27 SGB VIII geltend zu machen, sind nunmehr seitenlange Formulare und anamnestische Erhebungen erforderlich – mit dem Effekt, dass Kindern, Jugendlichen und Familien der Zugang zu dringend benötigten Hilfen erschwert wird.

Überdies liegt die letztinstanzliche Entscheidung nicht bei sozialpädagogisch geschultem Fachpersonal, sondern bei Mitarbeitenden der Wirtschaftsabteilung – ohne sozialpädagogische Qualifikation.

Die Verzögerung bei der Bearbeitung von Anträgen und die erheblichen Einschränkungen bei der Intensität der Hilfen wird nur sehr kurzfristig und kurzzeitig zu einer Kostenreduzierung führen. Mittelfristig ist mit einer steigenden Intensität und steigenden Kosten für den Bereich Jugendhilfe einschließlich der Schulbegleitung zu rechnen.

Neben den finanziellen Auswirkungen verweisen wir auf die Folgen der Reduzierung der Hilfedauern und -umfänge für die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen. Es reicht nicht aus, die neuen Fälle, die ausschließlich akute Fälle von Kindeswohlgefährdung sind, mit einem reduzierten Stundenumfang zu bewilligen – mit einem Hausbesuch pro Woche sind die vielschichtigen Problemlagen der Familien nicht zu bearbeiten und ist somit der Kinderschutz nicht zu gewährleisten.

Es ist wenig verwunderlich, dass sich bei ohnehin prekären Lebenslagen der betroffenen Familien Frustration und Resignation verstärken. Die Folgen sind absehbar: steigende Fallzahlen in der Jugendhilfe, zunehmende Kindeswohlgefährdungen, vermehrte stationäre Aufnahmen und Fremdunterbringungen.

Die drohenden Kürzungen in der Jugendhilfe müssen unbedingt abgewendet und bürokratische Hürden wieder abgebaut werden, um Eskalationen sozialer Konflikte im Landkreis Leipzig zu verhindern und die Einlösung gesetzlicher Ansprüche sicherzustellen. Wir appellieren mit Nachdruck: Wälzen Sie Planungsfehler und die Gesamtverantwortung nicht auf die betroffenen Kinder, Jugendlichen und Familien und auch nicht auf die freien Träger, Ihre Partner bei der Leistungserbringung, ab.

Die Arbeitsgemeinschaft der freien Träger im Landkreis Leipzig erklärt ihre fortdauernde Bereitschaft zu einem konstruktiven Dialog mit Politik und Verwaltung, um gemeinsam tragfähige Lösungen zu finden, die soziale Infrastruktur im Landkreis Leipzig zu sichern und nachhaltig zu entwickeln.

Mit freundlichen Grüßen

Die Träger der AGFTAHB Berlin Leipzig gGmbH
AWO Kreisverband Mulde-Collm e. V.
AWO Kita und ambulante Dienste GmbH
Bildungs- und Sozialwerk Muldental e. V.
BSW Kinder- und Jugendhilfe gGmbH
Bunte Feuer GmbH
Caritasverband Leipzig e. V.
CJD Sachsen e. V.
Columbus Junior e. V.
Deutscher Kinderschutzbund OV Leipzig e. V.
Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband LV Sachsen e. V.
Diakonie Leipziger Land e. V.
Diakonisches Werk Innere Mission Leipzig e. V.
DRK Jugendhilfe im Muldental GmbH
Evangelisches Schulzentrum Muldental e. V.
FAW gGmbH Akademie Leipzig
Förderverein für Jugendkultur und Zwischenmenschlichkeit e. V.
Internationaler Bund, IB Mitte gGmbH
Jugendhaus Leipzig e. V.
JuLei e. V.
Kinder- und Jugendring Landkreis Leipzig e. V.
Kinderarche Sachsen e. V.
Kinderheim „Forsthaus“ Seidewitz
Kinderheim Machern Gemeinnützige GmbH
Kindervereinigung Leipzig e. V.
Lebenshilfe Grimma e. V.
Lebenshilfe Grimma gemeinnützige GmbH
Lichtblick e. V.
Meta e. V.
Triade GbR
Volkssolidarität KV Borna e. V.
Volkssolidarität Leipzig-Wurzen e. V.
VS Leipziger Land / MTL e. V.
Wegweiser e. V.