Wer in Stuttgart lebt, der weiß: Stäffele sind praktisch, um zügig vom Kessel aus die Halbhöhenlage zu erklimmen – gute Kondition vorausgesetzt. Sie ist heute auch bei Felix Klare und Richie Müller gefragt, die die Witthohstaffel sicher schon sechs oder sieben Mal raufsteigen mussten. Am Ende dieses Drehtages werden die beiden Schauspieler nicht mehr aufs Laufband müssen.
Ganz schön sportlich, diese Dreharbeiten
Auch für das übrige Team sind die Dreharbeiten zum neuen „Tatort“ eine sportliche Angelegenheit, denn Kamera, Ton, Regie – alle müssen bei diesem Fall viele Treppen steigen, auch heute, wenn die Regieassistentin „wieder auf Anfang“ ruft. Der Regisseur Dietrich Brüggemann wollte einen Krimi rund um die Staffeln entwickeln, was die SWR-Redakteurin Brigitte Dithard „eine sehr gute Idee fand“. Denn Stuttgarts Stäffele können als Sinnbild gelesen werden für den sozialen Aufstieg. Schließlich wohnt, wer es sich leisten kann, in Halbhöhenlage. Dadurch, so Brigitte Dithard, sei das Thema „direkt mit der Topografie verbunden“.
Und weil in dem neuen Fall ein Gast bei einer Party in Halbhöhenlage plötzlich tot auf der Treppe liegt, sind die Kommissare nun auf der „Bienzle-Staffel“ unterwegs, wie auf dem Straßenschild unmissverständlich zu lesen ist. Für den Dreh wurde die Witthohstaffel kurzerhand umbenannt – nach dem früheren Stuttgarter „Tatort“-Kommissar.
Manche Sätze müssen ewig wiederholt werden
Die Autofahrer müssen warten, weil die Kommissare bei der Probe die Hohentwielstraße überqueren, damit Lannert auf dem nächsten Treppenabschnitt seine Thesen zum Besten geben kann: „Sie wusste von Markus, dass Andreas auch eine Party macht. Sie hatte also Zeit zum Planen.“ Richie Müller muss die Sätze an diesem Tag sehr oft wiederholen – das gehört zum Job.
Beim legendären Stuttgarter Krimi „Stau“ mussten einst Teile der Neuen Weinsteige gen Degerloch im Studio nachgebaut werden. Bei der Folge zu den Staffeln wurde viel vor Ort gedreht. Von den 24 Drehtagen, die für einen Stuttgarter „Tatort“ zur Verfügung stehen, sind in der Regel nur drei bis fünf Tage in Stuttgart vorgesehen, der Rest in Produktionsstudios oder vor Ort in Karlsruhe und Baden-Baden. Brigitte Dithard wollte aber „ausschließlich Stuttgarter Staffeln zeigen und keine Baden-Badener“. Deshalb ist man diesmal zehn Tage in der Landeshauptstadt unterwegs.
Die Anwohner wurden informiert
Die Anwohner rund um die fiktive Bienzle-Staffel wurden über Wurfsendungen informiert, dass sie „etwas zu ertragen haben“ werden, wie Dithard es nennt. Denn selbst, wenn in dieser einen Szene nur zwei Kommissare die Treppe hinunterlaufen, sind Dreharbeiten aufwendig. Schon in der Früh rückt ein rund vierzigköpfiges Team an – mit diversen Lastwagen, Pkws und Transportern –, um Kameras, Beleuchtung, Ton, Kostüme vorzubereiten und die Schauspieler zu schminken. Der Caterer richtet Kaffee und Brötchen her, Biertische werden aufgestellt, Absperrpylonen verteilt und Zettel mit dem Hinweis „Motiv“ und „Dreharbeiten“ aufgehängt. Es gibt viel zu tun, damit um neun Uhr pünktlich gestartet werden kann.
Filme werden nie am Stück gedreht, sondern beim Drehen springt man kreuz und quer durch die Handlung. „Das ist wie hundert kleine Theaterstücke aneinandergereiht“, erklärt der Schauspieler Felix Klare. Für ihn ist es aber kein Problem, seine Figur ad hoc abzurufen. „Das ist unser 38. Fall, da kann man davon ausgehen, dass man die Figur entwickelt hat.“
Die Klamotten sind immer noch die alten
Dieser Sebastian Bootz ist noch immer der Typ von Folge eins, weshalb auch die Kostümbildnerin Juliana Maier die klare Vorgabe hatte: Bootz’ trägt auch diesmal wieder seine braune Lederjacke. Es war die gerade verstorbene Gudrun Schretzmeier, die die Kommissare zum Start des neuen Teams einkleidete – Bootz in Lederjacke und Lannert etwas schicker mit Jackett. Natürlich hätte die Kostümabteilung eine Ersatzjacke dabei, damit der Dreh nicht wegen eines Kaffeeflecks auf dem Revers platzt. Aber sobald die Schauspieler ihr Mittagessen verzehren, bekommen sie Schutzhemden an. Bei Dreharbeiten ist wirklich alles durchdacht, schließlich geht es um viel Geld.
Nur eines lässt sich nicht planen: das Wetter, das heute mit Herbstkapriolen aufwartet. Der Kameramann Michael Merkel hat sich für „Stäffele“ eine besondere Konstruktion entwickelt: Da er nicht rückwärts laufend filmen könnte, wie die Kommissare die Truppen runtergehen, tragen Helfer die Kamera, die Merkel fernsteuert. Jetzt knallt die Sonne aber plötzlich so heftig, dass er die Kommissare von hinten filmen muss – die Schatten im Gesicht wären sonst zu stark.
Felix Klare braucht einen Akkuwechsel
Die Kinder, die von einem Balkon aus zugeschaut haben, verziehen sich nach drinnen, denn spannend sind Dreharbeiten nicht. Auch das Team verbringt die meiste Zeit wartend, muss aber prompt parat stehen, wenn die Nase von Felix Klare nachgepudert oder die Fusselbürste über Lannerts Jackett gewandert ist. Kaum hat sich Richie Müller kurz auf seinen persönlichen Stuhl – mit Namen! – gesetzt, fummeln flinke Hände auch schon an seinen Beinen und ziehen aus den Socken den Mikrofonsender heraus. „Ich könnte auch einen Akkuwechsel gebrauchen“, sagt Felix Klare. Aber schon geht es wieder auf die Bienzle-Staffel rauf, und wieder einmal sagt Richie Müller: „Sie wusste von Markus, dass Andreas auch eine Party macht. Sie hatte also Zeit zum Planen.“
So charmant die Idee mit den Staffeln ist – „die Tücke ist, nicht zu fallen“, sagt Klare, denn im Kopf sei man bei seinem Text. „Wenn man sich verspricht, muss man wieder ganz oben anfangen.“ Dreharbeiten sind eben doch weniger lässig, wie die Zuschauer es sich vielleicht vorstellen. Deshalb findet es im Team niemand lustig, als es zu einer Slapstick-reifen Szene kommt. Die Kommissare überqueren gerade wieder die Hohentwielstraße , als eine Passantin, warum auch immer, mitten in die Szene reinläuft – mit einem riesigen IKEA-Paket unterm Arm.
Ein Termin für die Ausstrahlung dieses Stuttgarter „Tatorts“ steht noch nicht fest.