Kiel. Sie warten geduldig, viele haben ihren Hund dabei. Es ist Samstag, kurz nach zehn. Die Schlange der Bedürftigen vor der Kieler Gelehrtenschule reicht fast bis zur Feldstraße. Einige Wartende lassen ahnen, dass sie kein Geld haben. Vielen aber sieht man die Not nicht an.
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Leicht ist es nicht, die Scham zu überwinden. Doch das, was hier geboten wird, das ist fast zu schön, um wahr zu sein: ein pralles Frühstücks- und Kuchenbuffet, Friseurbesuch, Massage, Maniküre, Bekleidung, Tierbedarf und Tierarztbesuch. Alles kostenlos. Willkommen beim „Kieler Wohlfühlmorgen für Wohnungslose und von Armut betroffene Menschen“!
Früher kamen tatsächlich vor allem Obdachlose, inzwischen sind es mehr Menschen, die niemandem wirklich auffallen: „Die stellen sich der Welt, mit dem Wenigen, das haben, und mit ganz viel Disziplin“, sagt Maria Schwarte vom Sozialdienst katholischer Frauen (SkF). Armut ist zunehmend unsichtbar.
Die Apothekerin ist eine von rund 70 ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern, die dieses Angebot möglich machen, zum zehnten Mal inzwischen. Anfangs kamen rund 70 Menschen, doch es wurden immer mehr. 175 im vergangenen Jahr. Diesmal waren es 271 Gäste, so viele wie noch nie. „Wahnsinn!“, sagt Maria Schwarte.
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„Wohlfühlmorgen“: Viele kostet er Überwindung
Fragt sich nur, ob man sich über diesen Trend freuen soll. Ja, das Angebot wird bekannter, findet immer mehr Zuspruch. Doch auch zunehmende Armut lässt den Bedarf wachsen. Hohe Mieten und niedrige Renten bringen vor allem Ältere in Not, insbesondere Frauen. Es kommen aber auch viele Jüngere. Tanja zum Beispiel, die sich von „Barber Angel“ Kjell Böhm den langen Blondschopf frisch frisieren lässt. Sie ist Bürgergeldempfängerin und zum zweiten Mal dabei. „Beim ersten Mal musste ich mich sehr überwinden. Aber diesmal habe ich mich einfach nur riesig gefreut.“
„Die stellen sich der Welt, mit dem Wenigen, das sie haben“
Maria Schwarte
Sozialdienst katholischer Frauen (SkF).
In der Mensa wuselt Ada herum, schenkt Kaffee nach, bietet Kuchen an. Die 17-Jährige ist seit anderthalb Jahren an der Kieler Gelehrtenschule, hat sich von Anfang an in der Schülervertretung engagiert und gehört zum Planungsteam, das den Wohlfühlmorgen über Monate vorbereitet hat. Sie weiß – wie alle ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter, wie alle ehrenamtlichen Helfer, wie die Lehrerschaft und alle Eltern, die bis zuletzt unter Hochdruck gebacken und Brötchen belegt haben: Ein Wohlfühlmorgen kann Armut nicht aus der Welt schaffen. Aber er ist ein Zeichen der Zuwendung. Ada formuliert es so: „Jedes Lächeln zählt.“
Karo (77) muss mit 350 Euro über den Monat kommen
Je eins kommt von Karo und Rainer. Beide – sie 77, er 58 – haben den Sprung aus der Wohnungslosigkeit geschafft. Doch das Leben bleibt hart. Nun sitzen beide – lange befreundet, aber kein Paar – in der Schulmensa bei Kaffee und Kuchen. 350 Euro im Monat blieben ihr zum Leben, sagt Karo. Nicht viel mehr als ein Zehner am Tag also, für Essen, Bekleidung, Körperpflege, Reparaturen. Für Vergnügungen, auf denen ein Preisschild klebt, bleibt da nichts übrig.
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Und „Fly“ darf bloß nicht krank werden. Umso dankbarer ist Karo, dass der kleine Mischlingsrüde heute kostenlos zum Check bei der Tierärztin darf. Doch erstmal geht Frauchen zum Friseur. „Wir sind sehr dankbar für dieses Angebot“, sagt Karo und Rainer nickt. Es gebe doch so viele Menschen, die sich nicht mal mehr ein gutes Frühstück leisten könnten.
Wie viele andere Hunde, Katzen und weitere Lieblinge besucht „Fly“ dann das Zelt, in dem sich Tierärztin Bine Stadic aus Altenholz und ihre Unterstützerin Regine Michelsen um die Gesundheit der so wichtigen Gefährten kümmern. Zuvor aber ist „Teddy“ dran, auch ein Mischling, aber schon 15: Einmal Krallenschneiden, Analdrüsen säubern, sonst ist alles in Ordnung.
Jede Menge ehrenamtliches Engagement und Spenden – sie sind die Möglichmacher dieses Tages. So unterstützt das Kieler Spendenparlament diesen Wohlfühlmorgen mit 4550 Euro. Genug Geld, um jedem Gast zum Abschied noch eine große Tüte mitgeben zu können, mit Obst, Müsliriegeln, Laugenstange und einer Flasche Wasser. Klar, das ist schnell verbraucht. Doch das Gefühl von Wärme bleibt.
KN