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Unten alt, oben neu: Rheinmetall baut der Ukraine einen „Frankenstein-Flakpanzer“ aus Skyranger und Leo-Chassis. Bezahlt wird mit Russlands Vermögen.
Kiew – „Die Entscheidung, das System auf dem Fahrgestell des Leopard 1, einer älteren, aber einsatzerprobten Plattform, zu montieren, spiegelt einen pragmatischen Ansatz für die Mobilität der Luftverteidigung wider“, schreibt Alain Servaes. Der Autor des Magazins Army Recognition lobt den neuen Ansatz eines „Frankenstein-Panzers“ im Ukraine-Krieg: die Kombination aus einem vorhandenen Fahrgestell mit einem neuen Turm für einen erprobten Einsatz – gegen Wladimir Putins Drohnenterror. Und der Clou: Russland zahlt die Zeche.
Ein Turm für alle Fälle: Das Skyranger-Geschütz wird jetzt in der Ukraine auf ein Fahrgestell des Leopard 1-Panzers montiert; damit soll die Luftabwehr der Ukraine für kurze Distanzen verstärkt werden. Auch die Bundeswehr soll kurz davor stehen, eine große Zahl von Skyranger-Systemen zu bestellen. © IMAGO/Chris Emil Janssen
Operativ realisiert Rheinmetall den innovativen Ansatz für den Ukraine-Kieg, wie der deutsche Rüstungskonzern via Pressemitteilung veröffentlicht: Demzufolge liefere Rheinmetall Skyranger 35-Flugabwehrsysteme auf Basis des Leopard 1 an die Front – im Wert eines dreistelligen Millionen-Euro-Betrags. Produktion und Integration der Systeme übernehme Rheinmetall Italia SpA vom Stammsitz in Rom aus. „Finanziert werden die Systeme von einem EU-Land aus Erlösen eingefrorener russischer Vermögenswerte“, schreibt das Unternehmen.
1.000 Schuss pro Minute auf Russland: Deshalb ist der „Frankenstein-Flakpanzer“ sicher eine probate Lösung
„Gepard, Gepard und nochmals Gepard“, sagt Serhiy. Den ukrainischen Schützen hatte Army Recognition gefragt, was seiner Ansicht nach die drei wichtigsten Systeme zur Abwehr von russischen Drohnen seien. Im Ukraine-Krieg hat das Bundeswehr-Alteisen Wladimir Putins Invasionsarme enorme Verluste beigebracht. Jetzt tritt sein Erbe an.
Parallel hat die Ukraine die Idee verfolgt, diese Waffe unter eigener Regie nachzubauen – laut dem Defense Express „kann man zu dem Schluss kommen, dass im Falle einer Wiederaufnahme der Produktion praktisch ein neues System entstehen wird, das technisch und wahrscheinlich auch äußerlich wenig mit dem ursprünglichen Gepard-System gemeinsam haben wird“. Und das wird mehr Zeit kosten, als die Ukraine hat. Deshalb ist der „Frankenstein-Flakpanzer“ sicher eine probate Lösung. Der Skyranger verschießt 1.000 bis 1.200 Geschosse pro Minute aus einem einzelnen Rohr – abhängig von der 30- oder 35-Millimeter-Munition. Die „Leopard 1 Skyranger 35“-Version „vereint die Mobilität und den Schutz eines bewährten Kettenfahrzeugs mit der herausragenden Wirksamkeit eines kanonenbasierten Flugabwehrsystems“, so Rheinmetall.
„Die Ukraine trägt zur europäischen Sicherheit bei, indem sie militärische Ausrüstung auf dem Schlachtfeld testet, die dann von den NATO-Armeen eingesetzt werden kann.“
Die Kiyv Post stellt die Frage auf, wie viele dieser „Frankensteins“ die Ukraine auf die Ketten stellen wird; beziehungsweise ob die Fahrgestelle aus dem aktuellen Bestand der Ukraine entnommen würden, oder ob neue von den NATO-Partnern kämen. „Laut der Waffenverfolgungsseite Oryx hat die Ukraine seit 2023 insgesamt 170 Leopard-1-Panzer erhalten, von denen 21 nachweislich zerstört wurden“, schreibt Kiyv Post-Autor Leo Chiu. Army Recognition wertet das als einen cleveren Schachzug: Sollten neue Fahrgestelle anrollen, wären die schnell in den vorhandenen Bestand integrierbar, fänden eine erprobte Infrastruktur vor und garantierten eine schnelle Einsatzbereitschaft, so das Magazin. Army Recognition sieht auch in diesem Fahrzeug das Potenzial zu einem „Gamechanger“.
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„Seine Kombination aus Schnellfeuerpräzision, Mobilität und Aufrüstungspotenzial macht ihn zu einem Schlüsselelement des sich entwickelnden ukrainischen Verteidigungsökosystems, das zunehmend von Anpassungsfähigkeit, Widerstandsfähigkeit und der effektiven Integration westlicher Technologie in die Realitäten moderner hochintensiver Kriegsführung geprägt ist“, urteilt Autor Alain Servaes. Nach verschiedenen Beobachter-Meinungen erwächst Putin die Gefahr aber nur mittelbar aus der Waffe selbst. Zwei Präzedenzen könnten Russlands Feldzug aus der Flanke heraus attackieren: Erstens die Lieferung an sich und darüber hinaus vor allem die Finanzierung. Die „Frankenstein-Flakpanzer“ zahlen Wladimir Putin beziehungsweise der russische Staat, dessen Vermögen durch die Europäische Union eingefroren worden ist. Die Waffe selbst wird in der Ukraine eingesetzt, bevor sie beispielsweise von der Bundeswehr beziehungsweise einer westlichen Armee in Dienst gestellt wird.
Skyranger-Flakpanzer in der Ukraine: Historischer Kurswechsel in der europäischen Militärfinanzierung
Die Innovation in der ukrainischen Rüstungstechnik geht in diesem Fall also vom Westen aus – und „signalisiert damit einen historischen Kurswechsel in der europäischen Militärfinanzierung“, schreibt Army Recognition. Laut einer Pressemitteilung des Europäischen Parlaments im März 2025 hätten Abgeordnete gefordert, nach dem Einfrieren russischer Vermögenswerte diese auch zu beschlagnahmen und in die Verteidigung der Ukraine zu investieren. Nach Russlands völkerrechtswidriger Invasion Anfang 2022 hätten die EU, die USA und ihre Verbündeten das Vermögen des russischen Staates in Höhe von mehr als 300 Milliarden US-Dollar zurückgehalten, so die Veröffentlichung. Offensichtlich fließt davon ein Teil in die „Frankenstein-Flakpanzer“ – oder aber lediglich aus den Zinsen.
„Das ‚Einfrieren‘ russischen Staatsvermögens bedeutet, dass Russland es nicht nutzen, auch nicht verkaufen kann, sondern weiterhin Eigentümer bleibt“, schreibt Anton Moiseienko. Rechtlich umstritten sei, inwieweit der gesamte eingefrorene Betrag inklusive der Zinserträge für die Ukraine zu investieren sein dürfe, so der Dozent für Rechtswissenschaften an der Australian National University auf dem Online-Forum Verfassungsblog. Ihm zufolge stünde die Staatenimmunität den Reparationsverpflichtungen Russlands gegenüber. Einerseits gelten Russlands Vermögenswerte international als unantastbar; andererseits wird Russland nach internationalem Recht angesehen als „verpflichtet, den durch seinen Angriffskrieg entstandenen Schaden vollständig wiedergutzumachen“, so Moiseienko. „Bisher beschränkte sich die EU darauf, die Zinsen russischer Vermögenswerte, die über Euroclear verwaltet werden, einzuklagen.“
Test im Ukraine-Krieg: Vermutlich mehr als 600 Abwehrsysteme beim Düsseldorfer Rüstungskonzern bestellt
Laut militärischen Fachmedien gilt der Skyranger als ultimative Luftabwehr auf kurze Distanz – im Fachjargon als SHORAD betitelt (Short-Range Air Defense, also Kurzstrecken-Luftverteidigung). Der Skyranger tritt damit das Erbe des Gepards an. Insofern hat der Gepard-Einsatz an der Ukraine-Front, dem Westen die Entwicklung des Skyranger quasi aufgezwungen – und das „skaliert“ die Begehrlichkeiten durch westliche Militärs: „Die Ukraine trägt zur europäischen Sicherheit bei, indem sie militärische Ausrüstung auf dem Schlachtfeld testet, die dann von den NATO-Armeen eingesetzt werden kann“, so Army Recognition. Aufgrund der Beweglichkeit, die durch die Ketten nochmals multipliziert wird, hat diese Form der Luftabwehr enorme Vorteile gegenüber stationären Systemen wie dem deutschen IRIS oder dem norwegischen NASAMS.
Das Handelsblatt beruft sich auf Informationen aus dem Verteidigungsministerium, nach denen für die Bundeswehr „noch in diesem Jahr mehr als 600 Abwehrsysteme beim Düsseldorfer Rüstungskonzern bestellt werden“. Wie das Magazin Europäische Sicherheit & Technik (ESUT) berichtet, waren für die Bundeswehr im vergangenen Jahr zunächst 19 Systeme bestellt worden – „bestehend aus einem Prototyp und 18 Serienfahrzeugen, mit einer Option auf weitere 30 Systeme“, wie ESUT-Autor Gerhard Heiming schreibt. Prinzipiell erlebt die Bundeswehr damit ebenfalls eine Zeitenwende: Sie würde sich ausrüsten mit Waffen, die sich in einem Krieg bewährt hätten und nicht dafür konstruiert worden sind, ihre Praxistauglichkeit in einem kommenden Krieg erst noch beweisen zu müssen.
Insofern könnte sich das bewährte Fahrgestell des Leopard 1 vielleicht auch als ein günstiges und erprobtes Chassis für die Zukunft erweisen. „Die ukrainische Militärerfahrung ist für die Sicherheitsgarantien der Ukraine und die Verteidigungssicherheit Europas im Hinblick auf eine mögliche künftige militärische Konfrontation mit Russland von entscheidender Bedeutung“, schreibt Taras Kuzio. Der Autor des US-Thinktanks „Jamestown Foundation“ erinnert aktuell daran, dass der Technologietransfer allerdings in beide Richtungen funktionieren kann. Rüstungsgüter der Ukraine seien möglicherweise eine Low-Budget-Lösung für High-Tech-Produkte. Wenn eine Bohdana-Haubitze als ukrainisches Produkt Russland am Dnipro in Schach hält, schafft sie das womöglich auch an der Weichsel, an der Elbe oder an der Seine.
Dem Magazin Ukraine Business News zufolge seien ukrainische Unternehmen bereit, ihre Innovationen auch auf Europa auszudehnen – „so dass 97 Prozent der privaten Rüstungsunternehmen mit dem Export von Waffen rechnen. Die meisten Hersteller bevorzugen NATO-Länder für ihre Exporte“. (Quellen: Rheinmetall, Europäisches Parlament, Jamestown Foundation, Army Recognition, Defense Express, Kiyv Post, Verfassungsblog, Handelsblatt, Europäische Sicherheit & Technik, Ukraine Business News) (hz)