Samstag, 11. Oktober 2025, 14:10 Uhr: Am Leipziger Hauptbahnhof rollt der nächste ICE Richtung Berlin Südkreuz aus. Auf der Anzeige steht eine Reisezeit von rund 2 Stunden 38 Minuten. Auf dem Papier klingt das ordentlich – doch im Schnitt braucht die Bahn an diesem Tag mehr als drei Stunden.

Die Auswertung von NETZ-TRENDS.de, erhoben im DB Navigator, zeigt: Zwischen Leipzig und Berlin beträgt die durchschnittliche Reisegeschwindigkeit 58 Kilometer pro Stunde – und das nicht nur an diesem Tag, sondern seit Monaten. Damit ist die Deutsche Bahn auf dieser zentralen Achse langsamer als ein städtischer Fernbus – und im internationalen Vergleich das Schlusslicht der Industrienationen.

Diese Erkenntnis basiert auf 74 eindeutig dokumentierten Verbindungen26 Hinfahrten, 30 Rückfahrten und 18 zusätzlichen Montagsverbindungen. Alle wurden nach derselben Formel berechnet:
Reisegeschwindigkeit = 183 km ÷ (Fahrzeit in Minuten ÷ 60).

Globaler Vergleich: Deutschland fährt weit hinterher

Während Deutschland auf der nur 183 Kilometer langen Strecke zwischen Leipzig und Berlin im Durchschnitt 58 Kilometer pro Stunde erreicht, bewegen sich andere Industrienationen auf ihren Hauptachsen längst in einer anderen Geschwindigkeitsliga. Hochgeschwindigkeitszüge sind dort seit Jahrzehnten selbstverständlich – betrieben von Bahngesellschaften, die eigene, vom Güter- und Regionalverkehr getrennte Schnellfahrnetze betreiben.

In Frankreich, Spanien oder Japan sind exklusive Hochgeschwindigkeitskorridore Standard; in Deutschland dagegen teilen sich Fern-, Regional- und Güterzüge noch immer die gleichen Gleise. Das führt zu Trassenkonflikten, Anschlussverlusten und einer der niedrigsten realen Durchschnittsgeschwindigkeiten im internationalen Bahnverkehr.

Quelle: Offizielle Fahrplandaten der Betreiber (SNCF, Renfe, JR Central, Trenitalia, China Railway, Amtrak)
Deutschland: Eigene Auswertung, DB Navigator, 11.–13. Oktober 2025

Deutschland liegt damit rund 72 Prozent unter dem internationalen Durchschnitt der Industrienationen – auf einer Strecke, die prädestiniert wäre, um zu zeigen, was moderne Ingenieurskunst leisten kann.

Warum die Strecke so langsam ist

Die Ursache ist altbekannt. Die Verbindung Leipzig–Berlin ist keine Hochgeschwindigkeitsstrecke, sondern ein Mischverkehrskorridor. Fern-, Regional- und Güterzüge teilen sich dieselben Gleise. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit beträgt auf weiten Abschnitten 160 km/h, stellenweise 200 km/h, doch selbst das wird selten erreicht.
Baustellen, veraltete Signaltechnik, eingleisige Streckenabschnitte und Überholvorgänge mit langsameren Zügen bremsen den Verkehr.

Immer neue Gründe kursieren: Personalmangel, defekte Weichen oder Stellwerke, Fahrdrahtschäden, Brückensanierungen, Signalmodernisierungen oder schlicht fehlende Trassenreserven, wenn sich mehrere Zugtypen den gleichen Fahrplanraum teilen.

Während Länder wie Frankreich, Spanien oder Japan längst eigene Hochgeschwindigkeitsnetze für den Personenverkehr betreiben, bleibt Deutschland beim alten System – mit der bekannten Folge: Überlastung, Verspätungen, Tempodrosselung und ein wachsendes Gefühl struktureller Langsamkeit.

Rückschau – als die Bahn noch Fortschritt bedeutete

Als am 3. September 1840 die erste durchgehende Zugverbindung zwischen Leipzig und Berlin eröffnet wurde, galt das als technisches Wunder. Die private Berlin-Anhaltische Eisenbahngesellschaft verband erstmals die Messestadt mit der preußischen Hauptstadt. Die Fahrzeit lag bei viereinhalb Stunden – damals ein Quantensprung, der Handel und Wirtschaft beflügelte. Heute, fast zwei Jahrhunderte später, wirkt diese historische Premiere fast ironisch: Der Fortschritt hat auf derselben Strecke an Tempo verloren. Was 1840 Aufbruch war, ist 2025 Sinnbild des Stillstands.

Die Bahn – ein Konzern mit Milliarden, aber ohne Geschwindigkeit

Die Deutsche Bahn AG ist eine operative Management-Holding, die sowohl Infrastrukturunternehmen (DB InfraGO, DB Energie) als auch Verkehrsgesellschaften (DB Fernverkehr, DB Regio, DB Cargo) umfasst. 2024 beschäftigte der Konzern laut Bundesfinanzministerium rund 226 000 Mitarbeitende, davon 214 000 in Deutschland.
Für die Infrastrukturgesellschaften flossen 9,2 Milliarden Euro an Bundeszuschüssen und zusätzlich 3,1 Milliarden Euro Eigenkapital – dennoch bleibt das Tempo niedrig.
(Quelle: Bundesfinanzministerium, Beteiligungsbericht 2024)

Was die Stichprobe belegt – und was Fahrgäste erleben

Die 74 dokumentierten Verbindungen aus dem DB Navigator ergeben im Mittel 57,7 km/h. Frühere Fahrgastberichte bestätigen diese Werte. Selbst in der Montagsstichprobe (13. Oktober 2025) stiegen die Durchschnittsgeschwindigkeiten im Berufsverkehr nur leicht auf 63 bis 77 km/h; abends und nachts fielen sie teils wieder auf 30 km/h.
Der Mittelwert aller Zeitfenster – das, was Reisende tatsächlich erleben – liegt stabil bei 58 km/h.

Für viele Kunden ist das enttäuschend, besonders für jene, die extra eine BahnCard gekauft haben, um vom Auto auf die Bahn umzusteigen. Einer beschreibt es so: Er habe sich für die Bahn entschieden, um schneller und nachhaltiger zu reisen, brauche jetzt aber „mit dem Zug doppelt so lange wie mit dem Auto“, müsse mehrfach umsteigen und komme an Wochenendabenden „manchmal erst gegen drei Uhr früh wieder in Leipzig an“.

Ein Blick in den DB Navigator bestätigt diese Wahrnehmung: Spätverbindungen von Berlin Südkreuz nach Leipzig Hbf dauern häufig über vier Stunden – mit zwei oder drei Umstiegen, teils über Bitterfeld oder Wittenberg und anschließender S-Bahn-Fahrt. Was einst eine schnelle Direktverbindung war, ist heute eine logistische Geduldsprobe.

Eine Bilanz der Langsamkeit

Trotz Milliardeninvestitionen, moderner Züge und hoher Personaldichte hat die Deutsche Bahn den Anschluss verloren. Die Strecke Leipzig–Berlin steht exemplarisch für ein Land, das einst Tempo vorgab – und nun zusehen muss, wie andere vorbeiziehen.
Auf einer Distanz, die wie gemacht wäre für Hochgeschwindigkeit, erreicht Deutschland heute Durchschnittswerte, die an die Reichsbahn-Ära erinnern.

Das Fazit der Reportage: Was in anderen Ländern als Normalgeschwindigkeit gilt, bleibt hierzulande eine Vision. Das Land der Ingenieure fährt im eigenen Schienennetz im Schneckentempo.

Dokumentation und Berechnungsbasis

I.: Hinfahrt Leipzig → Berlin (11.10.2025) – 26 Verbindungen, Durchschnitt 55,3 km/h. II.: Rückfahrt Berlin → Leipzig (11.–12.10.2025) – 30 Verbindungen, Durchschnitt 54,8 km/h. III.: Montagsstichprobe (13.10.2025, gezogen am 11.10.) – 18 Verbindungen, Durchschnitt 67,1 km/h. IV.: Gesamt: 74 Verbindungen, Durchschnitt 57,7 km/h.

Internationale Vergleichsdaten: Offizielle Fahrpläne der Betreiber SNCF, Renfe, JR Central, Trenitalia, China Railway High-speed, Amtrak.
Finanz- und Unternehmensdaten: Bundesfinanzministerium, Beteiligungsbericht Deutsche Bahn AG 2024.

Schlussbemerkung:
Ob Samstag, Sonntag oder Montagmorgen – wer 2025 zwischen Leipzig und Berlin mit der Deutschen Bahn reist, fährt im Schnitt 58 Kilometer pro Stunde. Das ist weniger als ein moderner Regionalbus und ein Drittel der Geschwindigkeit des französischen TGV. Ein Land, das sich selbst als Ingenieursnation bezeichnet, bremst sich damit buchstäblich immer mehr aus. Nicht nur in der Automobilindustrie, dem Maschinenbau, sondern auch im Verkehr. Dennoch hört Angela Merkel nicht auf uns allen einzureden: „Wir schaffen das“.

Beispiel-Analyse: Berlin Südkreuz — Leipzig Hbf, Durchschnittsgeschwindigkeiten und Verbindungen

Datenbasis: Abfrage am Samstag, 11.10.2025 (DB Navigator, 14:10 Uhr)

Abfahrt

Ankunft

Fahrtdauer (min)

Fahrtdauer (h)

Umstiege

Preis (€)

Ø Geschwindigkeit (km/h)

11:35 14:53 198 3,30 2 – 57,58 11:49 15:22 213 3,55 3 – 53,52 11:49 15:38 229 3,82 2 – 49,78 11:57 15:22 205 3,42 4 – 55,61 12:07 15:38 211 3,52 3 – 54,03 12:11 14:53 160 2,67 2 zug ausgebucht 71,25 12:11 14:53 160 2,67 2 zug ausgebucht 71,25 12:36 16:01 205 3,42 1 – 55,61 12:53 16:01 199 3,32 1 – 57,29 13:02 16:01 179 2,98 2 – 63,69 14:11 16:50 159 2,65 2 zug ausgebucht 71,70 14:11 16:50 159 2,65 2 – 71,70 14:47 17:43 176 2,93 1 65,50 64,77 14:48 18:49 241 4,02 1 59,79 47,30 15:15 18:49 214 3,57 2 59,79 53,27 15:19 18:49 210 3,50 3 64,79 54,29 16:10 18:50 160 2,67 2 zug ausgebucht 71,25 16:10 18:50 160 2,67 2 48,30 71,25 16:22 19:42 200 3,33 1 59,79 57,00 18:10 20:50 160 2,67 2 zug ausgebucht 71,25 18:10 20:50 160 2,67 2 48,30 71,25 18:36 22:18 222 3,70 2 81,79 51,35 19:49 22:47 178 2,97 1 50,20 64,04 19:56 22:47 171 2,85 2 50,20 66,67

Durchschnittswerte (alle Stichproben):

  • Durchschnittliche Fahrtdauer: 191 Minuten (3,18 Stunden)

  • Durchschnittliche Geschwindigkeit: 61,19 km/h

  • Durchschnittliche Anzahl Umstiege: 2,0

  • Durchschnittlicher Preis (falls ausgewiesen, ca.): 57,36 €

Diese Daten zeigen, dass durch vermehrte Umstiege, längere Anschlusszeiten oder unterschiedliche Zugtypen (ICE, IC, RE) die Durchschnittsgeschwindigkeit und Reisezeiten teils deutlich schwanken.