Stand: 10.10.2025 17:38 Uhr

Als Kind einer ukrainisch-russisch-jüdischen Familie wuchs Daniel Donskoy in verschiedenen Ländern und Kulturen auf. Als Schauspieler, Musiker und Schriftsteller setzt er sich mit den Konflikten unserer Zeit auseinander, die auch seine Kunst prägen.

rbb: Herr Donskoy, in Ihrem ersten Roman setzen Sie sich unter anderem mit Ihrer russischen Identität auseinander und verarbeiten Ihre Erfahrungen während eines Drehs in Russland 2022. Was war das für ein Erlebnis?

Daniel Donskoy: Die ersten zwei Tagen waren faszinierend, sehr positiv aufgeladen. Dann habe ich zwei Wochen später gesehen, wie die Panzer an meinem Drehort vorbei Richtung Ukraine fahren, dem Land, wo meine Mutter geboren wurde. Das hat alle Faszination in Angst, Unsicherheit, und Verwirrung umgewandelt.

Auch der 7. Oktober und die darauffolgende Eskalation im Nahen Osten ereigneten sich während Ihres Schreibprozesses. Wie blicken Sie auf die vergangenen zwei Jahre zurück?

Ich habe angefangen zu schreiben, nachdem ich die Panzer in die Ukraine einrollen sah. Ich stand am 7. Oktober als Władysław Szpilman in „Der Pianist“ auf der Bühne, während ich mir nachts per Livestream die Gräueltaten angeschaut habe. Ich habe dann in einer Zeit weitergeschrieben, in der die Gesellschaft gesamtgesellschaftlich verhärtet ist, in der Antisemitismus leider wieder salonfähig geworden ist. Aber eigentlich geht es in dem Buch um die Liebe zum Leben. Deswegen waren die letzten zwei Jahre ein Balanceakt für mich: Meine Gefühle wahrzunehmen, auch beunruhigt die Gesellschaft und Israel zu beobachten – und in all dem aber nicht zu vergessen, dass ich dieses Buch schreibe.

Manchmal entsteht das Gefühl, es gäbe einen Bekenntniszwang zu gewissen Themen. Spüren Sie so einen Druck?

Ich verspüre keinen Druck, mich zu positionieren. Man hat das große Glück im Leben, dass man die Macht der Entscheidung hat. Menschen entscheiden sich, sich zu positionieren. Keiner zwingt dich. Ich positioniere mich schon so, dass ich sage, das Leid von Menschen ist unerträglich. Das gilt universell. Ich kann sagen, dass der 7. Oktober der tödlichste Tag für Jüdinnen und Juden seit dem Holocaust war. Ich kann genauso sagen, dass Zehntausende Menschen in Gaza ihr Leben verloren haben wegen dieses Krieges. Und das größte Problem der heutigen Zeit ist, dass beides nicht mehr geht. Das tut mir weh, dass man die Gleichzeitigkeit, die Ambivalenz nicht mehr aushält.

Russland und die Ukraine, Israel und Gaza. Bei Ihnen laufen viele Fäden zusammen. Empfinden Sie manchmal eine Art von Zerrissenheit?

Nein, ich fühle mich überhaupt nicht zerrissen, weil ich meinen Heimatpunkt nicht mehr geografisch ansetze. Ich bin multikulturell aufgewachsen. Das heißt, diese Sachen in ihren Einzelteilen fügen mich zusammen. Manchmal wünsche ich mir, dass die geopolitischen Konflikte dieser Zeit nicht komplett durch meine Adern gehen würden. Auf der anderen Seite hatte ich in meinem Leben die Möglichkeit, so viele Perspektiven zu erleben und sie auf sehr authentische Art und Weise teils nachfühlen zu können. Das macht mich zu einem Menschen, der sehr gerne beobachtet und anderen Perspektiven eröffnet. Ich darf als Kunstschaffender das alles in meine Kunst einfließen lassen, das ist ein riesiges Geschenk.

Wie viel Daniel Donskoy steckt in Ihrem Buch?

Ich habe mich an meinem Leben bedient, musste aber relativ schnell feststellen, dass ich da in eine Eitelkeit verfallen würde. Man will sich selbst nicht schlecht dastehen lassen, aber dein Protagonist muss die Möglichkeit haben, Sachen zu tun, die du nicht machen würdest. Deswegen war die Distanz im Schreiben schnell klar. Mein Protagonist ist auf jeden Fall verwirrt. Er kämpft darum, was ich schon durchgemacht habe. Ich gehe nicht morgens aus dem Haus und denke: „Oh Gott, wer bin ich denn heute?“ Ich fühle mich total wohl in meinem Körper und wo ich bin. Er hat es noch nicht geschafft, sein Fundament zu bauen, aber er ist gewillt zu lernen, multiperspektivisch zu denken, nicht alles an einem Ort erleben zu wollen.

Multiperspektivisch trifft auch auf Sie zu. Sie machen Musik, sind Schauspieler, Talkshow-Host und nun auch Schriftsteller. Sie sind schwer zu greifen.

Ich ziehe mir ungern einen Schuh an. Ich habe irgendwann gesagt, ich bin Künstler, was auch immer das bedeuten mag. Ich bin Geschichtenerzähler.

Sie leben in London, sind aber in Berlin aufgewachsen. Wie verbunden fühlen Sie sich eigentlich noch mit der Stadt?

Ich bin in Berlin sozialisiert worden, ich bin Berliner. Mit der Stadt verbinde ich meine Kindheit, einen Teil der Schule, später auch mein erstes Studium. Hier habe ich mich auch entschieden, nach London zu gehen. Aber vieles hier hat sich verändert – und zwar nicht zum Guten. Und trotzdem liebe ich die Stadt. Meine Großeltern leben hier. Ich verbinde mit dieser Stadt sehr viel und werde es auch für immer tun.

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Warum haben Sie Ihren Roman „Brennen“ genannt?

Erstens ist Feuer mein Lieblingselement. Es ist etwas, was man nicht fassen oder vorhersehen kann und doch kann es alles zerstören. Alles, was verbrennt, wird zu Asche. Diesen Kreislauf finde ich faszinierend. Außerdem waren die letzten Jahre durchzogen von tatsächlichen Feuern in meinem Leben: ein Studio, in dem ich gedreht habe, meine Wohnung hier in Berlin, dann die zwei Kriege. Deswegen fand ich „Brennen“ einfach einen passenden Titel.

Ist Ihr Buch ein Plädoyer für Ambivalenz und Gleichzeitigkeit?

Ich glaube, das Konkrete steckt in den letzten Sätzen des Buches. „Eine Geschichte muss nie abgeschlossen sein. Eine Geschichte braucht kein Ende.“ Und wenn man gewillt ist, die Liebe, die man im Leben mitbekommen hat, mitzuziehen, reicht das als Anker für alles. Das ist der Grundsatz des Buches.
 
Vielen Dank für das Gespräch.
 
Das Gespräch führte Max Burk für rbbKultur. Es handelt sich um eine redigierte und gekürzte Fassung.

Sendung: rbbKultur, 11.10.2025, 18:30 Uhr

Rundfunk Berlin-Brandenburg