Es war das einzige Deutschlandkonzert einer legendären Formation. Und der Auftritt des Philip Glass Ensembles im Tollhaus Karlsruhe wurde zum Ereignis.

Fünf Männer und eine Frau stehen auf einer Bühne und nehmen Beifall entgegen.

„Standing Ovations“ erhielt das Philip Glass Ensemble nach seinem Auftritt im Tollhaus Karlsruhe, dem einzigen Deutschlandtermin seiner aktuellen Tour.

Foto: Andreas Jüttner

Es gibt klassische Musik und es gibt „glassische“ Musik. Pardon, das war jetzt nicht das originellste Wortspiel. Aber sie sind nun mal ein ganz eigenes Genre, die Kompositionen des US-Komponisten, dessen Werk von radikaler Avantgarde bis zu oscarnominierten Filmsoundtracks reicht.

Und ebenfalls einzigartig ist die Kunst, diese Musik aufzuführen. Das wurde jetzt deutlich beim Gastspiel des Philip Glass Ensembles im Tollhaus Karlsruhe.

Gralshüter der Minimal Music in Karlsruhe

Die 1968 in New York gegründete Formation kann man als Zeitzeugen und Gralshüter der Minimal Music bezeichnen. Für genau dieses Ensemble hat Glass viele seiner Klanglandschaften entwickelt. Und es ist schwer vorstellbar, dass anderen Ensembles eine Aufführung mit dieser Intensität gelingen könnte.

Glass’ Musik vereint die kreisenden Wiederholungen des Barock mit der maschinenhaften Präzision von Techno-Sequencing. Die enorme musikhistorische Spanne spiegelt sich auch in der Instrumentierung. Die Hälfte des sechsköpfigen Ensembles agiert an Synthesizern.

Die andere Hälfte spielt Flöte, Klarinette und Saxofon – also analoge Instrumente, die durch menschlichen Atem betrieben und somit dem menschlichsten Instrument, der Stimme, besonders nahe sind.

Auch die Gesangsstimme ist ein wichtiges Element. Und es ist wohl die eindrucksvollste Leistung des Abends, wie Lisa Bielawa (geboren im Gründungsjahr des Ensembles und Mitglied seit 1992) hier agiert.

Musik aus Rhythmen statt Melodien

Auf dem Programm stehen der Zyklus „Glassworks“ von 1981 sowie je ein Ausschnitt aus Glass’ Opern „Sathyara“, „Akhnaten“ und „The Photographer“ (1980 bis 1983). In diesen Stücken gibt es keine Melodien im herkömmlichen Sinn, sondern vor allem rhythmische Muster von tragenden Vierteln bis zu rasanten Sechzehnteln.

Das Bläsertrio (Dan Bora, Peter Hess und Ryan Kelly) galoppiert oft von Tonika über Terz und Quinte zur Oktave und wieder zurück. Bielawas Gesangsstimme stößt unfassbar tonsicher dazwischen, rhythmisch ebenso präzise dazwischen wie die Synthesizerakkorde, die Mick Rossi und auch sie selbst platzieren.

Hinzu kommen die ebenfalls uhrwerkgenauen Läufe an Klaviertönen und Synthesizer-Bässen, die Rossi und Ensembleleiter Michael Riesman in atemberaubender Synchronizität abliefern.

Diese insgesamt sieben Ebenen verschieben sich immer neu in- und gegeneinander. So entstehen vielfarbige Klanggewebe, in deren faszinierend schillernden Geflecht man sich labyrinthisch verliert.

Aus Abstraktion entsteht überirdische Schönheit

Selbst ohne das „Spaceship“ aus Glass’ erster Oper „Einstein on the Beach“ von 1976, das in der Zugabe abhebt, hätte das Konzert den Eindruck eines Weltall-Trips hinterlassen. Und zwar einerseits so futuristisch abstrakt wie in Stanley Kubricks Kinovision „2001“ und andererseits von mitunter überirdischer Schönheit.

Denn verfolgt man die Spur der einzelnen Instrumente, dann wirken ihre Klänge wie übereinander geschichtete Sphären, durch die man hörend hindurchfliegt. So erlaubt diese scheinbar mathematisch kalte Musik ein Eintauchen in die antike Vorstellung der Sphärenharmonie. Das war nichts weniger als ein Ereignis.

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