Helsinki – Keine zwei Stunden dauert der Flug von Berlin in die finnische Hauptstadt Helsinki. Und doch landet man in einer anderen Welt: Wer eine 1340 Kilometer lange Grenze zu Russland und eine 1250 Kilometer lange Seegrenze hat, für den ist der Nahost-Konflikt weit weg. Weil die Frage um Krieg und Frieden die eigene Haustür betrifft.

BILD in Finnland, das fast so groß wie Deutschland ist, wo aber nur 5,5 Millionen Menschen leben, das sind weniger als in Hessen. Hier tut man seit Jahren das, was der Rest Europas gerade erst beginnt: sich vorbereiten für einen möglichen Angriff Moskaus.

Putins Schattenflotte im Blick

Innenministerin Mari Rantanen (49, Partei „Wahre Finnen“) empfängt BILD auf der Kommandobrücke der „Turva“ (deutsch: „Sicherheit“), ein Patrouillenschiff der Küstenwache. Auf ihm dient eine bis an die Zähne bewaffnete Spezialeinheit, die heute trainiert.

Auftrag der Einheit ist unter anderem der Schutz der Unterwasserleitungen in der Ostsee vor Putins Schattenflotte. Ein Vorfall wie an Weihnachten 2024, als die Stromleitung „Estlink 2“ durch einen schleifenden Anker sabotiert wurde, soll sich nicht wiederholen.

Offshore-Patrouillenschiff Turva: Küstenschutz ist für Finnland mit seinen unzähligen Häfen eine Überlebensfrage

Offshore-Patrouillenschiff Turva: Küstenschutz ist für Finnland mit seinen unzähligen Häfen eine Überlebensfrage

Foto: Albert Link

In Manövern üben Spezialkräfte das Entern feindlicher Schiffe

In Manövern üben Spezialkräfte das Entern feindlicher Schiffe

Foto: Albert Link

Die Einsatzkräfte sind mit modernster Technik und Waffen ausgestattet

Die Einsatzkräfte sind mit modernster Technik und Waffen ausgestattet

Foto: Albert Link

„Preparedness“ lautet das Zauberwort, das die Ministerin mehrfach betont – der Zustand der „Bereitschaft“. Es wäre nicht das erste Mal, dass der übermächtige Nachbar im Osten Ernst macht: Im Winterkrieg 1939/40 konnten die Finnen die Rote Armee nur mit größter Mühe – und Gebietsabtretungen – stoppen.

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Die Lehre daraus: Finnland wird sich nie mehr überraschen lassen!

Die Innenministerin nennt Eckpunkte, wie sich Armee, Nachrichtendienste, Zivil-, Küsten- und Grenzschutz rüsten. Rantanen spricht auch darüber, dass inzwischen jeder Finne zu Hause über einen 72-Stunden-Notvorrat verfügt. Und dass alle Supermarktketten Reserven bunkern und über Notpläne verfügen müssen – für den Fall einer Seeblockade.

Ihr Credo: „Es reicht nicht, einfach nur das Verteidigungsbudget zu erhöhen.“

Mehr zum Thema„Unsere Agenda heißt Frieden“

Bemerkenswert: Zwischen die Innenministerin der Rechtspopulisten-Partei und Verteidigungsminister Antti Häkkänen (40, Nationale Sammlungspartei Kok passt in Sachen Ukraine-Unterstützung kein Blatt Papier. Finnland hat eine russische Minderheit, aber keine Kreml-Lobbyisten in Parlament und Regierung.

Verteidigungsminister Häkkänen sieht in der Ukraine-Invasion nur „einen ersten Schritt Putins“. Seine Überzeugung: „Sie wollen den Einfluss, den die Sowjetunion in Europa hatte, wieder herstellen.“

Verteidigungsminister Antti Häkkänen sieht militärische Stärke als bestes Mittel, den Frieden zu sichern

Verteidigungsminister Antti Häkkänen sieht militärische Stärke als bestes Mittel, den Frieden zu sichern

Foto: Albert Link

Vertrauen in die eigene Stärke

Die Finnen sind 2023 der Nato beigetreten, doch setzen sie mehr auf eigene Stärke – „nicht, um Krieg zu führen, sondern um Krieg zu verhindern“, sagt Häkkänen: „Unsere Agenda heißt Frieden.“

Kritik an den Militärausgaben gibt es – doch der Minister weiß die Mehrheit seiner Landsleute hinter sich. Die Finnen wüssten genau, was sie verteidigen wollen: Ihre Freiheit, ihre Art zu leben. „Laut Umfragen sind wir das glücklichste Land der Welt“, sagt Häkkänen.

Wehrpflicht? Selbstverständlich. Viele Frauen dienen freiwillig. Die Bereitschaft, notfalls selbst zur Waffe zu greifen? Mit achtzig Prozent größer als in anderen EU-Ländern. Und die Reservisten seien sauer, wenn sie mit 65 Jahren ausgemustert wurden – „auch mein eigener Vater“, verrät Häkkänen.

„Putin war besessen von der Ukraine“

Ex-Präsident Sauli Niinistö (77) war in den vergangenen Monaten oft in Brüssel. Er hat einen Weckruf für die EU-Kommission verfasst („Niinistö-Bericht“), sich endlich europaweit zu wappnen. Seine Überzeugung: „Wir können unsere Sicherheit nicht länger an die USA delegieren.“

Ninnistö mit Ukraine-Präsident Wolodymyr Selenskyj vor dem Präsidentenpalast in Helsinki (2023)

Finnlands Ex-Präsident Sauli Niinistö (77) mit Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskyj vor dem Präsidentenpalast in Helsinki (2023)

Foto: Vesa Moilanen/dpa

In Niinistö Amtszeiten 2012 bis 2024 fiel Russlands Überfall der Krim, später die barbarische Invasion in der Ukraine. Er hat wieder und wieder mit Putin telefoniert – vergeblich.

Hätten aus seiner Sicht die Ex-Kanzler Gerhard Schröder und Angela Merkel ihren Einfluss nutzen können und müssen, um Putin von seinem Kriegsplan abzubringen?

Niinistö nimmt sich Zeit für seine Antwort. Dann sagt er zu BILD: „Mein Gefühl ist, dass Putin von der Ukraine besessen war. Nichts hätte ihn stoppen können.“

Lesen Sie in Teil 2 des Finnland-Reports: BILD an der Geistergrenze zu Russland.