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Selbstverständliches bemerkt man nicht. Der Luft zum Atmen widmet man keine tägliche Dankeshymne. Man sorgt sich nicht um sie, solange man sich nicht übel verschluckt und um sie ringen muss. Viele andere Selbstverständlichkeiten machen ein komfortables Leben möglich und halten die Maschinerie am Laufen, der wir es verdanken: zum Beispiel der stete Strom von Öl und Gas. Dass die nicht immer ungehindert durch die Pipelines rauschen, wissen wir mittlerweile aber nur zu gut. Als in den Siebzigerjahren die arabischen Produzenten erstmals die „Ölwaffe“ einsetzten und dem Westen den Hahn zudrehten, wuchs das Bewusstsein für die Abhängigkeit schlagartig. Auf viele verschiedene Lieferanten zu setzen, dämmt seither das Risiko ein. Aus möglichst zahlreichen Quellen gelangt auch das Gas zu uns, seit Putin Europa nicht mehr nur erpresst, sondern auch einen Angriffskrieg führt. Teure Winter waren das, als die Heizungsabrechnung kam, ein bisschen kalt in der Wohnung war es bei vielen auch. Aber das ist vorbei. Die Lage ist im Griff. Stimmt doch, oder?

Leider nicht. Einen freundlichen Hinweis darauf hat uns ein älterer Herr gegeben – schon vor mehr als drei Jahrzehnten, weit entfernt im Norden Chinas. Der Senior war angereist, um die Fortschritte in dem bitterarmen Riesenreich zu inspizieren, an dessen Spitze er stand: Deng Xiaoping hatte als Maos Nachfolger einen Schlussstrich unter den kruden Kommunismus gezogen, der nichts als Hunger, Armut und Terror gebracht hatte. Stattdessen sollte nun der Kapitalismus den Massen Wohlstand bringen und zugleich die Macht von Staat und Partei mehren. In Baotou, einer Stadt in der inneren Mongolei, wo reiche Rohstoffvorkommen zu finden sind, kommentierte Herr Deng den Aufbruch in die neue Zeit mit einem Satz, der bis heute nachhallt: „Der Nahe Osten hat Öl. Wir haben Seltene Erden.“

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Sobald man China und Seltene Erden in einem Satz erwähnt, werden westliche Wirtschaftsbosse und Politiker nervös. Blickt man zurück, ist das erstaunlich, denn Seltene Erden sind eine Mogelpackung, in der nicht drin ist, was draufsteht: Selten sind sie ganz und gar nicht, und Erden sind sie auch nicht, sondern Metalle. Rund um die Welt findet sich das Zeug, nicht bloß in der Nähe der kleinen Ortschaft bei Stockholm, wo sie zuerst entdeckt und für eine Rarität gehalten wurden. Ausgebeutet werden die Vorkommen jedoch mit besonderem Eifer in China, das sich als Billigproduzent über Jahrzehnte an die Weltspitze vorgearbeitet hat. Kein Wunder: Zimperlich ist man dort nie gewesen. Der Abbau und das Herauslösen der Metalle aus dem Erz sind eine ökologische Sauerei der Extraklasse. „Wie die Hölle auf Erden“ erschien einem Reporter die industrielle Landschaft Baotous, die Deng einst zu seiner Zukunftsvision inspirierte, die heute jedoch an einen stinkenden, radioaktiven Schlackesee grenzt.

Abbau Seltener Erden in Nordchina.Vergrößern des BildesAbbau Seltener Erden in Nordchina. (Quelle: imago images)

Im Dreck geboren werden hier die Stoffe, an denen westliche Industrien hängen wie ein Junkie an der Nadel. Dank ihrer elektromagnetischen und optischen Eigenschaften sind sie allgegenwärtig. Schwächliche Magneten, die man als Hufeisen noch aus der Schule kennt, wurden dank Seltener Erden von kleineren, aber enorm starken Magneten verdrängt, die in Elektromotoren und Dynamos zum Einsatz kommen. Winzige Lüfter rotieren und E-Autos fahren mit ihnen, in den Turbinen leistungsstarker Windräder stecken tonnenschwere Exemplare. Computerchips sind auf Seltene Erden angewiesen, Kampfjets ebenfalls. Sie werden gebraucht, damit unter den Meeren Daten durch Glasfaserkabel fließen und unsere Informationsgesellschaft nicht zum Stillstand kommt. Wenn man als Patient zu einer MRT-Untersuchung geht, stecken sie in den Magneten des Geräts oder landen als Bestandteil eines Kontrastmittels vorübergehend im eigenen Blut. Brennstoffzellen, medizinische Prothesen, Festplatten in Computern, Brennstäbe in Kernkraftwerken, Kopfhörer, Energiesparlampen … die Liste ist endlos. Deng Xiaoping hatte recht: Sie sind das neue Öl.

Verpackung Seltener Erden in China.Vergrößern des BildesVerpackung Seltener Erden in China. (Quelle: imago images)

Das chinesische Monopol als Lieferant ist beim Abbau der Rohstoffe gar nicht mal so krass: „Nur“ 70 Prozent der weltweiten Produktion wird im Reich der Mitte ausgebuddelt. Spätestens bei der Herauslösung der Metalle aus dem Erz sieht die Sache anders aus, da geht ohne China nichts mehr: Dessen Anteil beträgt 90 Prozent – und bei der Herstellung der begehrten Starkmagnete sogar 93 Prozent. Chinesisches Know-how, chinesische Technik und chinesische Forschung dominieren den gesamten Sektor.

Dass uns diese Zahlen am heutigen Freitag mit besonderer Dringlichkeit beschäftigen, liegt an einer Bekanntmachung des chinesischen Handelsministeriums. Staatspräsident Xi Jinping hat seinen Beamten die Daumenschrauben, die wir Westler ohnehin schmerzhaft spüren, gestern kräftig anziehen lassen: Die neuen, verschärften Exportkontrollen für Seltene Erden erstrecken sich nun auch auf Firmen, die außerhalb Chinas operieren. Sobald in den Produkten nur ein Quäntchen Material steckt, das mit China in Berührung gekommen ist – dort abgebaut oder verarbeitet wurde oder durch eine Maschine gelaufen ist, in der chinesische Technik steckt –, muss die Nutzung nun in Peking abgenickt werden.

Falls Ihnen diese weitreichende Art der Auflagen bekannt vorkommt: Die Amerikaner hatten sich bei Hochleistungs-Computerchips genau dasselbe ausgedacht, um die Chinesen zu gängeln. Nun reagieren Pekings Bürokraten kurz vor der geplanten Begegnung Xi Jinpings mit Donald Trump, die am Rande des APEC-Gipfels in Südkorea stattfinden soll. Wie du mir, so ich dir.

Zufällig ist das Timing nicht: Xi will Trump bei dessen Zöllen offensichtlich zur Räson bringen. Leider sitzt Europa bei diesem Streit der Giganten nicht als lachender Dritter auf der Zuschauerbank. Die neuen Regeln gelten für alle, nicht nur für die Amerikaner. Und das ist kein Versehen. Auch die EU soll spüren, wie unangenehm es werden kann, sich mit Peking anzulegen. Das ist die Reaktion auf die soeben erlassenen europäischen Strafzölle zur Abwehr der chinesischen E-Auto-Schwemme. Künftig dürften Volkswagen, Mercedes, BMW und Co. also lange auf die Ausfuhrgenehmigungen für Hochleistungsmagnete warten, ohne die sich kein modernes Auto mehr bauen lässt.

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