
Seit Markus Lewe im Juni letzten Jahres ankündigte, dass er nicht erneut zur Wahl des Oberbürgermeisters antreten wird, war bei öffentlichen Anlässen immer wieder der gleiche Satz zu hören, „Das macht er jetzt wohl zum letzten Mal“. Sei es die Eröffnung des Weihnachtsmarktes, des Schauraums oder auch die letzte Ratssitzung unter seiner Leitung Anfang September. ALLES MÜNSTER blickt im vermutlich letzten Interview mit Markus Lewe auf 16 Jahre als Stadtoberhaupt zurück. Eine Zeit mit Höhen und Tiefen.
Als Angela Merkel nach 16 Jahren aus dem Amt der Bundeskanzlerin ausschied, gab es in Deutschland eine Generation junger Menschen, die sich kaum daran erinnern konnte, dass das Land mal ein anderes Staatsoberhaupt hatte. Ähnlich in Münster, wer jetzt in der Ausbildung oder im Studium steckt, kennt keinen anderen münsterschen Oberbürgermeister als Markus Lewe. Wie erinnert sich Lewe an seinen ersten Tag am 21. Oktober 2009 am Schreibtisch des Oberbürgermeisters? „Ich kann mich gut an den Tag erinnern, der Schreibtisch war da gar nicht so wichtig. Der erste Tag war da, um mit den Besuchen, die ich vorgenommen habe, deutlich zu machen, was eigentlich wichtig ist für diese Stadt. Da gehörte die Bahnhofsmission genauso dazu wie der Flughafen, das Max-Planck-Institut für molekulare Zellforschung oder auch das Denkmal des Kardinal von Galen. Es waren Orte, die die Diversität dieser Stadt abgebildet haben, die Vielfalt, die Ehrenamtlichkeit, aber auch die Hauptamtlichkeit.“
Am Schreibtisch wurde dem frischgebackenen Oberbürgermeister klar, dass er nun auch der Chef einer sehr großen Verwaltung war. Eine große Unterstützung sei dabei der damalige OB-Dezernent Rainer Uetz gewesen: „Er hat das wirklich mit einer unfassbaren Tiefe und Leidenschaft betrieben, mit Souveränität und Uneitelkeit. Das ist jemand, der wirklich in jeder Beziehung vorbildhaft war – schnell, schlau und auch loyal“. Rückblickend erinnert sich Lewe an viele spannende und berührende Begegnungen. Margot Friedländer gehöre dazu, aber auch viele Menschen, die eher im Hintergrund die Dinge am Laufen halten. So ist er mit Kanalarbeitern in Münsters Untergrund abgestiegen: „Ich habe einen Wahnsinns-Respekt vor diesen Menschen, die diese Aufgabe für uns täglich erledigen und die wir überhaupt nicht auf dem Schirm haben. Mich haben auch immer Menschen fasziniert, die aus persönlichem Leid heraus eigene Initiativen ergriffen haben. Solche Begegnungen sind sehr kostbar!“

Ein Start in unruhigen Zeiten
Dabei war der Einstieg in das Amt des Oberbürgermeisters alles andere als einfach. Deutschland steckte in einer Finanzkrise, die auch Münster traf. Um die Auswirkungen aufzufangen, wurde unter anderem die Gewerbesteuer in Münster erhöht. Ein Prozess, der von vielen, schwierigen Gesprächen begleitet wurde. Doch dann wendete sich das Blatt, während andere Kommunen stagnierten oder schrumpften, begann Münster zu wachsen. 2009 hatte Münster 275.543 Einwohnerinnen und Einwohner, heute sind es 322.259. In den letzten 16 Jahren sind rund 65.000 neue sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze hinzugekommen, eine Leistung, die in NRW nahezu einmalig ist. Infrastruktur musste geschaffen werden: „Das Thema Schulen und Kitas war immer wieder mein Leidenschaftsthema. Dass jedes Kind die Chance hat, sich bewegen zu können. Sportanlagen und auch Schwimmbäder und natürlich auch bezahlbarer Wohnraum mussten geschaffen werden.“

Auch Krisen gehörten zur Amtszeit von Markus Lewe. Das Schneechaos Ende 2010, Hochwasser 2014, die große Zahl Geflüchteter 2015, die Amokfahrt am Kiepenkerl 2018 und natürlich Corona. Zu Beginn seiner Amtszeit sei die Sorge groß gewesen, dass Firmen und Behörden aus Münster abgezogen werden. Gerade durch persönliche Beziehungen sei es dem Stadtoberhaupt jedoch gelungen, unter anderem die Oberfinanzdirektion und die Landwirtschaftskammer in Münster zu halten. Und dann war da doch noch die Sache mit dem Musikcampus. „Der Prozess ist ja nicht abgeschlossen. Es geht zunächst generell um die Grundfrage: Was ist es uns wert, die hochqualitative, aber auch weitverbreitete Musik in Münster vernünftig zu verorten. Die Idee, das mit der Universität zusammen zu machen, war eine gute. Sie hätte zu einem bestimmten Zeitpunkt auch umgesetzt werden können, als auch vom Land die entsprechenden Mittelzusagen in Aussicht gestellt wurden. Aber durch diese intensive politische Diskussion hat sich das Ganze natürlich verzögert. Es ändert aber nichts daran, dass wir an dem Thema weiterarbeiten und auch Lösungen oder Lösungsansätze haben, die dann durch meinen Nachfolger oder wen auch immer mal vorgestellt werden können. Da gibt es sehr, sehr interessante Modelle, sodass ich glaube, dass irgendwann mal auf diesem Ei, auf dem die Stadt brütet, endlich mal eine dicke Henne rausschlüpft!“
Ein christdemokratischer Oberbürgermeister und ein rot-grüner Stadtrat
Wie war es, als christdemokratischer Oberbürgermeister mit einem Stadtrat zusammenzuarbeiten, in dem Rot-Grün die Mehrheit hat? „In den ersten Jahren gab es überhaupt keine Mehrheit. Da habe ich den Begriff der Verantwortungsgemeinschaft geprägt. Das, was wir im Rat erleben, sind ja häufig die Themen, mit denen die unterschiedlichen politischen Gruppierungen ihre Fußspuren hinterlassen wollen, was auch richtig ist in der Demokratie. Aber ich gehe mal davon aus, dass 90 Prozent der Vorlagen, die durch die Verwaltung mit Vorbereitung geschaffen werden, relativ glatt durchgehen. Der Rest sind viele symbolische Themen, die sich häufig mit den Bereichen Mobilität oder Klimaschutz befassen. Ich glaube, dass sich da in gewisser Weise in der Zielsetzung schon große einvernehmliche Punkte bilden. Aber es gibt halt Fragen in der Umsetzung.“
Hart aber fair

„Ich glaube, dass für mich das Entscheidende war, dass die Zusammenarbeit in den Organen der kommunalen Selbstverwaltung in der Sache zwar hart aber fair war. Ich sehe mich schon als einen Oberbürgermeister einer Friedensstadt und einer Stadt, der es gelungen ist bisweilen auch Parteien, die am extremen Rand stehen, zu isolieren. Weil ich glaube, dass das auch eine Menge damit zu tun hat, wie Politiker selber miteinander umgehen. Wenn sie sich nur noch gegenseitig entwürdigen, dann fragen natürlich manche Wähler der Mitte: warum brauchen wir euch überhaupt noch, wenn ihr euch genauso verhaltet wie die von den extremen Seiten? Dies ist Gott sei Dank auch gelebt worden bis hin zu dem Punkt, dass es einen sehr großen, urbanen Konsens über die Frage gibt, wie geht man eigentlich mit Ausgrenzung generell um? Oder besser gesagt, was können wir dafür tun, dass die Menschen unterschiedlicher Herkunft, Glaubens, sexueller Orientierung nicht nur toleriert werden, sondern auch glücklich werden können.“
Hochrangige Gäste der Stadt werden nicht nur im Friedenssaal empfangen, sie dürfen auch aus dem goldenen Hahn trinken. Da können bei manchen Gästen auch schon mal Sicherheitsbedenken aufploppen: „Beim ersten amerikanischen Botschafter, dem ich begegnet bin und der Wein aus dem Hahn trinken durfte, waren die Sicherheitsleute doch etwas unglücklich. [lacht] Hendrick Wüst hat mir neulich gebeichtet, dass er den Wein gar nicht so toll fand. Andere fanden ihn allerdings sehr gut. Es ist ein sehr schönes Ritual mit zwei schönen Legenden. Zum einen der feste Wille der Stadtgesellschaft sich nicht erobern zu lassen, widerstandsfähig zu sein. Zum anderen ist der Hahn vielleicht das westfälische Symbol für den Adler, nämlich das Symbol der Freiheit.“ Hinter diesen Legenden steckt für das Stadtoberhaupt auch ein hochaktueller Aspekt. Menschen, die in Münster leben, sollen das Gefühl haben, dazu zu gehören. Unabhängig davon, wie lange sie schon in der Stadt leben. Auf engem Raum wird dies für Lewe im Hafen deutlich, der kein durchkapitalisierter Ort geworden sei, wie er sagt, sondern ein Ort der Ausgehkultur für alle mit Restaurants, Theater, Kino, Ruderverein und auch der B-Side, für die er sich seinerzeit starkgemacht habe. Außerdem sei die lange Mauer entlang des Hafenbeckens eine Bank für jedermann. Unabhängig davon, ob man in den dortigen Geschäften Geld ausgegeben habe oder nicht, wie Lewe betont.
Nicht nur Lewes Verdienst
Dass sich Münster heute als modern und weltoffen präsentiert, sei aber nicht nur sein Verdienst: „Also ich glaube, das ist auch meinen Vorgängern zu verdanken. Münster ist von einer verschlafenen 70er-Jahre Beamtenstadt zu einer hochmodernen Stadt geworden, die eine extrem hohe Aufenthaltsqualität für alle hat. Mit einem Höchstmaß an Toleranz, mit einem ausgeprägten Gespür für Qualität, mit einer recht ausgeprägten sozialen Ader, die sicherlich auch ihre Ursprünge in der Tradition hat, in den Stiftungen und den Bruderschaften, die es in den vergangenen Jahrhunderten gegeben hat, aber auch aus neuen Impulsen. Ich glaube, dass die Skulptur Projekte da auch eine ganz wichtige Rolle gespielt haben. Kreative Zumutungen braucht man in der Stadt, damit man eben auch mal emotionalisiert wird und Debatten führen kann.“
Lieber Spaten als Abrissbirne

Wie oft Markus Lewe einen Spaten in irgendeinen Sandhaufen gerammt hat, weiß er selber nicht so genau: „Da müssen Sie die Vertreter der Partei ‚Die Partei‘ fragen, die haben einen entsprechenden Kalender entworfen. Ich wollte mal einen Kalender machen, auf dem gezeigt wird, wer hinterher alles an den Büffets hängt. [lacht] Aber: unzählig oft! Also erst mal bei eigenen Projekten, Schulen, Kitas, Schulanbauten, Kitaanbauten, Neubauten. Aber auch bei benachbarten Investitionen wie der Universität, die ja auch in erheblichem Maße Neubauten vornehmen konnte, bei Kliniken, neulich noch bei einer Pflegeschule. Die Anzahl der Spaten, die ich in die Hand genommen habe, zeigt eben auch, dass diese Stadt boomt. Auch wenn da vielleicht der ein oder andere drüber lästern mag: Es ist ja immer auch ein Symbol dafür, dass es schöner ist, einen Spaten in der Hand zu haben, als eine Abrissbirne zu bedienen. Die Dinge, die entstanden sind, sind ja oft Folge eines langen Prozesses, einer langen Entwicklung, vielleicht auch einer langen Sehnsucht – siehe Preußenstadion – und sie signalisieren: Jetzt geht es wirklich los!“
Wünsche an den Nachfolger

Seinem Nachfolger Tilman Fuchs gibt Lewe ein paar Wünsche mit auf den Weg: „Erstmal als Persönlichkeit, dass er so bleibt, wie er ist – ich finde ihn sehr sympathisch. Aber auch, dass er die Breite der Stadt erkennt. Klar hat jeder seine politische Herkunft, aber es muss eben auch sichtbar werden, dass man als OB für alle Menschen in dieser Stadt Verantwortung trägt, dass einem Vertrauen gegeben wird für einen historisch kleinen Zeitraum. Und dass er für diese großen Herausforderungen, die auf ihn zukommen, genug Kraft hat, um sie vernünftig bewältigen zu können. Denn das wird sicherlich in der nächsten Wahlperiode noch etwas anders als in meinen Wahlperioden sein, weil sich einfach so viel verändert. Die finanziellen Rahmenbedingungen werden sich signifikant verschärfen, es wird weniger zu verteilen geben. Wir werden mit den Menschen vor Ort in die Diskussion treten müssen, was wir uns noch leisten können und was nicht. Das ist ein sehr aufwändiger Prozess, das wird auch viel mit Enttäuschungen einhergehen.“
„Wer nicht vernetzt ist, wird trauern!“
Lewe rät seinem Amtsnachfolger, sich im Deutschen Städtetag zu engagieren, in dem er selber zehn Jahre in unterschiedlichen Führungspositionen, unter anderem als Präsident, tätig war. Die nationale und internationale Vernetzung Münsters sei einer der Schlüssel zum Erfolg, ist sich Lewe sicher und verweist dabei insbesondere auf die Niederlande, „Da haben wir mittlerweile Enormes entwickeln können“. Münsters Partnerstadt Enschede pflegt enge Beziehungen zum kalifornischen Palo Alto, in der die renommierte Stanford University angesiedelt ist, deren Experten wiederum nach Münster kommen, um sich bei der Batterieforschung einzubringen. Der US-Bundesstaat Minnesota ist mit dem Land NRW partnerschaftlich verbunden, wodurch es zu Kontakten zwischen der berühmten Mayo Klinik und dem UKM kommt. Solche Verflechtungen seien es, die auch Münster voranbringen, ist sich der Oberbürgermeister sicher. „Wir müssen auch den Kommunen im benachbarten Münsterland deutlich signalisieren, dass wir ohne sie nicht können und dass wir nur partnerschaftlich miteinander klarkommen. Wer nicht vernetzt ist, wird trauern!“ Münster sei viele Jahre irgendwie nur am Rand Deutschlands gewesen, heute liege die Stadt Mitten in Europa, fasst Lewe die Wandlung der Stadt in den letzten Jahrzehnten zusammen.
Amtsübergabe mit Pauken und Trompeten?

Wie die Amtsübergabe an seinen Nachfolger Tilman Fuchs genau ablaufen wird, will Markus Lewe noch nicht verraten. Eventuell werde er einen Staffelstab überreichen oder die Amtskette, das sei aber noch nicht klar. Ob es eine Art Zeremonie geben wird? Lewe deutet aus dem Fenster und zeigt auf den Rathausinnenhof: „Ja, mit ein paar Pauken und Trompeten [lacht]. Nein, das wird ganz nüchtern am letzten Tag meiner Amtszeit sein, am 31. Oktober. Aber ich habe ja auch schon mehrere Gespräche mit Tilman Fuchs geführt. Doch symbolisch ist es immer ganz gut, wenn man nochmal etwas übergibt.“ Auch bezüglich seiner Pläne nach dem 31. Oktober hält sich das Noch-Stadtoberhaupt bedeckt, aber eines sei klar, dass er noch nicht in den Ruhestand gehen werden. Auch Rosen züchten, wie bei Konrad Adenauer, käme für ihn nicht in Frage: „Lieber Tulpen, da ist man dann nur im Frühling mit beschäftigt!“
Michael wurde im niedersächsischen Celle geboren und kam 1990 zum Studieren nach Münster. Er ist Geograf und arbeitet heute in der Unternehmskommunikation. Seine Schwerpunkte liegen in den Bereichen Umwelt, Gesundheit und Soziales aber auch in den Naturwissenschaften. Michael ist leidenschaftlicher Radfahrer, Wanderer und Amateurfotograf.