Er baute in Ägypten an der neuen Hauptstadt – und kehrte zurück, um die umstrittenste Baustelle von Hamburg Wasser zu ordnen: Vera II. Nach der Kritik des Steuerzahlerbundes spricht Michael Beckereit über das Krisenmanagement für die Verbrennungsanlage und die Zukunft.

Michael Beckereit war Ende März gerade auf dem Rückweg von einem Projekt, das kaum größer sein könnte: In Ägypten ist er Teil eines Konsortiums, das die Wasserinfrastruktur der neuen Hauptstadt östlich von Kairo aufbaut – ein Vorhaben von globaler Dimension. Doch in Hamburg wartete eine andere Großbaustelle, die nun sogar im Schwarzbuch des Steuerzahlerbundes landete: Vera II.

Dass er in schwierigen Fällen oft gefragt ist, überrascht kaum jemanden, der seine Karriere verfolgt hat. Beckereit, 74, promovierter Ingenieur der Siedlungswasserwirtschaft, gilt als einer der führenden Experten, wenn es um die Wasserver- und -entsorgung großer Ballungsräume geht – wie der Auftrag nahe Kairo zeigt, auch über Deutschland hinaus. Nun ist er zurück in Hamburg, hat übergangsweise die Geschäftsführung von Hamburg Wasser übernommen. 

WELT AM SONNTAG: Herr Beckereit, wie kam es zu Ihrer Rückkehr zu Hamburg Wasser – nach sieben Jahren im Ruhestand?

Michael Beckereit: Ich hatte wirklich nicht damit gerechnet. Ich stand in Kairo am Flughafen, wollte zurückfliegen, da kam der Anruf vom früheren Umweltsenator Jens Kerstan: ‚Kann ich Sie mal ganz dringend sprechen?‘ Da schwante mir schon, worum es gehen könnte. Ich habe dann mit meiner Frau gesprochen – und sie sagte nur: ‚Du kannst ja sowieso nicht Nein sagen.‘ Und sie hatte recht. Ich habe ein Wochenende darüber nachgedacht und zugesagt.

Die Entscheidung fiel dem 1950 in Essen geborenen Beckereit auch deshalb nicht schwerer, weil er der Hansestadt auch nach dem Ausscheiden bei Hamburg Wasser nie den Rücken gekehrt hatte. Nicht nur dass Beckereit und seine Frau Ulrike Abeling ihre kleine Wohnung immer behalten haben. Beckereit, der einst auch Chef von Hamburg Energie war, beriet die Stadt in mehreren Projekten „mit dem Flughafen, mit den Hamburger Energiewerken, aber nichts mit Wasser“, sagt er. Am 1. April 2025 kam er zurück zu Hamburg Wasser. Die beiden vorherigen Geschäftsführer waren vorzeitig ausgeschieden – unter anderem wegen eines Streits um Kostensteigerungen der Schlammverbrennungsanlage Vera II.

WAMS: Wie haben Sie das Unternehmen bei Ihrer Rückkehr vorgefunden? Im Chaos, wie es Medienberichte suggerierten?

Beckereit: Ich würde ganz klar unterscheiden zwischen dem, was für die Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung an Betrieb erforderlich ist – das lief immer. Was weniger gut funktioniert hat, waren die Projekte. Das Risikomanagement war schwach, die Öffentlichkeitsarbeit hätte ich schon viel früher offensiver und transparenter gemacht. Das musste sich ändern.

WAMS: Was haben Sie konkret beim Projekt Vera II verändert?

Beckereit: Wir haben die Projektleitung gestärkt, einen Lenkungskreis wieder eingesetzt, der anderthalb Jahre lang nicht getagt hatte. Jetzt trifft sich die Geschäftsführung monatlich mit den Bereichsleitern. Außerdem haben wir die Konflikte zwischen unserem Projektleiter und dem unseres Hauptauftragnehmers entschärft – durch regelmäßige Treffen auf Geschäftsführungsebene. Und wirtschaftliche Streitpunkte haben wir in einen separaten Arbeitskreis ausgelagert. Das sind einfache Managementmaßnahmen – aber sie wirken.

Wenn Beckereit über das Projekt spricht, wird seine Stimme fester – als wolle er die Unruhe der vergangenen Monate mit Worten bändigen. Neu-Umweltsenatorin Katharina Fegebank glaubt an Beckereits Stärken als Krisenmanager. Doch es gibt auch Kritiker, die den 74-Jährigen als Teil des alten Systems sehen und die Frage aufwerfen, ob er wirklich der Richtige sein wird, um die Geschicke neu zu ordnen. Neun Monate hat er noch Zeit. So lange läuft sein Vertrag. In der Zwischenzeit gilt es auch andere Herausforderungen zu meistern.

WAMS: Ein für Sie brennender Punkt: Hamburg Wasser muss oft Leitungen verlegen, weil andere bauen – etwa die Stadt, die Hochbahn oder die Deutsche Bahn. Wie sehr belastet das Ihr Unternehmen?

Beckereit: Das ist ein wichtiges Thema für uns. Wir sprechen hier von sogenannten Folgepflichten. Wenn irgendwo gebaut wird – sei es eine Straße, eine U-Bahn oder eine Bahntrasse – sind wir verpflichtet, unsere Leitungen entsprechend anzupassen. Auch wenn diese technisch noch einwandfrei funktionieren. Das ist gesetzlich klar geregelt. 

WAMS: Wer trägt die Kosten?

Beckereit: Das kommt darauf an. Wenn die Stadt eine Straße verlegt, müssen wir folgen – und zahlen selbst. Das steht so in unserer Trinkwasserkonzession. Wenn die Hochbahn eine U-Bahn baut, ist das anders: Dann müssen wir auch folgen, aber die Hochbahn trägt die Kosten. Das gilt auch für Abwasserleitungen – da gibt es ebenfalls Konzessionsverträge.

WAMS: Wie hoch sind die Summen, über die wir sprechen?

Beckereit: Für die U5 rechnen wir mit Investitionen von über 100 Millionen Euro – allein für die Verlegung unserer Leitungen. Das ist eine enorme Summe, die über Jahre hinweg mit viel Vorlauf umgesetzt wird, damit etwa der Tunnelbohrer reibungslos arbeiten kann. Es sind Maßnahmen, die wir nicht aus eigenem Antrieb durchführen würden, aber sie sind notwendig im Zusammenspiel der Infrastrukturprojekte. 

Beckereit spricht über die Folgepflichten mit spürbarem Engagement. Dabei betont er, wie wichtig es ist, dass städtische Akteure die Abstimmung untereinander intensivieren, um unnötige Baustellen zu vermeiden – wie eine Leitung im neu entstehenden Stadtteil Oberbillwerder. „Wenn die Planung nur leicht angepasst worden wäre, bräuchten wir die Leitung jetzt nicht um 200 Meter zu verlegen“, sagt er. Hamburg Wasser lediglich zu verwalten, bis sein Nachfolger übernimmt, entspricht nicht Beckereits Naturell. Wie beim Segeln, wo er in den 80er Jahren Welt- und Europameisterschaften gewann, übernimmt er gern Verantwortung und gestaltet aktiv.

WAMS: Wenn neue Stadtteile wie Grasbrook oder Oberbillwerder entstehen – denken Sie dann auch über neue Konzepte der Wasser- und Abwassernutzung nach?

Beckereit: Ja, absolut. In Grasbrook etwa diskutieren wir über alternative Formen der Be- und Entwässerung. Wir denken über Regenwasserrückhaltung nach, über Brauchwassernutzung, über Mini-Reinigungsanlagen, die das Regen- oder Dusch-Wasser so aufbereiten, dass man es für die Waschmaschine oder vielleicht sogar für die Spülmaschine verwenden kann.

WAMS: Wäre das auch in bestehenden Gebäuden denkbar?

Beckereit: Kaum. Wenn Sie in Ihrem Haus Brauchwassernutzung einbauen wollten, müssten Sie alle Wände aufkloppen, zusätzliche Leitungen verlegen, Abwasserleitungen doppelt führen – das ist unvorstellbar teuer. Bei Neubauten hingegen kann man das von Anfang an mitdenken. Dann ist es bezahlbar. Man muss nur früh genug planen und wissen, was man will.

WAMS: Apropos frühes Planen: Wie sieht es in Zukunft mit der Versorgungssicherheit aus? Der Klimawandel bringt mehr trockene Phasen.

Beckereit: Wir haben das große Glück, dass wir unser Wasser aus tiefen Grundwasserleitern gewinnen. Das heißt: Wir sind nicht abhängig vom Oberflächenwasser, das bei Trockenheit schnell knapp wird. Unser Wasser ist manchmal 100 oder sogar 500 Jahre alt – es war sehr lange unterwegs. Das ist ein riesiger Vorteil gegenüber anderen Regionen, etwa Brandenburg, wo die Trockenheit wirklich ein akutes Problem ist.

WAMS: Reicht das Wasser langfristig – auch wenn Hamburg weiter wächst?

Beckereit: Der spezifische Verbrauch pro Kopf sinkt leicht – wir liegen aktuell bei etwa 107 Litern pro Tag. Aber die Stadt wächst, und damit steigt der Gesamtbedarf. Wir haben heute eine Kapazität von etwa 470.000 Kubikmetern pro Tag an heißen Sommertagen – die wollen wir auf 500.000 ausbauen. Denn wenn es zwei Wochen am Stück heiß ist, könnte es es eng werden.

WAMS: Dafür braucht es auch Energie. Wie steht Hamburg Wasser da?

Beckereit: Wir verbrauchen etwa 170 Gigawattstunden pro Jahr – das entspricht dem Verbrauch einer Stadt mit 50.000 bis 60.000 Einwohnern. Wir produzieren aber auch selbst: Windkraft, Photovoltaik, Biogas. Aktuell kommen wir auf etwa 130 Gigawattstunden Eigenproduktion. Eine neue Windmühle in Kurslack wird weitere zehn bringen – damit sind wir bei 140. Unser Ziel ist klar: Bis 2030 wollen wir komplett energieautark sein.

Spricht Beckereit über Energieautarkie, ist das für ihn eine logische Konsequenz aus Verantwortung und Effizienz. Schon bei seinem Abschied 2017 war das Klärwerk am Köhlbrandhöft ein Symbol für diesen Wandel: Aus Klärschlamm wurde Strom, aus Methangas Wärme für den Hafen. Heute denkt er weiter – in Windrädern, die er „-mühlen“ nennt, oder Flusswärmepumpen. Für ihn das kein grünes Etikett, sondern ein betriebswirtschaftlich und technisch durchdachtes Ziel.

WAMS: Letzte Frage: Wie geht es weiter mit Ihnen persönlich – und mit Ihrer Nachfolge?

Beckereit: In die Nachfolgesuche bin ich nicht eingebunden. Das liegt bei der Politik. Ich halte mich da raus und möchte auch nichts kommentieren. Mein Vertrag läuft bis maximal zum 30. Juni nächsten Jahres. Danach geht es für mich regelmäßig zurück nach Ägypten. Dann baue ich dort weiter „Cairo Wasser“ auf.

Zur Person: Michael Beckereit, 74, stammt aus dem Ruhrgebiet, in Hannover studierte er Bauingenieurwesen und promovierte in dem Fach. Nach Stationen bei Siemens, Eurawasser und als Technikvorstand bei der Emschergenossenschaft übernahm er von 2005 bis 2017 die technische Geschäftsführung von Hamburg Wasser, war damit mehrere Jahre auch Chef von Hamburg Energie. Nach seinem Weggang bei Hamburg Wasser kehrte er von 2019 bis 2021 noch einmal als technischer Geschäftsführer der „Wärme Hamburg“ in städtische Leitungsfunktion in Hamburg zurück. 2025/26 ist er noch einmal interimistischer Geschäftsführer bei Hamburg Wasser. Mit seinem aktuellen Unternehmen „Deutsche Wasser International GmbH“ setzt er das Projekt „Operations Wet Infrastructure New Administrative Capital“ in Ägypten um.

Redakteurin Julia Witte genannt Vedder arbeitet in der Hamburg-Redaktion von WELT und WELT AM SONNTAG. Seit 2011 berichtet sie über Hamburger Politik. Einer ihrer Schwerpunkte ist die Umweltpolitik, dazu gehört auch der Bereich Abwasserentsorgung.