Mit „Single Mom Supper Club“ hat die Britin Jacinta Nandi eine fiktive Bestandsaufnahme auf Deutsch geschrieben, die mit Mutterschaft, dem Deutsche-Mutter-Sein und hiesigen Essgewohnheiten abrechnet

Jacinta Nandis Roman „Single Mom Supper Club“ ist eine Abrechnung mit Mutterschaft, dem Deutschsein, dem Deutsche-Mutter-Sein – und deutschem Essen

Foto: Maxime Ballesteros/Connected Archives

Deutsche Gegenwartsliteratur krankt im Allgemeinen daran, dass sie sich sehr ernst nimmt. Jeder möchte Thomas Mann sein, niemand Sibylle Berg. Dabei sollten wir alle Sibylle Berg sein wollen. Der Drang zur Ernsthaftigkeit führt nicht selten dazu, dass Autoren Literarizität performen, um etwas von Gewicht zu erzeugen. Sie wissen schon: Wenn die Stimmung melancholisch anmuten soll, müssen Blätter fallen. Immerzu müssen Blätter fallen! Ist die Protagonistin depressiv, dann muss es Winter sein. In anderen Literaturen ist Winter nur eine Jahreszeit und Blätter fallen, weil es Herbst ist. In Deutschland sind Blätter ein Stimmungsbild.

Jacinta Nandi rechnet mit dem Deutschsein ab

Zum Glück gibt es aber Jacinta Nandi, die Literarizität nicht performt – und stattdessen urkomisch schreibt. Kein Wunder, sie ist schließlich Britin, die auf Deutsch schreibt, und damit wäre das Feld zwischen deutscher Literatur und dem berühmt-berüchtigten britischen Humor bereits abgesteckt. Ihr Roman Single Mom Supper Club ist eine Abrechnung mit Mutterschaft, dem Deutschsein, dem Deutsche-Mutter-Sein und deutschem Essen.

Hauptfigur Tamara, eine in Berlin lebende Britin und alleinerziehende Mutter dreier Kinder, von denen eines recht sonderbar ist, bildet die wandelnde Antithese zur deutschen Mutter: Sie ist cool, sie liebt ihre Kinder auf eine sehr innige Affenart, aber sie hasst ihre Kinder manchmal, natürlich, und sie bereut es, Mutter zu sein. Eigentlich müssten ihre Single-Mom-Freundinnen die Mutterschaft ebenso bereuen, aber irgendwie sind sie so viel erfolgreicher als Tamara, die einmal Anwältin war, aber nun mit einem Buch über „post separation legal abuse“ partout nicht fertig wird.

Freundin Lexi ist Mindset-Trainerin, Money Coach und Manifestationsguru und scheinbar sehr reich. Sascha will ebenfalls superreich sein und ist, wie Lexi, superschön. Kayla und Tugba sind superlieb, nur Antje, die wirklich deutsche Antje ist einfach unerträglich.

Man muss schreien vor Lachen

Sie ist jedoch Tamaras Nachbarin, aus unerfindlichen Gründen ihre beste Freundin und die Gründerin des Single Mom Supper Clubs. Doch Lexi hat ebenfalls einen Supper Club gegründet, und in dem gibt es Koks, Gratis-Koks für die Muttis, wer kann dazu schon nein sagen? Deswegen werden die Supper Clubs kurzerhand zusammengelegt, was dem Roman als Vorwand dient, die habituell so unterschiedlichen Frauen in rasanten Dialogen zusammenzuwürfeln.

Man muss beim Lesen buchstäblich schreien vor Lachen. Keine andere deutschsprachige Gegenwartsautorin schreibt so unverfroren filterlos, dass man beim Lesen errötet – so genial obszön ist das, was man da liest. Etwa, wenn die Mütter darüber nachdenken, ob man zur Verfälschung eines DNA-Tests nicht das Sperma eines reichen Mannes in den Mund des eigenen Babys spucken könnte. Es gibt vermutlich nicht viele Autorinnen, die eine solche Szene schreiben würden.

Die absolute Filterlosigkeit der Autorin und ihrer Erzählerin führen zu mancher Generalabrechnung. Deutsche Mütter schneiden sehr schlecht ab in diesem Buch. Deutsche Männer ebenso. Väter aller Länder sowieso. Und deutsche Lehrer, die an Elternabenden Psychoterror begehen, umso mehr.

Selbst Nandis Charaktere kommen schlecht weg. Manchmal sind ihre Frauen wehleidig; dann wieder hemmungslos naiv und ungebildet. Das macht es schwer, Mitleid zu empfinden. Aber das ist der Punkt: Eine Frau hat auch dann Mitleid verdient, wenn sie nicht das perfekte Opfer, die perfekte Mutter, kurz gesagt: eine Heilige ist.

Zeitgenössisches Sittenbild

Single Mom Supper Club liest sich zwar wie der Stream of Consciousness einer Kokserin (no offense). Doch ist es ein Buch, bei dem einem das Lachen am Ende im Halse steckenbleibt, weil überhaupt nicht komisch ist, worüber man sich amüsiert. Weil Influencerinnen, die ihr Geld eigentlich mit Airbnb-Betrug oder OnlyFans-Accounts verdienen, gequälte Ehefrauen und verhaltensauffällige Kinder eigentlich nicht witzig sind.

Weil die Mütter, die nur mal entspannt koksen und allein, ohne die nervigen Gören, im Tropical Island herumhängen wollen, von ihren Männern und der Gesellschaft nicht nur im Stich gelassen werden, sondern oft auch misshandelt. Zur tragischen Pointe des Romans gehört, dass Tamara ihr Buch nicht schreiben kann, weil die Mutterpflichten sie davon abhalten. In ihrem Buch geht es darum, wie Väter geltendes Recht instrumentalisieren (vor allem das Sorgerecht), um die von ihnen getrennten Frauen zu drangsalieren. Das ist eine Realität nicht nur an britischen Familiengerichten.

In die Sprache der Theorie übersetzt: Patriarchale Rollenzuschreibungen an die Mutter formen eine Art Zwangsjacke, aus der Mütter schon deswegen nicht ausbrechen können, weil sie einfach zu viel zu tun haben, als dass sie politisch tätig werden oder sich an öffentlichen Diskursen beteiligen könnten. So offenbart dieser Roman am Ende mehr Wahrheiten über das Deutschsein, über Mutterschaft, Feminismus und den Sexismus des Steuersystems als so mancher hochtrabende Essay.

Zurecht für Buchpreis nominiert

Der Roman zeichnet eine Art zeitgenössisches Sittenbild, von dem man meinen könnte, es sei radikal übertrieben – bis man auf Instagram auf Mom-Fluencer stößt. Nandis große Stärke ist der Dialog. Es ist gar nicht so einfach, Gespräche authentisch nachzuahmen. In der Literatur geraten Gespräche häufig gestelzt. Bei Nandi sind sie temporeich, quirlig, spontan, und ja, sehr britisch, vor allem da, wo Charaktere konsequent aneinander vorbeireden.

Hinzu kommen Beobachtungs- und Situationskomik. Nandi ist klug genug, ihren Lesern nie aufs Auge zu drücken, wie oberflächlich und bigott viele ihrer Charaktere sind – sie überlässt es ihren Figuren, sich selbst zu entlarven. Man wünscht sich sehr, dass dieser Roman eine Netflix-Serie wird; oder zumindest eine ARD-Produktion. Zu Recht stand er auf der Longlist des Deutschen Buchpreises. Ein bisschen Spaß muss sein. Gerade für uns Deutsche.

Single Mom Supper Club Jacinta Nandi Rowohlt 2025, 320 S., 24 €

Jacinta Nandi rechnet mit dem Deutschsein abZum Glück gibt es aber Jacinta Nandi, die Literarizität nicht performt – und stattdessen urkomisch schreibt. Kein Wunder, sie ist schließlich Britin, die auf Deutsch schreibt, und damit wäre das Feld zwischen deutscher Literatur und dem berühmt-berüchtigten britischen Humor bereits abgesteckt. Ihr Roman Single Mom Supper Club ist eine Abrechnung mit Mutterschaft, dem Deutschsein, dem Deutsche-Mutter-Sein und deutschem Essen.Hauptfigur Tamara, eine in Berlin lebende Britin und alleinerziehende Mutter dreier Kinder, von denen eines recht sonderbar ist, bildet die wandelnde Antithese zur deutschen Mutter: Sie ist cool, sie liebt ihre Kinder auf eine sehr innige Affenart, aber sie hasst ihre Kinder manchmal, natürlich, und sie bereut es, Mutter zu sein. Eigentlich müssten ihre Single-Mom-Freundinnen die Mutterschaft ebenso bereuen, aber irgendwie sind sie so viel erfolgreicher als Tamara, die einmal Anwältin war, aber nun mit einem Buch über „post separation legal abuse“ partout nicht fertig wird.Freundin Lexi ist Mindset-Trainerin, Money Coach und Manifestationsguru und scheinbar sehr reich. Sascha will ebenfalls superreich sein und ist, wie Lexi, superschön. Kayla und Tugba sind superlieb, nur Antje, die wirklich deutsche Antje ist einfach unerträglich.Man muss schreien vor LachenSie ist jedoch Tamaras Nachbarin, aus unerfindlichen Gründen ihre beste Freundin und die Gründerin des Single Mom Supper Clubs. Doch Lexi hat ebenfalls einen Supper Club gegründet, und in dem gibt es Koks, Gratis-Koks für die Muttis, wer kann dazu schon nein sagen? Deswegen werden die Supper Clubs kurzerhand zusammengelegt, was dem Roman als Vorwand dient, die habituell so unterschiedlichen Frauen in rasanten Dialogen zusammenzuwürfeln.Man muss beim Lesen buchstäblich schreien vor Lachen. Keine andere deutschsprachige Gegenwartsautorin schreibt so unverfroren filterlos, dass man beim Lesen errötet – so genial obszön ist das, was man da liest. Etwa, wenn die Mütter darüber nachdenken, ob man zur Verfälschung eines DNA-Tests nicht das Sperma eines reichen Mannes in den Mund des eigenen Babys spucken könnte. Es gibt vermutlich nicht viele Autorinnen, die eine solche Szene schreiben würden.Die absolute Filterlosigkeit der Autorin und ihrer Erzählerin führen zu mancher Generalabrechnung. Deutsche Mütter schneiden sehr schlecht ab in diesem Buch. Deutsche Männer ebenso. Väter aller Länder sowieso. Und deutsche Lehrer, die an Elternabenden Psychoterror begehen, umso mehr.Selbst Nandis Charaktere kommen schlecht weg. Manchmal sind ihre Frauen wehleidig; dann wieder hemmungslos naiv und ungebildet. Das macht es schwer, Mitleid zu empfinden. Aber das ist der Punkt: Eine Frau hat auch dann Mitleid verdient, wenn sie nicht das perfekte Opfer, die perfekte Mutter, kurz gesagt: eine Heilige ist.Zeitgenössisches SittenbildSingle Mom Supper Club liest sich zwar wie der Stream of Consciousness einer Kokserin (no offense). Doch ist es ein Buch, bei dem einem das Lachen am Ende im Halse steckenbleibt, weil überhaupt nicht komisch ist, worüber man sich amüsiert. Weil Influencerinnen, die ihr Geld eigentlich mit Airbnb-Betrug oder OnlyFans-Accounts verdienen, gequälte Ehefrauen und verhaltensauffällige Kinder eigentlich nicht witzig sind.Weil die Mütter, die nur mal entspannt koksen und allein, ohne die nervigen Gören, im Tropical Island herumhängen wollen, von ihren Männern und der Gesellschaft nicht nur im Stich gelassen werden, sondern oft auch misshandelt. Zur tragischen Pointe des Romans gehört, dass Tamara ihr Buch nicht schreiben kann, weil die Mutterpflichten sie davon abhalten. In ihrem Buch geht es darum, wie Väter geltendes Recht instrumentalisieren (vor allem das Sorgerecht), um die von ihnen getrennten Frauen zu drangsalieren. Das ist eine Realität nicht nur an britischen Familiengerichten.In die Sprache der Theorie übersetzt: Patriarchale Rollenzuschreibungen an die Mutter formen eine Art Zwangsjacke, aus der Mütter schon deswegen nicht ausbrechen können, weil sie einfach zu viel zu tun haben, als dass sie politisch tätig werden oder sich an öffentlichen Diskursen beteiligen könnten. So offenbart dieser Roman am Ende mehr Wahrheiten über das Deutschsein, über Mutterschaft, Feminismus und den Sexismus des Steuersystems als so mancher hochtrabende Essay.Zurecht für Buchpreis nominiertDer Roman zeichnet eine Art zeitgenössisches Sittenbild, von dem man meinen könnte, es sei radikal übertrieben – bis man auf Instagram auf Mom-Fluencer stößt. Nandis große Stärke ist der Dialog. Es ist gar nicht so einfach, Gespräche authentisch nachzuahmen. In der Literatur geraten Gespräche häufig gestelzt. Bei Nandi sind sie temporeich, quirlig, spontan, und ja, sehr britisch, vor allem da, wo Charaktere konsequent aneinander vorbeireden.Hinzu kommen Beobachtungs- und Situationskomik. Nandi ist klug genug, ihren Lesern nie aufs Auge zu drücken, wie oberflächlich und bigott viele ihrer Charaktere sind – sie überlässt es ihren Figuren, sich selbst zu entlarven. Man wünscht sich sehr, dass dieser Roman eine Netflix-Serie wird; oder zumindest eine ARD-Produktion. Zu Recht stand er auf der Longlist des Deutschen Buchpreises. Ein bisschen Spaß muss sein. Gerade für uns Deutsche.