Die von unserer Zeitung zum Tag der Schiene vergebenen Tickets für Führungen auf der S21-Baustelle waren heiß begehrt. Auf einer mehrstündigen Rundumtour gab es nun ganz neue Einblicke.
Es sind manchmal die Details, an denen klar wird, wie nahe nach fast zwei Jahrzehnten die Eröffnung des neuen Stuttgarter Bahnhofs inzwischen ist. Auf einem Bahnsteig in der unterirdischen Bahnhofshalle sind die ersten Fliesen verlegt und geben einen Eindruck davon, was in 14 Monaten die Fahrgäste zu Füßen haben.
Granit statt Marmor
Nein, Marmor wie vom Bahnofsarchitekten Christoph Ingenhoven ursprünglich gewünscht, sei es nicht, sagt Maren Dors; „Das ist Granit. Aber made in Germany“. In ihrem Hauptberuf kümmert sich Dors für den bei Stuttgart 21 federführenden Baukonzern Strabag-Züblin um Umweltthemen. Nebenberuflich führt sie schon seit 2019 für das Informationszentrum Infoturm Stuttgart (ITS) über die Baustelle.
Heute sind es 16 Leserinnen und Leser unserer Zeitung, die in Kooperation mit dem ITS, eine Rundum-Tour auf der Baustelle bekommen. Im Rahmen des Tages der Schiene Ende September hatte unsere Zeitung einige der begehrten Plätze für die dreistündigen Bahnhofstouren an Abonnentinnen und Abonnenten vermittelt. Wie sehr die Baustelle fasziniert, zeigte sich schon daran, dass die Touren, kaum waren sie veröffentlicht, gleich restlos ausgebucht waren.
Bis auf eine Teilnehmerin, die vor zwei Jahren schon einmal auf der Baustelle war, besteht die Gruppe, die mit roten Helmen und Warnwesten über die Baustelle stiefeln sozusagen aus S-21 Novizen. Andreas Klein aus Stuttgart ist solch ein Besucher, der sich bisher nicht vertieft mit dem Bahnhofsprojekt auseinandergesetzt hat. „Ich sehe das neutral – und war jetzt einfach nur einmal neugierig“, sagt er: „Das Ganze ist schon sehr beeindruckend.“
Die Führung spart keinen Winkel des künftigen Bahnhofs aus. Die Besucher gehen bereits weitgehend in den Fußstapfen der künftigen Bahnhofsnutzer. Die Eindrücke reichen vom im Juli enthüllten Südportal, über die vollständig mit Gleisen und Oberleitungen ausgestattete unterirdische Bahnhofshalle, über das grundsanierte Gebäude des Bonatzbaus bis hin zum dortigen, im Rohbau fertigen künftigen Hotel.
830 Lastwagen seien vor einer Weile noch an einem Spitzentag über das Bahnhofsdach gerollt, sagt Dors. Doch dieser Trubel sei vorbei: „Die Baukräne haben ihre Arbeit getan.“ Auch der Lieferant der Lichtaugen hat seine vorübergehend auf dem Dach stationierten mehr als 200 Container wieder mitgenommen.
Ein Blick in die Zukunft
Die geschwungenen, verglasten Öffnungen lassen an diesem sonnigen Tag helles Tageslicht in die unterirdische Station. Noch stehen auf den Gleisen nur Güterwagen, die Material anliefern. Die frisch montierten Rolltreppen sind noch mit Schutzfolie umhüllt und überall auf den Bahnsteigen liegt Baubedarf.
Doch wie hier einmal das Bahnhofsleben aussehen wird, ist klar zu erkennen. Und dazu gehört auch die Erkenntnis, dass die ästhethisch beeindruckenste Phase für den Blick auf die Architektur schon wieder vorbei ist. Wer vor zwei Jahren in den Bahnhof hinunterstieg, der sah unverstellte Kelchstützen, bei denen der damals schon großzügige Lichteinfall seine volle Wirkung entfaltete. Nun durchschneidet das Gewirr der über den Gleisen eingehängten Stromschienen das Blickfeld.
Positiver Eindruck von der Architektur
Dem positiven Eindruck der Leserinnen und Leser tat das keinen Abbruch. Ein paar skeptische Fragen zum Gesamtprojekt hatte es vor Beginn der Führung im Infoturm gegeben. „Wenn man jetzt doch dank der Digitalisierung viel mehr Züge auf vorhandenen Gleisen fahren kann – warum hat man dann einen teuren Bahnhof gebaut?“, fragt ein Teilnehmer. Erst in Kombination mit dem neuen Bahnhof seien die nötigen Kapazitäten zu erreichen, sagt Baustellenführerin Dors.
„Was passiert mit der Gäubahn?,“ fragt eine Besucherin. Ihre Bedeutung habe die Strecke eher im Nahverkehr mit Zügen Richtung Rottweil oder Singen, lautet die Antwort. „Aber da fahren doch auch Züge in die Schweiz?“, hakt die Fragerin nach. Am Flughafen sei schon alles für den künftigen Anschluss über einen Tunnel vorbereitet, erwidert Dors.
Ein Skeptiker will nach vorne blicken
An seiner grundsätzlichen Skepsis gegenüber dem Projekt könne solch eine Führung nichts ändern, sagt Martin Idler aus Stuttgart, der den Bahnhof zum ersten Mal so gesehen hat. Er hat sich schon lange mit Stuttgart 21 auseinander gesetzt und war sogar am legendären Schwarzen Donnerstag vor 15 Jahren einer der Demonstranten im Schlossgarten. Ganz am Rand sei das allerdings nur gewesen: „Von den Wasserwerfen bin ich ganz leicht feucht geworden.“
Aber man solle jetzt nicht zurück blicken, sondern positiv nach vorne, sagt er. „Der Bahnhof ist imposanter als auf den Bildern“, sagt er: „Das ist schon ein Bau der für mich Strahlkraft hat.“ Zudem hat er die Erläuterungen der Baustellenführerin, dass der Bahnhof genügend Kapazität habe, positiv aufgenommen. Vielleicht werde der S21-Bahnhof für Stuttgart ja einmal ein Wahrzeichen wie der Fernsehturm, sagt er zum Abschluss der Tour.