HSV-Manager im Interview, Teil 2

©IMAGO
„Sechsmal probiert, sechsmal ist nichts passiert. Nach vielen Dramen lässt der Fußballgott 2025 aber Milde walten und den Hamburger SV endlich zurück in die Bundesliga“, leitete Transfermarkt seine im Mai veröffentlichte XXL-Chronik ein. Claus Costa erlebte den Wahnsinn seit dem zweiten Anlauf mit und drehte an vielen Stellschrauben. Der HSV-Sportdirektor spricht im zweiten Teil des TM-Interviews über den unglücklichen Start von Neuzugang Yussuf Poulsen, den geplatzten Nizza-Transfer von Ransford Königsdörffer und verrät, was ihm in der Beurteilung der Leihe von Torwart Daniel Peretz zu kurz kommt. Zudem äußert sich der 41-Jährige über den „beeindruckenden“ Trainer Merlin Polzin und das Scheitern von dessen Vorgänger Steffen Baumgart.
Transfermarkt: Herr Costa, über den in der Vergangenheit verletzungsanfälligen Neuzugang Yussuf Poulsen sagte Trainer Merlin Polzin: „Wir haben immer gewusst und gesagt, dass ‚Yussi‘ aufgrund seiner Historie nicht 34 Spiele über 90 Minuten bestreiten wird.“ Nach knapp einem Fünftel der Saison kommt Poulsen auf erst 50 Spielminuten. War das Risiko zu groß?
Costa: Auch bei diesem Transfer bin ich vorsichtig mit einer Zwischenbewertung. ‚Yussi‘ sollte man erst einmal richtig ankommen lassen. Die Einsatzzeit ist vor allem für ihn enttäuschend. Und wir haben uns sicherlich auch gewünscht, dass er früher zu 100-prozentiger Fitness gelangt. Trotzdem wäre es ein Riesenfehler, ‚Yussi‘ auf seine Zeiten auf dem Platz zu reduzieren. Durch den Abgang von einigen Wortführern in der Kabine stand uns eine Achse nicht mehr zur Verfügung. Deswegen war es total wichtig, der Mannschaft Persönlichkeit, Erfahrung, Charakter und auch Qualität neben dem Platz hinzuzufügen. Er hat einen wesentlichen Impact auf die Gruppe und bringt sich total in der Kabine ein.
Transfermarkt: Der vom FC Bayern geliehene Torwart Daniel Peretz soll auf die Nummer-1-Entscheidung pro Daniel Heuer Fernandes sehr enttäuscht reagiert haben. Der Münchner Sportvorstand Max Eberl sagte: „Da gibt es vorher vielleicht Versprechen, die dann nicht gehalten werden. Inwieweit das Versprechen an Daniel war, dass er beim HSV die Nr. 1 wird, kann und möchte ich nicht beurteilen. Mir wurde sehr klar signalisiert, dass man sich das sehr gut vorstellen kann beim HSV.“ Wie war die genaue Abmachung bei Peretz?
Costa: Wir haben ihm zusammen mit dem Trainerteam eine Perspektive aufgezeigt, aber es war auch völlig klar, dass wir mit ‚Ferro‘ schon einen absoluten Top-Mann haben. Wir wollten uns nach dem Abgang von Matheo Raab wie auf allen anderen Positionen in der Breite top aufstellen – wenn möglich, auch in der Spitze. Bei Daniel hat sich für uns diese Chance ergeben. Und bis zum Ende war es ein total enges Rennen zwischen den Torhütern. Für ihn ist der Ausgang nicht befriedigend, seine große Enttäuschung war menschlich, alles andere hätte mich auch gewundert. Aber er hat daraus Kraft geschöpft, gibt jeden Tag alles und hat diesen Konkurrenzkampf noch einmal auf ein neues Niveau gehoben. Daniel ist ein überragender Charakter. Es geht mir in der Beurteilung der Transfers etwas unter, dass auch Daniel Peretz eine Wunschlösung und ein Top-Transfer für uns war, weil wir uns zu 100 Prozent auf ihn verlassen können.
Spielervergleich
Hamburger SV
Hamburger SV
900 Tsd. €
Marktwert
3,00 Mio. €
30.06.2026
Vertrag bis
30.06.2026
Zum kompletten Spielervergleich
Transfermarkt: Trotz des großen Umbruchs steht lediglich ein Transferminus von 1,6 Mio. Euro in der Statistik. Wären noch finanzielle Ressourcen für ein Nachrüsten im Winter da?
Costa: Wir haben noch nicht über ein konkretes Transferbudget für den Winter gesprochen. Es ist ohnehin noch etwas zu früh dafür, den Bedarf festzulegen. Aber im Verein wurde im Ressort von Eric (Vorstand Finanzen Huwer; d. Red.) sehr gut und nachhaltig gewirtschaftet, was Stefan (Sportvorstand Kuntz; d. Red.) und mir Beinfreiheit auf dem Transfermarkt ermöglicht. Es gibt keinen Druck, drei Spieler verkaufen zu müssen – wir können aus der Stärke heraus agieren.
Costa über Königsdörffers HSV-Verbleib und Beeindruckendes bei Polzin
Transfermarkt: Ransford Königsdörffers Transfer nach Nizza platzte auf der Zielgeraden wegen „gesundheitlicher Bedenken“. Kommt es doch noch zur Verlängerung beim HSV?
Costa: Mit ‚Ransi‘ hatten wir einen transparenten und sehr guten Austausch. Und er weiß, was er an diesem Verein hat. Nizza war aus seiner Sicht eine einmalige Chance mit der Aussicht, Champions League zu spielen, was er gerne wahrgenommen hätte. Unter gewissen Voraussetzzungen hätten wir das hinbekommen. Genauso klar, wie er uns seinen Wechselwunsch mitteilte, lief sein erneuter Onboarding-Prozess beim HSV ab – das hat eine Viertelstunde gedauert. (lacht) Für uns war er nie weg, es ist auf beiden Seiten nichts hängengeblieben. Wir sind mit seinem Management ganz normal im Austausch. Wenn es einen neuen Stand gibt, wird das sicherlich jeder mitkriegen. (schmunzelt)

Der maßgeblich am Aufstieg beteiligte HSV-Angreifer Ransford Königsdörffer (r.) wartet noch auf seinen ersten Saisontreffer in der Bundesliga
Transfermarkt: Trainer Merlin Polzin lebt als gebürtiger Hamburger seinen Traum, scheint stets klar und cool. Bringt ihn mit seinen erst 34 Jahren wirklich nichts aus der Fassung?
Costa: Was ich bei Merlin absolut beeindruckend finde: Er strahlt eine extrem große Ruhe aus. Das rührt auch daher, dass er Vertrauen in sein Trainerteam hat und selbst die Rückendeckung und Unterstützung des gesamten Vereins spürt. Wir sind im täglichen Austausch über alle Themen, die die Mannschaft betreffen. Merlin ist kein reiner Fußballtrainer. Er konzentriert sich nicht nur auf die Spieltaktik und das Training, sondern er hat sich in kürzester Zeit zu einem Chefcoach entwickelt, der das Gesamtbild im Auge hat. Merlin managt den Staff und die Gruppe, kann das Umfeld beruhigen, ist sehr klar in dem, was er will und vertraut in die Qualität der Leute, die um ihn herum arbeiten. Deswegen hatten wir auch nach den ersten Spielen die gemeinsame Überzeugung in den Weg. Nichts passiert durch Zufall, sondern das Trainerteam folgt einem Plan.
Transfermarkt: Was hat Polzin, was seine Vorgänger nicht hatten?
Costa: Ich würde ihn weniger mit den anderen vergleichen. Merlin hat viele Jahre Zeit gehabt, zu beobachten, um zu wissen, welche Stellschrauben es braucht, um kurzfristig Erfolg zu haben. Er konnte sich gewissermaßen vorbereiten auf den Tag, an dem es für ihn einmal so weit ist. Merlin kannte jeden Spieler im Detail und wusste, wie er ihn auf menschlicher Ebene anpacken muss. Gleichzeitig hatte er eine fußballerische Idee und wusste, welcher Spieler sich auf welcher Position am wohlsten fühlt. Er sieht immer erst, was der Spieler kann und nicht, was er nicht oder schlecht kann. Merlin hatte die Mannschaft vom ersten Tag an komplett hinter sich.
„Berechtigte Frage“: Costa kommentiert Baumgarts Scheitern beim HSV
Transfermarkt: In der Dokumentation „Always Hamburg“, die die letzten anderthalb Jahre bis zum Aufstieg beleuchtete, sagten Sie über das Scheitern von Polzins Vorgänger Steffen Baumgart: „Diese Passung aus dem Kader und der Spielidee von Steffen – da eine gute Mischung zu finden, war nicht so einfach.“ Der Trainer hätte „lieber etwas anderes gespielt, als die Spielerqualität oder Spielerprofile es hergegeben haben. Dementsprechend war nie so eine volle Überzeugung in den Herangehensweisen da“. Ist das nicht etwas, das zwingend vor Baumgarts Anstellung hätte auffallen müssen?
Costa: Berechtigte Frage. Retrospektiv lässt sich vielleicht von außen sagen: Das hätte man vorher wissen müssen. Die Idee dahinter war aber, dass die Mischung aus der spielerischen Qualität des Kaders in Kombination mit Steffens positiver Emotionalität, Energie, seiner Idee vom Fußball und Intensität das entscheidende Puzzleteil sein kann, gepaart mit etwas weniger Ballbesitz. Am Ende ist es nicht so aufgegangen, wie wir uns und sich auch Steffen das gewünscht haben.
Transfermarkt: Wer erst im siebten Anlauf endlich aufsteigt, kann nicht immer alles richtig gemacht haben. Welche Versäumnisse haben Sie ausgemacht?
Costa: An der Stelle ist es wichtig zu sagen, wie komplex Fußball und vielfältig dieses Puzzle ist, das am Ende mit jedem einzelnen Teil zusammenpassen muss, damit du als HSV in dieser engen 2. Bundesliga den Aufstieg schaffst. Es haben immer Nuancen gefehlt. Wenn wir es umkehren: Wir haben es immer wieder geschafft, uns anzupassen und eine Mannschaft hinzustellen, der es gelang, bis zum Schluss oben dabei zu sein. Es gab nie einen Scherbenhaufen, sondern es gab einen kontinuierlichen, hartnäckigen Prozess mit dem Gefühl, dem Ziel einen Schritt näher zu kommen.

Die Verbindung zwischen Steffen Baumgart und dem HSV erwies sich nicht als Perfect Match. Der Trainer, inzwischen bei Union Berlin, musste nach 27 Spielen mit einem Punkteschnitt von 1,59 im November 2024 seine Sachen packen
Transfermarkt: Die Momentaufnahme mit Platz 9 kurz vor den Nordrivalen St. Pauli und Werder Bremen lässt HSV-Fans strahlen. Was wird notwendig sein, um nicht nur den Klassenerhalt sichern, sondern den Klub dauerhaft in der Bundesliga etablieren zu können?
Costa: Für Vergleiche mit anderen Vereinen, die teilweise herausragend gute Arbeit machen, ist es nicht der richtige Zeitpunkt. Ich bin davon überzeugt, dass die Geschlossenheit und Geduld aus der jüngeren Vergangenheit – mit dem Vertrauen ins Trainerteam und in die Mannschaft – ganz entscheidend sein wird. Dass wir es schaffen, durch schwierige Zeiten, die ganz sicher kommen werden, gemeinsam durchzugehen. Diesen Zusammenhalt benötigen wir am meisten.
So denkt HSV-Sportdirektor Costa über seine Zukunft
Transfermarkt: Ihr eigener Vertrag läuft bis Juni 2026. Das ist für einen amtierenden Sportverantwortlichen nicht mehr wahnsinnig lang. Wie geht es für Sie beim HSV weiter?
Costa: Das Wichtigste im Sommer war es, alle Energie auf die Umstrukturierung des Kaders zu lenken. In den nächsten Wochen haben wir sicher Zeit, um über andere Themen zu sprechen.
Transfermarkt: Eine Verlängerung ist für Sie also vorstellbar?
Costa: Eine rhetorische Frage zum Schluss. (lacht) Der HSV ist nicht nur ein Arbeitgeber – auch Hamburg ist Heimat geworden. Ich glaube, wir haben einen sehr guten Weg eingeschlagen und ich kann mir natürlich auch vorstellen, diesen Weg weiterzugehen.
Interview: Philipp Marquardt

