Vielleicht ist es so, wie auf einem dieser kleinen Schilder geschrieben steht, die im buch7-Kulturbahnhof stehen: „Ich weiß, du hast recht – aber meine Meinung gefällt mir besser.“ Draußen rauscht ab und zu ein Zug durch das kühle Grau, hier drinnen, im warmen restaurierten Bahnhofsgebäude von Langweid, sitzen Benedikt und Carmen Gleich bei Kaffee und Kuchen. Und erzählen, wie sie ihren Online-Buchhandel seit fast zwei Jahrzehnten aufgebaut, groß gemacht und den alten Bahnhof mit neuem Leben erfüllt haben.
Gilt in den allermeisten Betrieben das Gesetz des Profits, geht es in ihrem Sozialunternehmen zwar auch darum, dass es sich rechnet – vor allem aber um Spenden. Wenn man den Spruch vom Schild abwandelt, könnte man sagen, die Gleichs und ihr Team aus Überzeugungstätern wissen schon, dass Geld die Welt regiert. Aber deshalb kann man der Welt und ihrer Gewinnmaximierung dennoch ein Schnippchen schlagen. Mit ihren eigenen Regeln.
Schon über eine Million Euro an Spenden
Das Geschäftsmodell des Online-Buchhandels geht so: Die buch7.de GmbH bietet Bücher, E-Books, CD´s und Filme an. Sie arbeiten mit drei deutschen Traditionshäusern zusammen, ein eigenes Lager führen sie nicht. Die Kunden bestellen online, bekommen zumeist in ein bis zwei Werktagen aus einem Sortiment von über neun Millionen Produkten geliefert. Sie zahlen zumeist – es gilt die Buchpreisbindung – genauso viel wie anderswo. Aber: 75 Prozent des Gewinns gehen in soziale, kulturelle oder ökologische Projekte. Zum Beispiel an die Deutsche Depressionsliga, Clowns ohne Grenzen oder die Grünhelme. Im Dezember 2024 wurde die Millionen-Euro-Marke bei den Spenden übertroffen.

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Auf der Büro-Etage im Kulturbahnhof stehen überall Bücherkisten, auch wenn das Hauptgeschäft online gemacht wird.
Foto: Marcus Merk
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Auf der Büro-Etage im Kulturbahnhof stehen überall Bücherkisten, auch wenn das Hauptgeschäft online gemacht wird.
Foto: Marcus Merk
Vor bald 20 Jahren, erzählen die Gleichs, als es losging, waren sie eine Gruppe von sieben ziemlich gleich gesinnten Studentinnen und Studenten (die Zahl, der Name). Alle lasen gerne, viel und diskutierten darüber, alle wollten etwas verändern. Damals gab es Amazon schon. Und es gab noch viel mehr als heute diese kleinen, gut sortierten Buchläden. Vor allem in den Uni-Städten. „Aber diese kleinen Händler haben damals im Netz noch nicht viel gemacht. Und wir haben gedacht, wenn so viele Bücher online bei einem amerikanischen Großkonzern verkauft werden, braucht es eine soziale und regionale Alternative“, sagt Benedikt Gleich. Er, heute promoviert, Informatiker, Philosoph und Unternehmer, sie, heute verbeamtete Gymnasiallehrerin für Englisch und Geografie und Unternehmerin, legten los. Mit den anderen fünf. „Wir waren Idealisten. Und ein bisschen blauäugig und naiv“, sagt sie. Er: „Man programmiert halt los. Irgendwann kommt ein Shop raus.“ Nur, fragte er sich: Wie kriegt man jetzt die Bücher da rein?“ Die Liste mit 2.000.000 Titeln abtippen? Nein, man schreibt ein nächstes Programm. Und dann?
Es war eine Mischung aus planen, probieren, neu anfangen. Aber 2007 wurde gegründet und 2008 war buch7.de online. Es ging zäh los. Und die Gleichs und ihre Mitstreiter brauchten viel Geduld. „Manchmal haben wir über Tage vergessen, bei den Bestellungen reinzuschauen, weil so wenig los war. Und wir haben damals tatsächlich jede Bestellung noch manuell an den Großhändler übermittelt“, erzählt sie. Er schiebt einen Tipp an alle Gründer hinterher: „Möglichst früh an den Markt gehen. Du findest immer Leute, die Dir sagen, wie toll Deine Idee ist. Aber nur auf dem Markt zeigt sich, ob die Leute auch bereit sind, für deine Idee Geld zu bezahlen.“ Es passierte auch Kurioses, denn zu einem werdenden Unternehmen gehört auch immer das gekonnte Improvisieren. Etwa ein Bewerbungsgespräch, das Benedikt Gleich noch schnell verschob, während seine Frau neben ihm im Kreißsaal mit Wehen lag.

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Am Kulturbahnhof Langweid halten tatsächlich Züge. Wer hier aussteigt, kann sich von der Bahn bei einem Stück Kuchen und einem Kaffee erholen.
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Am Kulturbahnhof Langweid halten tatsächlich Züge. Wer hier aussteigt, kann sich von der Bahn bei einem Stück Kuchen und einem Kaffee erholen.
Foto: Marcus Merk
Der Durchbruch kam 2013. Amazon stand damals besonders in der Kritik. Die Leute suchten nach Alternativen. Geboomt hat das Unternehmen dann während Corona. Und es trägt sich nach wie vor gut, sagt Gleich: „Wir machen mehrere Millionen Umsatz pro Jahr.“ Er ist schon seit ein paar Jahren hauptberuflich Geschäftsführer, es gibt elf Angestellte, darunter einen Programmierer. Wichtig ist dem Ehepaar: „Wir kennen uns alle seit Jahren. Wir helfen alle zusammen. Wir wissen, wenn sich einer krankmeldet, ist er wirklich krank.“
Klar ist: Hätten die Gleichs nicht auch andere Berufe erlernt, sondern es nur als Sozialunternehmer probiert, hätten sie anfänglich kaum eine Familie mit zwei Kindern ernähren, ein Haus renovieren können. Und sie hätten wohl nicht den Mut und die Erfahrung gehabt, danach noch den alten, zu Prinzregents Zeiten erbauten, Bahnhof von Langweid in Erbpacht zu nehmen, um ihn mit einem Team engagierter Menschen und einem Sponsor wieder herzurichten. Ein Kulturzentrum mit ein paar wenigen Büchern im Verkaufsstand, vor allem aber mit Lesungen und Konzerten. Auch das war früher, als sie Studenten waren, einer ihrer Träume. Am Freitag ist das Musik-Café „Sing along – gemeinsames Singen“ mit 2Xsang und not2perfect.
Vielleicht doch auf den reinen Profit setzen?
Der Bahnhof ist heute auch Firmenzentrale. Alles ist sauber hergerichtet, warmes Holz, eine gemütliche Mitarbeiterküche, Büros, in denen man sich gerne aufhält. Zum Schluss dann noch die eine Frage: Haben sie jemals daran gedacht, seit es so richtig rundläuft, die Sache mit den Spenden zu lassen und auf reinen Profit zu setzen? „Nein“, sagen die Gleichs und man nimmt es ihnen ab, „den Gedanken hatten wir tatsächlich noch nie.“ Zumal es auch ihren Markenkern beschädigen würde, wäre es anders. Denn: Sie wollen eine Alternative zu den Großkonzernen sein.


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Stefan Küpper
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