Nach dem Abgang der Kommissarin Gorniak ermitteln Winkler und Schnabel jetzt im Duo. In «Siebenschläfer» wird ein Jugendheim zum Schauplatz für systemisches Versagen. Das Sozialdrama entwickelt Dynamik, aber für den Dresdner «Tatort» ist das nicht genug.

Claudia Schwartz12.10.2025, 05.30 UhrPeter Schnabel (Martin Brambach), Leonie Winkler (Cornelia Gröschel). Die Kommissare kommen zum ersten Mal an den Tatort, an dem das Mädchen Lilly-Marie Reuter tot aufgefunden worden ist.

Peter Schnabel (Martin Brambach), Leonie Winkler (Cornelia Gröschel). Die Kommissare kommen zum ersten Mal an den Tatort, an dem das Mädchen Lilly-Marie Reuter tot aufgefunden worden ist.

Der Ausflug ins Sozialdrama bedeutet oft den Tod des Sonntagabendkrimis. Die neue Dresdner Folge, in der der Kriminalhauptkommissar Schnabel (Martin Brambach) und die Kriminaloberkommissarin Leonie Winkler (Cornelia Gröschel) erstmals zu zweit ermitteln, leiht sich den kuschligen Namen «Siebenschläfer» von einem Heim für Heranwachsende. Hier packt zum Auftakt ein Mädchen (Dilara Aylin Ziem) seine Sachen – eine Flasche Wodka inklusive. Es soll wohl etwas Endgültiges sein.

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Die Jugendliche flüchtet nicht allein, sondern mit ihrem Freund Pascal (Florian Geisselmann). Am nächsten Morgen wird die Sechzehnjährige tot aufgefunden, von Pascal fehlt jede Spur.

«Er hat nur uns»

Die Kriminaltechnik vermeldet einen Tod durch Ertrinken. Unklar bleibt, ob das Mädchen «gefallen, gesprungen oder mit Gewalt unter Wasser gedrückt» worden ist. Im Heim, in dem Lilly mit 14 weiteren Heranwachsenden lebte, stossen die Ermittler auf passiven Widerstand. Die frostige Heimleiterin (Silvina Buchbauer), nach Verwandten und Freunden des verschwundenen, zu Aggressionen neigenden Pascal gefragt, antwortet: «Er hat nur uns.» Man darf das als gruselige Drohung lesen.

Musste Lilly tatsächlich vor ihrer Mutter beschützt werden, wie der Jugendamtsleiter (Peter Moltzen) behauptet, wenn er ausführt, dass eine Familie «eine Hölle» sein kann? Und was hat der zuständige Psychiater (Hanno Koffler) zu verbergen in seiner durchgestylten Altbau-Praxis in unterkühltem Weiss?

Schnabel – er war selbst zu DDR-Zeiten eine Zeitlang im Heim wegen angeblicher Überforderung seiner Mutter «mit der sozialistischen Erziehung» – ist überzeugt, dass hier irgendwas nicht stimmt; er vergisst für einen Moment die professionelle Distanz und begeht einen verhängnisvollen Fehler. Sein Gespür aber wird sich als richtig erweisen. Die Frage steht im Raum, ob mit dem Eintritt in ein Heim die Abwärtsspirale unaufhaltbar ist.

Zwar funktioniert die Kriminalgeschichte besser als erwartet trotz dem Ansinnen, mit diesem «Tatort» Betroffenheit erzeugen zu wollen. Aber die Drehbuchautorinnen (Silke Zertz und Frauke Hunfeld) fallen in der Milieuzeichnung manchmal ins Klischee des Achtziger-Jahre-Sozialdramas zurück. Etwa wenn der Hausmeister den Jugendlichen in altbackener Autorität hinterherschreit, sie sollten doch endlich mal das Gartentor zumachen.

Auch bei der Neudefinition von Schnabels Rolle als Winklers Ermittlerkollege wirkt manches papieren. Etwa wenn Winkler – «He he, Herr Schnabel» – mit ihrem Einweg-Handschuh fuchtelt, weil der Chef am Tatort mit blosser Hand nach dem «Journal» der Toten greift. «Journal ist so eine Art Tagebuch oder was?», muss dieser dann auch noch fragen. Mag Schnabel den Polizistinnen mit seiner vorlauten Art öfters Steine in den Weg gelegt haben, durch vorgestrige Dumpfheit war er bis anhin nicht aufgefallen.

Vermisst: Kommissarin Gorniak

Wenn am Ende ein Mörder wie eine Notlösung aus dem Hut gezaubert wird, vermisst man definitiv den rasanten Dresdner «Tatort», von dem sich Karin Gorniak (Karin Hanczewski) mit «Herz der Dunkelheit» verabschiedete.

Mit dem Trio Gorniak-Winkler-Schnabel hatte sich ein eigener Thrill im «Tatort»-Reigen etabliert, intensiv und mit einem so minuziösen wie gepflegten Blick aufs Grauen. Dahinter sollte man nicht zurückfallen, auch wenn Schnabel nun sehr schön ein Thomas-Brasch-Gedicht zitiert.

Florian Geisselmann spielt schillernd Lillys Freund Pascal, der unter Mordverdacht steht.

Florian Geisselmann spielt schillernd Lillys Freund Pascal, der unter Mordverdacht steht.

«Tatort» Dresden am Sonntag um 20.05 auf SRF 1 und 20.15 Uhr in der ARD.