Mit einer überzeugenden Neuinszenierung von Mozarts Oper „Così fan tutte“ komplettiert die Lütticher Oper die Trias der Opern auf Texte des kongenialen Librettisten Lorenzo Da Ponte.

Mit dem „Don Giovanni“ und „Le Nozze di Figaro“ setzte man in Lüttich Maßstäbe, und es spricht für die bedachte Risikofreude von Intendant Stefano Paco, dass er die „Così“ mit dem erst 28-jährigen italo-russischen Dirigenten Sieva Borzak betraut, dem diesjährigen Gewinner des in Lüttich ausgetragenen Internationalen Dirigenten-Wettbewerbs CIDOO. Und das war nicht die erste Auszeichnung in der hoffnungsvollen Karriere des Musikers.

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Dennoch zeugt es von Mut, den Newcomer gerade für „Così fan tutte“ zu verpflichten. Denn es ist gerade vier Jahre her, dass der versierte Mozart-Kenner Christophe Rousset die Wunder der filigran instrumentierten Partitur mit einem nahezu lupenreinen Klang von biegsamer Elastizität, glasklarer Transparenz und farbiger Leuchtkraft hörbar werden ließ. Schönheit in Vollendung, ohne sich in purem Schönklang zu verlieren.

Auch wenn Rousset manches noch raffinierter und feiner ausarbeitete, vor allem, was die Balance zwischen Streichern und Bläsern angeht, braucht sich Borzaks Interpretation nicht hinter der seines erfahrenen Kollegen zu verstecken. Agil, dennoch mit weitem Atem für die weit geschwungenen Kantilenen, führt der junge Dirigent ebenso spannend wie sängerfreundlich durch den dreieinhalbstündigen Abend. Vor allem verweigert er sich der heute um sich greifenden Praxis, Mozarts Musik als Tummelfeld für zweifelhafte Tempo- oder dynamische Rekorde zu missbrauchen.

Dass die Produktion auch vokal rundum überzeugen kann, versteht sich in Lüttich von selbst. Alle sechs Solisten sorgen für ein weitgehend ungetrübtes Sängerfest. Marco Filippo Romano bietet mit mächtiger Stimme und hintergründiger Darstellung eine Modellinterpretation Don Alfonsos, der Lavinia Binis Gestaltung der durchtriebenen Kammerzofe Despina in nichts nachsteht. Francesca Dotto bewältigt die Tücken der besonders anspruchsvollen Sopran-Partie der Fiordiligi mühelos und ergänzt sich perfekt mit der auf gleichem Niveau agierenden und singenden Kollegin José Maria Lo Monaco als Dorabella. Es ist kein Geheimnis, dass Mozart gerade die Stimmungs- und Ausdrucksnuancen der weiblichen Rollen besonders einfühlsam ausfeilte. Die etwas konventioneller angelegten Gesänge der Männer sind gleichwohl bei Maxim Mironov als Ferrando und Vittorio Prato als Guglielmo bestens aufgehoben.

Ensembleszene aus der Lütticher Neuinszenierung der Oper „Così fan tutte“ von Wolfgang A. Mozart. Foto: J. Berger-ORW-Liège

Es ist ein großes Verdient von Regisseur Vincent Dujardin, dass er die lange Zeit als unglaubwürdig und banal missverstandene Handlung ernst nimmt, auf ihren Kern zurückführt und auf überdrehten Klamauk weitgehend, wenn auch leider nicht ganz verzichtet. Der vom Frauenfeind Alfonso angeregte Treuetest der beiden Herren an ihren Bräuten entwickelt sich zu einer emotionalen Katastrophe, die trotz des angesichts einer Komödie unumgänglichen „Happy Ends“ tiefe Narben, Irritationen und Misstrauen zurücklässt. Es mag auf den ersten Blick unglaubwürdig wirken, wenn die Bräute ihre verkleideten Partner nicht erkennen und sich tatsächlich zu einer Heirat mit den exotischen Gästen bereiterklären.

Dujardin verzichtet deshalb bewusst auf clowneske Kostümierungen, weil die Essenz des Stücks in der erschütternden Erkenntnis liegt, wie wenig man sich selbst und die Mitmenschen kennt und wie wenig man seinen eigenen Gefühlen trauen kann. Diesen Erkenntnisprozess entwickelt Mozart über drei Stunden mit einer psychologisch unübertroffen pointierten Tonsprache. Und dem Regisseur gelingt es, das Psycho-Drama überzeugend zum Ausdruck zu bringen.

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Wenn die Psychologie einer Mozart-Inszenierung stimmt, spielt die Ausstattung die zweite Geige. Gleichwohl rundet Leila Fteita mit ihren pittoresken Szenerien aus dem Neapel der 60er-Jahre die sehens- und hörenswerte Produktion geschmackvoll ab.

Spieldauer: ca. 3 ½ Std., eine Pause. Die nächsten Aufführungen im Königlichen Opernhaus Lüttich: am 14., 16., 19. und 23. Oktober. Infos und Tickets online unter www.operaliege.be.