Uraufführung am Maxim-Gorki-Theater
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Tindern für den Frieden
Sa 11.10.25 | 11:48 Uhr | Von Barbara Behrendt
Mai Foto/Ute Langkafel
Audio: rbb24 Inforadio | 11.10.2025 | Behrendt, Barbara | Bild: Mai Foto/Ute Langkafel
Orit Nahmias nimmt den Titel ihrer neuen Stand-up-Comedy-Show „Make Love Not War“ wörtlich: Als geschiedene Frau Ende 40 will sie endlich als Sexobjekt gesehen werden, nicht als Israelin. Eine sexpositive und zugleich politische Gruppentherapie. Von Barbara Behrendt
Soll sie es wirklich sagen? Orit Nahmias zögert, als sie die kleine Studiobühne im Maxim-Gorki-Theater betritt. Aber es hilft ja nichts. „Ja, ich bin Israelin“, bekennt sie entschuldigend. „Das heißt allerdings nicht, dass ich pro Israel bin.“
Vom Publikum wünscht sie sich nur eines: „Seht mich heute Abend nicht als Israelin. Seht mich als Sexobjekt.“ Unter unseren Identitäten seien wir doch alle schlicht „horny human beings“. Doch weil es nicht nur sexpositiv zur Sache geht, sondern auch politisch, warnt sie: „Manches wird dir nicht gefallen. Aber wenn du dich angegriffen fühlst, ist das ein gutes Zeichen – du hast noch ein Herz!“
„Make Love Not War“ ist ein guter Titel für Orit Nahmias‘ neue Stand-up-Comedy-Show: John Lennon und Yoko Ono machten den Satz 1969 zum Hippie-Slogan der Friedensbewegung während des Vietnam-Kriegs – die israelische Schauspielerin nutzt nun die Tinder-Dating-App zur Völkerverständigung in Berlin.
Sarkastisch, schlagfertig, schamlos
Orit Nahmias ist in den Inszenierungen der erfolgreichen israelischen Regisseurin Yael Ronen am Gorki-Theater bekannt geworden. In deren Stücken spielt sie oft Ronens sarkastisches, schlagfertiges, schamloses, aber immer auch verletzliches Alter Ego. Sie benennt stets den Elefanten im Raum und beherrscht die Kunst, allen im Publikum innerhalb einer Stunde zur besten Freundin zu werden.
Ihre erste eigene Stand-up-Show am Gorki hieß vor acht Jahren „Female Shit“ und war ziemlich großartig. Darin nahm sie die Geburt ihres Sohnes, ihr Eheleben, ihre Therapeutin und ihren dementen Vater in Israel sehr taktlos aufs Korn. Die neue Show schließt biografisch daran an. Mittlerweile ist Nahmias geschieden und fährt mit dem Publikum Dating-Achterbahn: ein Stuhl, eine leere Bühne und ein Pointen-Feuerwerk über die Tinder-Erlebnisse einer Frau Ende 40, die weiß, was sie will – guten Sex.
Eine warmherzige Gruppentherapie
Das ist nun nicht gerade das allerneuste Thema für eine Comedy-Show. Und mitunter droht die Show auch tatsächlich in schlichte Anekdoten über 28-jährige Boys abzudriften, die „so hot“ waren, sich dann aber aus diesem oder jenem Grund als Totalausfälle beim Geschlechtsakt herausstellten.
In den besseren Momenten ist der Abend jedoch das, was er bei Orit Nahmias meistens ist: eine warmherzige Gruppentherapie mit zwischenmenschlicher Verständigung und psychologischen Erkenntnissen. Mit schöner Selbstverständlichkeit verfolgt sie ihre Lust nach Sex und Orgasmen – ohne ihre jungen Lover austauschbar zu machen oder sich von ihrer eigenen Scham kleinkriegen zu lassen.
Und je ehrlicher sie dabei zu sich steht, je mehr Intimität entsteht bei ihren Sexdates. Etwa mit dem jungen Russen, der nach dem Sex und einem Gespräch mit ihr endlich wieder seine Mutter kontaktiert. Wozu noch eine Therapeutin bezahlen, wenn man sich im Arm des anderen heilen kann? Augenzwinkernd verklärt Nahmias Tinder zur universellen Plattform für den Frieden – und sich selbst zur Friedensaktivistin.
Die politischen Punchlines sind dabei des Öfteren hart an der Geschmacksgrenze. Etwa, wenn Nahmias mit einem Mann ins Bett geht, auf dessen Rücken ein fettes Hakenkreuz prangt. „Nie wieder!“ sagt sie sich danach – wie die Deutschen nach dem Holocaust. Oder wenn sie das Wort Monogamie kaum über die Lippen bringt: „Monogamie ist noch schwieriger zu sagen als Genozid.“
Andere politische Kapitel sind dagegen stark. Nach dem 7. Oktober 2023 und dem Beginn des Gaza-Kriegs, erzählt Nahmias, wird ihre israelische Identität auch auf Tinder zum Hindernis. Ganz im Sinne von „Fuck Israel“, ein Satz, der in Berlin an jeder Toilettenwand prangt, geht sie nun nur noch mit Israelis ins Bett. Bis sie sich eine nicht-jüdische Fake-Identität zulegt und die Dates wieder sprudeln. So viel zum Thema Antisemitismus.
Nach dem 7. Oktober werden aber auch ihre vermeintlichen Sexorgien zum Problem. Ein Nachbar beschwert sich über das ewige, laute Gejammer aus ihrer Wohnung – dabei hatte sie schlicht wochenlang durchgeheult.
Ein kleiner Abend, der bei allem Witz Schmerzpunkte offenlegt. Und der, das muss man bei diesem Thema erstmal schaffen, eine Gemeinschaft der Nähe und Verständigung mit dem Publikum herstellt.
Sendung: rbb24 Inforadio, 11.10.2025, 9:50 Uhr
Beitrag von Barbara Behrendt