Herr Voigtsberger, wir helfen, die Aktion dieser Zeitung für Kinder in Not, wird in ihrem neuen Aktionsjahr den Fokus auf die Prävention in der Kinder- und Jugendhilfe legen – ein sehr sperriger Begriff. Wie lautet Ihre, geschmeidigere, Definition?

Robert Voigtsberger Aus meiner Sicht als Jugenddezernent der Stadt Köln geht es bei Prävention vor allem um den erzieherischen Kinder- und Jugendschutz. Wir wollen junge Menschen zum Eigenschutz und zur Eigenverantwortung befähigen. Das tun wir, indem wir ihre persönlichen Kompetenzen stärken, damit sie schädliche Einflüsse erkennen und ihnen angemessen begegnen können. Gleichzeitig geht es darum, Menschen in deren direktem Umfeld, insbesondere die Eltern, in die Lage zu versetzen, ihre Kinder stärken und unterstützen zu können. Unser Ziel ist es, jedem jungen Menschen ein gutes Aufwachsen in unserer Stadt zu ermöglichen.

Wie setzen Sie dieses hehre Ziel in die Praxis um?

Unsere kommunale Präventionsarbeit findet in verschiedenen Bereichen statt – von den Frühen Hilfen bis hin zu unterstützenden Maßnahmen beim Übergang von der Schule in den Beruf. Im Haushaltsplan sind 2025 rund 1,279 Milliarden Euro und damit mehr als 20 Prozent des gesamten Haushaltsvolumens für die Kinder- und Jugendhilfe vorgesehen. 63,5 Millionen Euro davon sind bestimmt für präventive Angebote der Jugendförderung. Konkret werden damit zum Beispiel Angebote der Offenen Kinder- und Jugendarbeit oder mobile Angebote im öffentlichen Raum finanziert, Streetwork, Schulsozialarbeit, Angebote zur psychischen Gesundheit, kostenlose oder vergünstigte Sport- und Bewegungsangebote, Aufklärung über sichere Online-Kommunikation und sexuelle Gewalt sowie vieles mehr.

Das alles kann eine Kommune nicht alleine stemmen. Ein afrikanisches Sprichwort lautet: Um ein Kind gut aufwachsen zu lassen, braucht es ein ganzes Dorf, sprich: ein breites Netzwerk vieler Akteure.

Dieses Netzwerk ist in Köln vorhanden. Wir können stolz sein auf dieses außergewöhnlich gut ausgebaute Angebot an Unterstützungsleistungen. Das gelingt uns, weil wir alle, kommunale und freie Träger unseren Auftrag als Ansporn und Verpflichtung zugleich verstehen, Kinder und Jugendliche vor Vernachlässigung und häuslicher Gewalt zu schützen, Bildungsorte für sie zu schaffen sowie Partner für sie und ihre Eltern zu sein. Um nur zwei Beispiele zu nennen: Die Stadt Köln stellt Trägern der freien Jugendhilfe derzeit rund 8,2 Millionen Euro Fördermittel für Angebote der Schulsozialarbeit an Grundschulen zur Verfügung. Dies zusätzlich zu den 85 städtischen Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeitern. Es gibt rund 12 städtische Streetworker, Angebote von freien Trägern bezuschussen wir mit rund 300.000 Euro.

Ein breites Hilfsangebot ist das eine, wichtig ist aber auch, dass junge Menschen und deren Familien Kenntnis davon erhalten und leichten Zugang dazu haben.

Dafür gibt es zunächst unser Online-Familienportal guterstart.koeln. Dort finden werdende Eltern und Familien mit Kindern und Jugendlichen auf einen Klick sämtliche Informationen über Unterstützungsangebote, übersetzt in 15 Sprachen.

Wie erreichen Sie Familien, denen es nicht möglich ist, online Hilfe zu finden?

Natürlich bieten wir auch leicht erreichbare Angebote vor Ort an – wie unser Familienbüro, das bewusst offen und niederschwellig gestaltet und außerhalb unseres, ich sage mal klassischen Behördengebäudes, angedockt ist. Im Gespräch erfahren unsere Mitarbeitenden vor Ort auch, ob zusätzliche Unterstützung nötig ist. Zudem gibt es dezentral eine Reihe von Familienberatungsstellen in städtischer oder freier Trägerschaft.

Zu den Gefährdungen vor denen Präventionsmaßnahmen schützen sollen, zählen neben Krankheit, Gewalt, Vernachlässigung auch Armut und damit einhergehend eine unzureichende Bildung. Beinahe jedes vierte Kind in Köln gilt als armutsgefährdet. Viertklässler aus Stadtteilen mit hohem Armutsrisiko erhalten deutlich seltener eine Gymnasialempfehlung als Jungen und Mädchen aus privilegierten Stadtteilen.

Um für mehr Bildungsgerechtigkeit zu sorgen, haben wir, im Rahmen der Umsetzung der „kinderstark“-Strategie in Köln, unter anderem an vierzehn Grundschulen in benachteiligten Stadtteilen Familiengrundschulzentren eingerichtet. Diese machen Eltern und jungen Menschen, vernetzt mit dem jeweiligen Sozialraum, bedarfsorientierte Bildungs-, Begegnungs- und Beratungsangebote. Damit erreichen wir Eltern, bieten ihnen an den Grundschulen ihrer Kinder einen Anlaufpunkt und stärken sie damit nicht zuletzt in ihrer Rolle als Bildungsbegleitende. In diesen Zentren bieten wir etwa Kurse zur Stärkung der Erziehungskompetenzen, zur Gesundheitsförderung, aber auch Elterncafés, Sprach- und Kochkurse an.

„Kein Kind zurücklassen“ oder „kinderstark“, es gab und gibt in puncto Prävention viele Initiativen, an denen sich Köln beteiligt hat. Gibt es eine Gesamtstrategie, mit Hilfe derer vor allem gefährdete Kinder frühzeitig stabilisiert werden?

Es gibt mehrere ineinandergreifende Strategien, die auf den Kinderschutz, Kinderrechte sowie Teilhabe und Bildungschancen ausgerichtet sind. Als erste deutsche Großstadt haben wir im Jahr 2022 den Kinderschutzentwicklungsplan auf den Weg gebracht. Er wird im Oktober fertiggestellt und zielt darauf ab, noch bessere Standards zum Kinderschutz zu etablieren. Gemeinsam mit einem Berliner Institut möchten wir die Verantwortlichkeiten bezüglich des Kinderschutzes in Köln systematisch regeln und weiter ausbauen. Dazu haben wir alle Akteure, die Kitas, Schulen, Träger, Vereine, Kirchen, Polizei ins Boot geholt. Es geht zunächst darum, zu schauen, welche Angebote es gibt, wie sie ineinandergreifen und ob sie die tatsächlichen Bedarfe abdecken, oder noch Lücken geschlossen werden müssen – auch innerhalb unserer Verwaltung.

Können Sie schon erste Ergebnisse verraten?

Da möchte ich nicht vorweggreifen, aber Fakt ist, dass wir insgesamt gut aufgestellt sind. Solch ein Entwicklungsplan ist nie an einem Punkt, an dem man sagen kann: Jetzt ist alles gut. Er muss auch künftig regelmäßig die tatsächlichen Bedarfe und die Leistungsfähigkeit des Hilfesystems abgleichen. Die Anforderungen ändern sich ja mit den neuen Herausforderungen, mit denen junge Menschen konfrontiert werden. So hatten wir vor 20 Jahren noch nicht das Thema „Digitalisierung“ und die daraus resultierenden Kinder- und Jugendschutzmaßnahmen wie die Vermittlung von Medienkompetenz im Blick. Oder auch: Hätte man vor sechs Jahren absehen können, mit welchen Pandemie-Folgen junge Menschen zu kämpfen haben, Stichwort mentale Gesundheit? Welche Zukunftsängste und Unsicherheiten ein Krieg in Europa bei ihnen erzeugt? Auf all diese Herausforderungen müssen unsere Angebote flexibel reagieren.

Kurz zurück zum zweiten Bereich der Gesamtstrategie: den Teilhabe-Chancen von Kindern und Jugendlichen in Köln.

Kinderrechte sind ein wesentlicher Bestandteil der Präventionsarbeit. Diese zu wahren, dazu verpflichten wir uns mit dem Aktionsplan „Kinder- und jugendfreundliches Köln“. Ziel dieses Gesamtvorhabens ist es, Kinderrechte an vielen Stellen in unserer Verwaltung zu verankern, um die Bedürfnisse und Belange von Kindern und Jugendlichen zur Grundlage administrativer Entscheidungen zu machen. Gemeinsam mit internen wie externen Experten, zusammen mit Kindern und Jugendlichen haben wir herausgearbeitet, wo eine strukturelle Verankerung der Kinderrechte in unserer Stadt wichtig ist. Um die Beteiligung von jungen Menschen zu ermöglichen und zu stärken, haben wir unter anderem im Jahr 2019 das kooperative Kinder- und Jugendbüro am Alter Markt als deren Interessenvertretung eröffnet. Zudem möchten wir für sie mehr Räume schaffen – etwa durch Mehrfachnutzung. Ein gutes Beispiel dafür ist die Öffnung von Schulhöfen nach der Unterrichtszeit für Freizeitangebote.

Bekanntermaßen musste dieses Projekt aus finanziellen Erwägungen gestoppt werden.

Da wir es aber nach wie vor für sehr wichtig halten, diese Flächen für die Kinder und Jugendlichen offenzuhalten, arbeiten wir gemeinsam mit Schulen an neuen Konzepten, um dieses Projekt auch künftig mit Leben zu füllen. Die Aufgaben sind enorm und sie werden noch anwachsen, zeitgleich steht die Präventionsarbeit vor großen Herausforderungen wie dem Fachkräftemangel und knappen Haushaltskassen.

Träger der freien Jugendhilfe befürchten, dass als erstes in diesem Bereich gespart wird. Einige Beratungsangebote mussten schon geschlossen werden.

Wir unternehmen enorme Anstrengungen, um diesem Fachkräftebedarf, gerade im Bereich der Kindertagesstätten, etwas entgegenzusetzen. Unsere „Mach Köln!“-Kampagne beispielsweise zielt insbesondere darauf ab, für den sinnstiftenden Beruf der Erzieherinnen und Erzieher zu werben und damit mehr Kita-Personal zu gewinnen. Zudem haben wir unsere Ausbildungskapazitäten im Kita-Bereich deutlich erweitert. Mit 259 Auszubildenden im vergangenen Jahr waren das knapp 50 Prozent mehr als im Jahr 2021/2022. Das Thema Fachkräftemangel ist ein bundesweites Thema, bei dem am Ende des Tages alle Kommunen auf die Unterstützung des Landes und des Bundes angewiesen sind.

Auch, was die Zuschüsse für Präventionsangebote von freien Trägern betrifft? Ist das nicht zuletzt auch eine Frage der kommunalen Prioritätensetzung?

Für uns als Stadt ist es extrem wichtig, die – wenngleich eingeschränkten – Gestaltungsspielräume zu erhalten und eine Haushaltssicherung zu vermeiden. Bei aller finanziell geprägten Notwendigkeit von Priorisierungen war und ist uns aber immer wichtig, dass wir die vorhandenen Strukturen im Präventionsbereich erhalten und stärken. Da stehen wir ganz an der Seite der freien Träger und verstehen uns als Verantwortungsgemeinschaft. Prävention ist kein Nice-to-have, im Sinne einer freiwilligen Leistung, sondern eine Pflichtaufgabe, für die wir auch künftig alles tun werden, um sie gut zu erfüllen. Die Rahmenbedingungen werden unbestritten herausfordernd bleiben. Ich bin aber fest davon überzeugt, dass sich gute Präventionsarbeit für die gesamte Stadtgesellschaft auszahlt.

Prävention ist nicht allein Aufgabe der Kommune oder des Staates. Was kann jede und jeder von uns tun?

Wichtig ist, dass wir achtsam sind, wenn es um Kinder- und Jugendrechte geht, dass wir frühe Anzeichen von Vernachlässigung und Gewalt melden und Hilfen aktivieren. Wir sollten Kindern zuhören, sie ernstnehmen und Vorbild für einen respektvollen Umgang sein. Wenn jede und jeder einen kleinen Beitrag für ein kinderfreundliches Köln leistet, kann das Großes bewirken. 

Auszug aus dem neuen „wir helfen“-Flyer 2025/2026

Grußwort von „wir helfen“-Gründerin Hdwig Neven DuMont zum neuen Aktionsjahr

Liebe Leserinnen und Leser, Spenderinnen und Spender,

dank Ihrer Hilfe machen wir uns seit fast drei Jahrzehnten dafür stark, dass alle, vor allem aber benachteiligte Jungen und Mädchen in unserer Stadt und der Region sicher, gesund und gefördert aufwachsen. Was mir aber große Sorge bereitet ist, dass die Jugend immer größeren Belastungen ausgesetzt ist, sei es in Folge der Corona-Pandemie, der Kriege oder der Klimakrise.

Hedwig Neven DuMont

Um diesen Herausforderungen, die junge Menschen nicht allein bewältigen können, zu begegnen, müssen wir agieren, bevor sich die mit den Krisen einhergehenden Probleme bei ihnen verfestigen. Prävention lautet deshalb das Gebot der Stunde. Und sie ist mehr als nur ein Schlagwort – Prävention ist eine Haltung: Wir müssen gemeinsam hinsehen, bevor etwas geschieht, gemeinsam zuhören, bevor ein Kind verstummt, gemeinsam handeln, bevor es den Halt verliert.

Denn Prävention liegt in unser aller Verantwortung, sie darf nicht allein als Aufgabe des Staates verstanden werden, sondern als unschätzbarer Wert für unsere Gesellschaft. Jedes Kind, das sich sicher, gesehen und unterstützt fühlt, ist ein Versprechen für eine bessere Zukunft.

Deshalb lautet das Motto unseres neuen Aktionsjahres: „wir helfen: Kinder frühzeitig auf einen guten Weg zu bringen“

Frühe Hilfen können entscheidend für den Lebensweg eines Kindes sein. Manchmal sind es die scheinbar kleinen Dinge, die große Wirkung entfalten. Und Menschen, wie Sie, die nicht wegsehen, sondern handeln, bevor sich Sorgen zu Krisen entwickeln. Mit Ihrer Spende ermöglichen Sie, dass wir präventive Angebote unterstützen können, die genau dort ansetzen, wo Hilfe am dringendsten gebraucht wird – und am meisten bewirkt: ganz am Anfang.Ich danke Ihnen von Herzen für Ihre Großzügigkeit und Ihr Vertrauen. Herzlichst, Ihre

Hedwig Neven DuMont