Jürgen Gremmelmaier ist Generalstaatsanwalt in Karlsruhe. Im Interview spricht er über Cyberverbrechen, Kindesmissbrauch im Netz und die Zusammenarbeit mit den USA.

Jürgen Gremmelmaier ist seit Januar 2025 Generalstaatsanwalt in Karlsruhe, davor leitete er viele Jahre die Staatsanwaltschaft Karlsruhe.

Jürgen Gremmelmaier ist seit Januar 2025 Generalstaatsanwalt in Karlsruhe, davor leitete er viele Jahre die Staatsanwaltschaft Karlsruhe. Mit dem neuen Cybercrime-Zentrum verantwortet die Generalstaatsanwaltschaft eine zentrale Aufgabe für das Land.

Foto: Theo Westermann

10. Okt 2025  |  16:30 Uhr

5 Minuten

Jürgen Gremmelmaier ist seit Januar 2025 Generalstaatsanwalt in Karlsruhe, davor leitete der 64-jährige Jurist die Staatsanwaltschaft Karlsruhe. Zur Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe gehört das neue Cybercrime-Zentrum, dass das Land 2024 einrichtete, um effektiver gegen Verbrechen im Netz, etwa Kindesmissbrauch, vorzugehen.

Erste Bewährungsproben

Unsere Redaktion sprach mit Gremmelmaier über erste Bewährungsproben, die immer schlimmeren Auswüchse des Kindesmissbrauchs im digitalen Raum – und den weiteren guten Kontakt in die USA bei der Verbrechensbekämpfung.

Seit eineinhalb Jahren gibt es nun das Cybercrime-Zentrum in Karlsruhe, mit hohen Erwartungen von Politik und Justiz begleitet. Alles, was man bisher mitbekommt, scheint auf einen Erfolg hinzudeuten.

Gremmelmaier

Es ist in der Tat ein Leuchtturmprojekt, es hat sich nach eineinhalb Jahren schon total bewährt, ich verweise auf vielfache erfolgreiche Ermittlungen seit Beginn. Wenn man es nicht hätte, müsste man es neu erfinden.

Justizministerin Marion Gentges (CDU) und die Fachleute der Landesjustiz haben im Vorfeld ähnliche Einrichtungen in anderen Bundesländern besucht, beispielsweise in Bamberg. Das bayrische Zentrum dort ist rund um die Uhr einsatzfähig. Funktioniert dies auch in Karlsruhe?

Gremmelmaier

Bayern hat mit Bamberg bereits zehn Jahre ein derartiges Zentrum, wir haben uns stark daran orientiert. Wir haben beispielsweise ebenfalls einen Bereitschaftsdienst rund um die Uhr, vergleichbar mit den Staatsanwaltschaften.

Ein großer Teil der Arbeit des Cybercrime-Zentrums gilt dem Kampf gegen Kindesmissbrauch und Kinderpornografie im Netz. Die Zahlen steigen, Ihre Dienststelle wird mit Fällen überhäuft. Schaffen Sie das überhaupt noch?

Gremmelmaier

Das Cybercrime-Zentrum ist für die herausragenden Fälle und Ermittlungen zuständig. Die Staatsanwaltschaften können uns Fälle vorlegen, dann prüfen wir, ob das Verfahren höhere Bedeutung hat, auch was die Schwere, den Schaden oder die Art der Ausführung angeht, ob umfangreiche technische Ermittlungen notwendig sind. Andernfalls sind weiter die Staatsanwaltschaften vor Ort zuständig.

Viele der Erkenntnisse in diesem Bereich verdankt das Cybercrime-Zentrum Hinweisen von US-Behörden, vor allem auch vom halbstaatlichen „National Center for Missing and Exploited Children“. Nun sind die Beziehungen Deutschlands zu den USA aktuell bekanntlich heftigen Schwankungen unterworfen. Wirkt sich das in der Zusammenarbeit mit US-Behörden irgendwie negativ aus?

Gremmelmaier

Wir bekommen circa 100 Fälle, beziehungsweise Hinweise, aus den USA alleine in der Woche in Sachen Kinderpornografie, bei denen die Täter in Baden-Württemberg sitzen. Dann schauen wir, ob es herausragende Fälle sind, etwa mit neuen Bildern, neuen Videos, neuen Herangehensweisen der Täter, auch um eine einheitliche Rechtsanwendung zu sichern. Da hat sich kein Wandel durch den Wechsel der Administration in den USA ergeben, es gibt keinerlei Verschlechterung der Zusammenarbeit. Dies gilt für sämtliche US-Behörden, mit denen wir Kontakt haben, vom FBI bis zu den Staatsanwaltschaften.

Ohne die Hinweise aus den USA wären unsere Sicherheitsdienste blind und taub, pflegte einst ein früherer Generalbundesanwalt zu sagen. Sehen Sie das genauso?

Gremmelmaier

Das ist eigentlich mehr ein Thema des Staatsschutzes, vor allem mit dem Blick auf den Kampf gegen den Terror. Aber natürlich haben wir beim Thema Vorratsdatenspeicherung Defizite im Vergleich zu den USA, speziell beim Kampf gegen Kindesmissbrauch. Ein Beispiel: Wenn wir nur drei Wochen Speicherfrist bei den digitalen Verbindungsdaten hätten, so hat einst das BKA festgestellt, könnten wir schon bei 90 Prozent der kinderpornografischen Straftaten die Anschlussinhaber feststellen. Das wäre dann ein erster Schritt, dass wir ermitteln können.

Sämtliche Generalstaatsanwälte in Deutschland, auch Ihre Amtsvorgänger in Karlsruhe, haben für die Vorratsdatenspeicherung gekämpft. Auch Justizministerin Gentges fordert diese von der Bundesregierung ein, aber bisher vergebens. Bleiben Sie ebenfalls ein Rufer in der Wüste?

Gremmelmaier

Nun steht die Vorratsdatenspeicherung im Koalitionsvertrag von Union und SPD. Wie sie dann ausgestaltet wird, weiß man nicht. Aber momentan sieht es so aus, als ob eine gesetzliche Regelung kommt.

Die Mitarbeiterzahl des Cybercrime-Zentrums ist noch ausbaufähig, es fehlen Ihnen von sechs geplanten IT-Forensikern noch vier. Woran liegt es? Eigentlich war ein Grund für die Standortwahl das gute personelle Umfeld in Sachen IT in Karlsruhe.

Gremmelmaier

Wir merken am Ergebnis der Bewerbungsgespräche, dass in aller Regel die Besoldungsfrage entscheidend ist. Auch wenn schon Mitarbeiter aus dem IT-Bereich zu uns gekommen sind, mit einer klaren intrinsischen Motivation, weil sie die Arbeit als wertvoll und wichtig empfinden. Bisher sind die Stellen aber im gehobenen Dienst angesiedelt, es bewerben sich Leute mit abgeschlossenem einschlägigem Studium. Da wäre es angemessen, sie in den höheren Dienst einzugruppieren, vergleichbar etwa mit den sogenannten Wirtschaftsreferenten bei den Schwerpunktstaatsanwaltschaften für Wirtschaftskriminalität. Wir haben das auch adressiert an den politischen Raum, an das Ministerium, an die Fraktionen, die das Cybercrime-Zentrum besucht haben.

Wie halten die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, speziell jene, die tagtäglich mit Ermittlungen in Sachen Kinderpornografie und Kindesmissbrauch beschäftigt sind, das aus? Gibt es Hilfe oder regelmäßige Supervisionen?

Gremmelmaier

Natürlich muss man darauf schauen, wie die Kollegen mit dieser Belastung umgehen. Einige von ihnen hatten auch bisher schon bei ihren vorherigen Verwendungen mit diesem Thema zu tun. Die Tätigkeit ist belastend. Man muss versuchen, dies nicht so nahe an sich heranzulassen. Eine generelle Supervision ist nicht vorgesehen, aber wenn ein Kollege sagt, er hat Probleme, dann reagieren wir natürlich darauf. Da haben die Abteilungsleiter ein Auge darauf. Aber jeder, der hier arbeitet, weiß auch, worauf er sich einlässt.

Sie schauen immer auf die neuesten Entwicklungen. Was ist denn aktuell ein neues brennendes Thema im Bereich Kindesmissbrauch und Kinderpornografie?

Gremmelmaier

Was wir aktuell verstärkt feststellen, ist ganz abscheulich, nämlich sogenannter Live-Distant-Child-Abuse. Was heißt, der Beschuldigte sitzt vor seinem Rechner. Per Videoverbindung in ein anderes, zumeist ärmeres Land steuert er durch seine Befehle, wie ein Kind, beispielsweise auf den Philippinen, zu missbrauchen ist. Da läuft einem schon ein Schauer über den Rücken, wenn man die Anklage liest.

Wie gehen Sie gegen so jemanden vor?

Gremmelmaier

Wenn der Täter dieses Video abspeichert, hat man ihn und das Video. In aller Regel kommen die Hinweise aus den Ländern vor Ort, oft sind die ausländischen Dienste an dem Täter auch schon dran. Das sind dann aber nicht nur US-Dienste, sondern alle möglichen westlichen Dienste.

Wir blicken mal auf den weiteren wichtigen Bereich, den Kampf gegen Cyberbetrug in all seinen Spielarten. Auch hier explodieren die Zahlen. Wie sieht Ihre Antwort aus?

Gremmelmaier

Cyberverbrechen sind das Deliktfeld, das die stärksten Zuwachsraten hat, da gehört der ganze Betrugsbereich dazu. Ich will als Beispiel einen bestimmten Anlagebetrug im Internet nennen, da haben unsere Ermittler 800 Seiten beschlagnahmt. Wir haben sie gesperrt und auf eine Warnseite umgeleitet. Wir hatten in wenigen Wochen 21 Millionen Zugriffe, alles Menschen, die wir darauf hingewiesen haben, dass sie Opfer eines Betruges geworden wären. Da kamen wir zwar nicht an die Täter ran, aber wir konnten ihr Geschäftsmodell, ihre Strukturen zerschlagen. Bei solchen Betrügereien hat man bisher auf Anzeigen gewartet und dann ermittelt, wenn der Schaden eingetreten war. Wir setzen jetzt schon früher an. Wer Finanzdienstleistungen anbietet, braucht eine Genehmigung der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). Diese fehlt den Betrügern. Das ist schon mal ein erster Ansatz, wo wir ermitteln können. Inzwischen haben wir also einen starken Fokus auch auf das Thema Prävention.

Es hat zwar nichts direkt mit dem Cybercrime-Zentrum zu tun, aber passenderweise ist die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe auch Kompetenzzentrum für Vermögensabschöpfung, auch mit einem klaren Fokus auf digitale Kryptowährungen. Wie kam das?

Gremmelmaier

2017 wurde die Vermögensabschöpfung rechtlich neu geregelt und die Gewinnabschöpfung grundsätzlich zwingend. 2019 wurde die Zentralstelle für Vermögensabschöpfung bei uns angesiedelt. Wir sind aber nur unterstützend tätig, ermitteln nicht selbst, sondern bilden Staatsanwälte oder Rechtspfleger fort. In der Tat gehört die Verwahrung von Kryptowährung zu unseren Aufgaben, sie wird ja auch gerne für alle möglichen Straftaten genutzt, etwa für Erpressung. So funktioniert ja die Erpressung durch sogenannte Ramsomware. Es ist eine Sisyphusarbeit, die Ströme dieses Ersatzgeldes nachzuvollziehen. Aber da sind unsere IT-ler mit an Bord. Bisher haben wir einen unteren Millionenbetrag gesichert und für die Landeskasse oder die Geschädigten verwertet.

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