Tanja Kinkel, Schriftstellerin: „Das ist Piraterie auf einer ganz neuen Stufe“

Die Zeitschrift The Atlantic hat vor einigen Monaten einen Link geteilt, unter dem Autorinnen und Autoren überprüfen können, ob sich ihre Werke in der riesigen Schattenbibliothek GenLIB befinden, mit der der Konzern Meta seine KI trainiert hat. Die Münchner Schriftstellerin hat es getan. Das Ergebnis: „Ich bin dabei.“ 25 Titel werden unter ihrem Namen aufgelistet, inklusive Übersetzungen. „Das ist Piraterie noch mal auf einer ganz neuen Stufe“, sagt Kinkel, „das ist die eine nicht erfreuliche Seite.“ Die andere? Demnächst erscheint ihr nun 24. Roman, „Sieben Jahre“ (Hoffmann und Campe, 848 Seiten, 36 Euro), diesmal führt sie ihre Leserinnen und Leser an den Hof des Preußenkönigs Friedrich II. und erzählt vom Leben im Krieg. Dafür hat sich Kinkel durch den überwiegend französischen Original-Briefwechsel des Herrschers gelesen, der schon vor Jahren von der Universität Trier online gestellt wurde. „Wenn ich Verständnisprobleme hatte und mich da auch nicht auf die Übersetzungen aus dem 19. Jahrhundert verlassen wollte, habe ich Textpassagen durch den Google-Translator geschickt, um zu überprüfen, ob es wirklich das bedeutet, was ich denke.“ Dafür schätze sie die KI, wie vermutlich viele Menschen. „Ich will mich hier nicht heiliger als heilig geben.“

„Ich bin dabei“: Der Konzern Meta hat seine KI mit sämtlichen Werken von Tanja Kinkel trainiert. Demnächst erscheint ihr 24. Roman.

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„Ich bin dabei“: Der Konzern Meta hat seine KI mit sämtlichen Werken von Tanja Kinkel trainiert. Demnächst erscheint ihr 24. Roman.
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„Ich bin dabei“: Der Konzern Meta hat seine KI mit sämtlichen Werken von Tanja Kinkel trainiert. Demnächst erscheint ihr 24. Roman.
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Für die eigentliche Recherche, die Phase, die bei ihr immer am längsten dauere, hat die KI für sie aber keinen Nutzen. Es gehe dabei nicht ums Datensammeln. „Es ist jedes Mal so etwas wie eine kleine Forschungsexpedition, die auch die Fantasie anregt.“ Wenn sie danach anfange zu schreiben, sei das Buch im Groben bereits in ihrem Kopf. „Ich weiß, was sind die wichtigsten Themen, wo will ich mit dem ganzen hin, will ich das ganze Leben von jemandem erzählen, von Geburt bis zum Tod oder nur einen kurzen Ausschnitt?“ All das entscheide sich in der Recherchephase, dabei könne weder ein Mensch noch ein KI-Assistent helfen. „Das muss ich selber machen, das zeigt mir ja auch, funktioniert diese Person, dieses Thema oder diese Idee für den Roman oder nicht.“ In ihrem Roman „Säulen der Ewigkeit“ beispielsweise wollte Tanja Kinkel eigentlich über den schottischen Maler David Roberts schreiben, der in den späten 1830er Jahren in Ägypten Skizzen und Gemälde von den großen Ausgrabungen anfertigte. Bei der Recherche begegnete sie dann aber dem für sie viel interessanteren Entdeckerpaar Sarah und Giovanni Belzoni, das bereits 15 Jahre vorher in Ägypten nach Altertümern suchte, und von dem dann der Roman handelte. „Ungeheuer spannende Figuren, auf die ich nie gestoßen wäre, wenn ich die KI nur gebeten hätte, stelle mir alles Material zu David Roberts zusammen.“

Kann sie sich vorstellen, KI als Assistenten zu nutzen? Beispielsweise für die Strukturierung eines Romans. „Nein“, sagt die Schriftstellerin. Auch als Lektor käme für sie nur ein Mensch in Frage: „Vom Lektorat erwarte ich mir wirklich konstruktive Kritik. Beispielsweise auch Sätze wie, ich verstehe die Motivation dieser Figur nicht … Das kann keine KI, das muss ein Mensch machen.“ Gleiches gilt für sie für Übersetzungen ihrer Romane.

Wie sieht sie die Konkurrenz der KI-generierten Billigbücher? Schon jetzt ufert generell bei Ratgeberliteratur, aber auch im Bereich der Kinderbücher das Problem der KI-generierten Schrottbücher bei Amazon aus, hat man beim Börsenverein des Deutschen Buchhandels festgestellt. Die Erfahrung der letzten Jahre sei ja bereits die, sagt Kinkel, dass die für wenige Euro im Selfpublishing auf Amazon veröffentlichten Werke einen Einfluss auf den Buchmarkt haben. „Die sind zu einem Preis zu haben, für den du ein im Verlag ordentlich lektoriertes Buch nicht machen kannst, und das hat sicher eine Auswirkung auf das Kaufverhalten.“ Gerade deshalb hält Tanja Kinkel Bibliotheken auch für ungeheuer wichtig. Wie groß und fatal sich die Flut an KI-generierten Werken auswirke, könne man aber noch nicht absehen. „Das sind die Leserinnen und Leser in der Verantwortung.“ 

Pieke Biermann, Übersetzerin: „Unsere Branche gehört zu den unmittelbar gefährdetsten“

Im Science-Fiction-Klassiker „Per Anhalter durch die Galaxis“ muss niemand eine Sprache lernen. Die Figuren setzen sich einfach den Babelfisch ins Ohr und schon verstehen sie alle Sprachen. Ein solches Tool ist noch nicht entwickelt, aber KI-gestützte Übersetzungsprogramme werden immer besser. Was aber geht verloren, wenn Maschinen ganze Bücher übertragen? Und was bedeutet das für Übersetzerinnen und Übersetzer? „Die Branche gehört zu den unmittelbar gefährdetsten“, sagt die Berliner Übersetzerin Pieke Biermann. „Die Honorare sind schon jetzt ein Witz, aber durch die KI steigt der finanzielle Druck noch mehr.“

Denn um Zeit und Geld zu sparen, experimentieren auch Verlage inzwischen mit Tools zur Textbearbeitung und vergeben vermehrt sogenannte Post Editing-Aufträge. Sie lassen Texte also maschinell übersetzen und menschliche Sprachprofis sollen dann die Fehler, Ungenauigkeiten und stilistische Unstimmigkeiten der KI ausmerzen. „Die Aufträge werden deutlich schlechter bezahlt, bedeuten aber doppelte Arbeit, weil man nicht nur den Originaltext lesen und verstehen, sondern auch noch das KI-generierte Textgewusel redigieren muss“, sagt Biermann. Sie würde solche Aufträge aus Prinzip ablehnen, nicht nur wegen der schlechten Bezahlung, sondern weil auch das Urheberrecht am Text verloren geht. Hinzu kommt: „Die Sprache wird durch KI ärmer“, sagt Biermann. „Wenn man solche Tools häufig nutzt, verliert man irgendwann auch die eigene Sprachmacht.“

Was Biermann optimistisch stimmt: Bei den Verlagen wächst das Bewusstsein, dass sich mit dem Einsatz von KI nicht viel gewinnen lässt, wenn langfristig die Qualität verloren geht. „Die Übersetzung literarischer Texte kann man nicht einfach an die KI auslagern“, sagt sie. Computergestützte Systeme sind auf Standardisierung angewiesen, literarische Texte leben von Kreativität und künstlerischer Freiheit. „Das passt nicht zusammen“, sagt sie. Das zeigt sich auch in der Praxis.

Wenn Biermann beim Übersetzen unsicher ist oder nicht weiterkommt, lässt sie einen Absatz testweise auch mal von Google Translate oder Deepl übersetzen. „Ich lasse mich gern überraschen, aber meistens geht es schief“, sagt Biermann. „Das beruhigt mich dann wieder, weil ich sehe, dass meine Kreativität gefragt ist, wenn ich dem Originaltext gerecht werden will.“ Denn die Maschinen machen Fehler, nicht nur bei der Wortwahl. „Sie können nicht hören“, sagt Biermann. „Jeder Text hat einen eigenen Klang aus Wörtern, Zwischentönen, Referenzen und Anspielungen. Ein guter Übersetzer kann das erfassen und übertragen, eine Maschine kann das nicht. Sie hat auch kein Gespür für soziale oder historische Erfahrungen, die im Text stecken.“

Für Biermann beginnt da überhaupt erst die Faszination des Übersetzens. Sie hat sich auf Texte in afroamerikanischem Englisch spezialisiert. Bedeutet: Viel Slang und gesprochene Sprache. „In diesen Texten steckt der Blues, sie sind von der grauenvollen Geschichte der Sklaverei geprägt“, sagt Biermann. „Um das ins Deutsche zu übertragen, muss man kreativ werden, da gibt es keine Parallelen, mit einem Wörterbuch kommt man da nicht weit.“ Speziallexika und Synonymlexika helfen ihr beim Übersetzen, aber vor allem Erfahrung.

Für die Übersetzung des Romans „Oreo“ der US-Autorin Fran Ross wurde sie 2020 mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet. Das Buch war wegen seiner verschiedenen Idiome, Anspielungen und satirischen Elemente eine besondere Herausforderung. „Gerade das hat mich gereizt, dieses spielerische Element an der Sprache“, sagt Biermann. „Man hat auch eine Verantwortung gegenüber dem Originaltext und dessen Sprache. KI kann dieser Verantwortung nie gerecht werden, denn sie plättet und standardisiert.“ Und sie sieht noch einen entscheidenden Unterschied zwischen der menschlichen und maschinellen Übersetzung: KI versteht keinen Witz. „Aber auch davon lebt Literatur“, sagt Biermann. „Und auch der Mensch kann ohne Witz nicht überleben.“

Anne-Kathrin Behl, Illustratorin: „Die Frage ist, was die Leserinnen und Leser machen“

Mit einer Kampagne versetzte die Stiftung Lesen im Herbst letzten Jahres die Kinderbuchbranche in Aufruhr. „Eisbären würden vorlesen“ stand auf einem Bild, das einen Eisbären mit Buch zeigt, der seinem Jungen vorliest. Der Einsatz für ein wichtiges Anliegen ging indes völlig daneben, denn das Bild war von einer KI generiert, und das nicht einmal gut. „Die Kampagne vermittelte an unseren Berufsstand, wir wären austauschbar. Die schlechte Qualität der Bilder zeigt aber ganz klar, dass wir es nicht sind“, sagt Anne-Kathrin Behl, Illustratorin von Kinderbüchern wie „Peter, Paula und der Wolf“ (Kindermann, 48 Seiten, 20 Euro). Abgesehen davon liege KI-Bildern der Diebstahl von geistigem Eigentum zugrunde. „Die KI würde nicht funktionieren, wenn nicht massenhaft Bilder und Texte aus dem Internet gezogen würden, mit denen sie trainiert wird. Wir werden nicht gefragt und wir werden auch nicht dafür honoriert.“ Gerade für Illustratoren ist die Verbreitung ihrer Bilder im Netz auf ihren Websites oder denen der Verlage aber eine Grundlage, sich zu präsentieren und Aufträge zu erhalten. „Ich bin sehr vorsichtig mit dem, was ich veröffentliche, aber ich kann meine Illustrationen nicht aus dem Internet heraushalten, sonst spiele ich nicht mehr mit“, sagt Behl.

„KI ist allenfalls eine Kopiermaschine“ sagt die Illustratorin Anne-Kathrin Behl.

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„KI ist allenfalls eine Kopiermaschine“ sagt die Illustratorin Anne-Kathrin Behl.
Foto: Anne-Kathrin Behl

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„KI ist allenfalls eine Kopiermaschine“ sagt die Illustratorin Anne-Kathrin Behl.
Foto: Anne-Kathrin Behl

Das Eisbärenbild der Stiftung Lesen ist mittlerweile gelöscht, die Empörung und Verunsicherung ist aber geblieben. Denn derzeit erscheinen eine Vielzahl von Büchern gerade für die junge Generation, die komplett von KI erstellt sind. „Da hält man ein Buch in der Hand, bei dem sich kein Mensch Gedanken darüber gemacht hat, wie man etwas richtig und sinnvoll vermittelt an Kinder.“ Für Kinder Bücher zu schreiben und zu gestalten, sei oft eine wahre Herzensangelegenheit, beschreibt Anne-Kathrin Behl. „Viele von uns machen es aus dem Grundbedürfnis heraus, Kindern etwas zu vermitteln über das Menschsein und die Welt und nicht, um das schnelle Geld zu verdienen. KI-Bücher sind deshalb nicht nur eine Geringschätzung von Kinderbuchschaffenden, sondern letztendlich auch fehlende Wertschätzung für Kinder. Als wäre es in Ordnung, ihnen diesen Müll vorzusetzen. “

Schreiben und Zeichnen seien ein Prozess, stellt Behl dar. „Man muss Fehler machen, um zu wissen, was die beste Fassung ist. Diesen Prozess macht eine KI nicht durch. Deshalb finde ich es auch immer schwierig, von einem Werkzeug zu sprechen, KI ist allenfalls eine Kopiermaschine. Da findet kein Prozess im Hirn statt, da gibt es keine Rückkopplung mit Gefühlen und das lässt sich nicht ersetzen.“ Letztendlich, so Anne-Kathrin Behl, werde uns der vermehrte Einsatz von Künstlicher Intelligenz als Menschheit dümmer machen. „Das Gehirn ist doch ein Muskel, der trainiert werden muss.“

Doch wie umgehen mit der Künstlichen Intelligenz, die nun einmal in der Welt ist? „Ich will Künstliche Intelligenz gar nicht verteufeln und es gibt sicher Bereiche, in denen Prozesse damit vereinfacht und beschleunigt werden können. Aber wir haben die Möglichkeit „Nein“ zu sagen zu einer Technologie, die uns entmenschlicht, gerade in einem Bereich, in dem es um das Menschsein geht.“ Und Behl bringt noch einen weiteren Aspekt ins Spiel: „Wenn immer mehr KI-generierte Inhalte verbreitet werden, werden die Menschen die Fähigkeit verlieren, Fakenews und Fakebilder zu erkennen, das finde ich fatal.“

Anne-Kathrin Behl glaubt, dass es in Zukunft ein Qualitätsmerkmal sein wird, wenn Verlage nicht auf die KI-Produkte setzen. „Die Frage ist aber, was die Leserinnen und Leser machen: Werden sie erkennen, ob ein Buch von KI generiert ist, und ist es ihnen am Ende sogar egal?“

  • Stefanie Wirsching

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  • Tanja Kinkel

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  • Google Inc.

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