Sinnloser Geschlechter-Kampf?
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Wie Testspiele gegen männliche Junioren die Wahrnehmung des Frauenfußballs beschädigen
Sa 11.10.25 | 08:00 Uhr | Von Fabian Friedmann
Bild: Matthias Koch
Frauenmannschaften müssen in Testspielen teils hohe Niederlagen gegen männliche Jugendteams einstecken – dazu gibt es in den sozialen Medien gehässige Kommentare. Warum finden diese Spiele überhaupt statt? Von Fabian Friedmann
- einige Vereine erhoffen sich für ihre Frauen-Teams Impulse durch Tests gegen männliche Nachwuchs-Mannschaften
- Niederlagen der Frauen-Mannschaften werden in den Medien verkürzt und hämisch dargestellt
- Kritiker ziehen sportlichen Mehrwert der Tests in Zweifel und befürchten negative Wahrnehmung des Frauenfußballs
- Sportwissenschaftler und Trainer sehen zudem erhöhtes Verletzungsrisiko bei Spielerinnen
Auf den ersten Blick erscheint die Niederlage vernichtend. Anfang September testen die Regionalliga-Fußballerinnen von Hertha BSC gegen die vereinseigenen U14-Junioren. Endstand: 1:9.
Die „Bild“ titelt: „Oh je! Hertha-Frauen verlieren 1:9 gegen 13-jährige Jungs.“ In den Sozialen Netzwerken gehen Hohn und Spott auf die Mannschaft nieder. Ein Video auf Tiktok von „LamineTheDream“ [TikTok], das mittlerweile über 150.000 Aufrufe hat, endet mit den Worten: „Das mit dem gleichen Gehalt könnt ihr euch abschminken.“
Existiert ein sportlicher Mehrwert?
Zwei Wochen später verliert die Mannschaft erneut ein Testspiel gegen ein Team aus dem eigenen Hertha-Nachwuchsleistungszentrum (NLZ), diesmal gegen die U15 mit 1:12. Wieder greift der Berliner Boulevard das Thema negativ auf [bild.de].
Aber warum lassen sich Vereine immer wieder auf den ungleichen Geschlechterkampf ein, wenn sie doch so kontraproduktiv für die öffentliche Wahrnehmung des Frauenfußballs sind?
Hertha BSC sieht es als wichtigen Test
Der Verein Hertha BSC geht nach dem negativen medialen Echo transparent mit den Ergebnissen um, sieht die Spiele als „wichtigen Test für den Lernprozess“, wie der Klub auf seiner Webseite am 24. September öffentlich macht [herthabsc.de].
Kapitänin Clara Dreher teilt die Einschätzung in einem Video, das am gleichen Tag auf dem Instagram-Profil der Hertha-Frauen erscheint: „Wir sind der Meinung, dass diese Tests durchaus zweckhaft sind. Denn wir wollen besser werden, handlungsschneller werden, die richtige Intensität in unsere Zweikämpfe bekommen. Und das lernst du einfach deutlich schneller in einem Testspiel gegen Jungs“, so die 24-Jährige. Die negativen Kommentare würden sie „nicht tangieren“, solange man in der Liga erfolgreich bleibe. Aktuell ist ihre Mannschaft Tabellenführer in der Regionalliga Nordost.
Lena Cassel: „Testspiele absolut sinnfrei“
Eine entschiedene Gegnerin solcher Testspiele ist Lena Cassel. Die ehemalige Regionalliga-Spielerin und heutige TV-Moderatorin hat selbst einige Vorbereitungsspiele gegen Jungs bestritten. „Ich fand es demotivierend und habe es damals schon nicht verstanden, warum wir das machen“, sagt sie.
Besonders die ungleichen körperlichen Voraussetzungen seien aus ihrer Sicht für hohe Niederlagen verantwortlich gewesen. „In jedem Laufduell ziehst du den Kürzeren. Die körperlichen Unterschiede sind eklatant und ich glaube, das ist auch einer der Gründe, warum diese Testspiele für mich absolut sinnfrei sind.“
Darüber hinaus sieht Cassel solche Spiele als kontraproduktiv für die Außendarstellung des Frauenfußballs: „Das befeuert eine Debatte, die überhaupt nicht da sein sollte. Es gibt einen Nährboden und pflanzt den Gedanken weiter, dass der Frauenfußball in irgendeiner Form mit dem Männerfußball vergleichbar sei.“
Negative Folgen würden dabei den sportlichen Wert solcher Tests in den Schatten stellen. Darum fordert Cassel mehr Feingefühl von den Verantwortlichen in den Vereinen: „Denn leider wissen wir alle, wie verkürzt das dann in den Sozialen Medien dargestellt wird.“
Lena Cassel, TV-Moderatorin und ehemalige Regionalliga-Spielerin
Turbine testet ebenfalls gegen Junioren
Ein verantwortlicher Trainer, der mit seiner Mannschaft ebenfalls solche Tests absolviert, ist Turbine Potsdam-Trainer Kurt Russ. Seine Zweitliga-Fußballerinnen traten im Juli gegen die U15 vom RSV Eintracht aus Stahnsdorf an. Er habe bewusst nicht gegen ein Team aus einem NLZ getestet, so Russ, „denn gegen die hast du keine Chance.“
Russ achte bei der Auswahl der männlichen Teams darauf, dass sie taktisch weniger gut ausgebildet seien. „Sonst habe man gar keine Räume.“ Sein Team verlor trotzdem mit 1:4. Eine Partie gegen die U17 der Eintracht lehnt Russ dagegen ab, zu groß wären die körperlichen Unterschiede gewesen
Aber warum lässt er überhaupt gegen männliche Gegner spielen? Die Spielsimulation gegen einen überlegenen Gegner nennt Russ als Hauptgrund. Er könne so eine defensive Spielweise und das schnelle Umschalten seiner Mannschaft trainieren. Um Zweikampf-Intensität ginge es ihm nicht. Ohnehin betont der Turbine-Trainer, dass er den Test sofort abgebrochen hätte, wäre die Partie zu ruppig geworden. Denn die Sorge um Verletzungen sei bei solchen Spielen allgegenwärtig.
Sportwissenschaftler sieht sportlichen Mehrwert unter Auflagen
Von einem erhöhten Verletzungsrisiko spricht auch der Sportwissenschaftler Martin Jedrusiak-Jung von der Deutschen Sporthochschule Köln. Spiele von Frauen gegen eine U17, U19 oder gar Männermannschaft lehne er deshalb ab, weil der Fußballsport als sehr physisches Spiel gelte und die körperlichen Unterschiede zwischen den Geschlechtern im Leistungsbereich zu extrem seien.
Ein Beispiel: Bei schnellen männlichen Fußballern liegen die maximalen Sprintgeschwindigkeiten zwischen 35 und 37 Kilometern pro Stunde. Bei Frauen sind es 30 bis 32 Stundenkilometer. Das entspricht den Sprintgeschwindigkeiten von schnellen 14- bis 15-jährigen Junioren. Technische und taktische Fähigkeiten der Spielerinnen können derlei körperliche Unterschiede auf Topniveau kaum ausgleichen.
Jedrusiak-Jung, der bereits als Co-Trainer für die U16-Auswahl des Deutschen Fußball-Bunds (DFB) mitverantwortlich war und Nationalspieler wie Angelo Stiller trainiert hat, plädiert daher für Tests, die den Spielerinnen auch weiterhelfen. In Partien gegen U14- oder U15-Junioren könne man das schnellere Spiel verbessern, dazu die Handlungsschnelligkeit und kognitive Prozesse. „Das kann schon Sinn machen“, so Jedrusiak-Jung über die sportlichen Mehrwerte. „Wichtig ist aber, dass man für die Außendarstellung in Kauf nimmt, dass das Ergebnis nicht das Entscheidende ist, sondern der Prozess des Spiels.“
Cassel: Öffentlichkeit kann nicht differenzieren
Doch genau da liege das Problem, findet Lena Cassel. In die Öffentlichkeit werde oft nur das blanke Ergebnis transportiert, weshalb viele Vereine versuchten, solche Spiele unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden zu lassen – bei Hertha BSC zuletzt offensichtlich mit mäßigem Erfolg.
Aufgrund der viel zu geringen Differenzierung in der Gesellschaft würden laut Cassel solche Spiele dann nur folgendes Narrativ bedienen: „Seht her, wieder ein Beweis dafür, dass der Frauenfußball kein ernstzunehmender Sport ist, dass Profifußballerinnen kein Recht darauf haben, mehr Gehalt zu fordern, geschweige denn auf die Gender Pay Gap im Fußball aufmerksam zu machen, weil sie gegen Jungs verlieren.“
Die Problematik sieht auch Martin Jedrusiak-Jung. „Ich würde nicht ad hoc sagen, dass solche Tests abzulehnen sind: Aber zwischen sportlichem Mehrwert und der Außendarstellung sind sie organisatorisch ganz klar gegeneinander abzuwägen.“
Hysterie um Schweizer Nationalmannschaft
Vor der diesjährigen Europameisterschaft der Frauen in der Schweiz hatte ein geheimes Testspiel für Aufsehen gesorgt. Damals spielte die Schweizer Auswahl gegen die U15-Junioren des FC Luzern und verlor mit 1:7. An die Öffentlichkeit gelangte das Ergebnis durch ein geleaktes Social-Media-Video. Die mediale Aufregung vor der EM war groß. Dass das Team zuvor mit 2:1 gegen ein weiteres Junioren-Team gewonnen hatte, ging in der medialen Hysterie fast komplett unter.
Und wen man auch fragt, ob Spielerinnen, Vereinsfunktionäre, Trainer oder Sportwissenschaftler, in einem sind sich alle einig: Der Vergleich zwischen Frauen- und Männerfußball muss aufhören. Er mache aufgrund der unterschiedlichen körperlichen Voraussetzungen schlichtweg keinen Sinn.
Sendung: rbb24 Inforadio, 15.10.2025, 10:15 Uhr
Auf Basis einer norwegischen Studie wurden in einem Fußball-Experiment in der Schweiz die körperlichen Voraussetzungen von Frauen an die der Männer angepasst. Das Spielfeld und die Tore wurden vergrößert, die Spielzeit verlängert und der Ball ebenfalls größer gemacht. Unter diesen Bedingungen wurde ein Testspiel zweier männlicher Jugendteams durchgeführt – mit interessantem Ergebnis. Der entstandene Beitrag von 3Sat ist in der ZDF-Mediathek zu sehen.
Beitrag von Fabian Friedmann