Wenn der Kunstverein Wagenhalle zum Tag des offenen Ateliers lädt, lassen sich Kunstliebende in Stuttgart nicht zweimal bitten und pilgern zum Nordbahnhof. Am Samstag und Sonntag war es so weit: Wo sonst Kunst hinter verschlossenen Türen entsteht, gab es Musik, Workshops, viele neugierige Blicke und angeregte Gespräche.

„Was würdest du in diesem Raum machen?“, fragt der Künstler Stephan Köperl denjenigen, der in einen kleinen schmucklosen Raum am Ende des Geländes tritt. Zusammen mit dem Besuchenden teilt er seine Visionen; er lässt sie daran teilhaben, was für die Kunstschaffenden, die ein Atelier im Kunstverein gemietet haben, täglich Brot ist. Räumlichkeiten werden aufgelöst, andere kommen dazu.

Kunstprojekt und Treffpunkt für die ganze Stadt

„Seit dem Wegfall der Wiese hinten fehlt uns Raum, hier wurden früher Gelbe Säcke gelagert. Nun überlege ich, was man damit tun kann“, erklärt er. Die Idee, dass man mit dem kleinen Müllraum, der kein richtiges Dach hat, etwas tun kann, erscheint zunächst absurd. Doch Köperl erklärt: eine Wand weg, eine Art Wintergarten, ein Treffpunkt. Und schon spinnt man mit ihm Ideen für ein Kunstprojekt und einen Treffpunkt zugleich und ist auf einmal mittendrin im Tag des offenen Ateliers. Es geht nicht nur darum, Kunst zu betrachten, sondern auch Teil des Konstrukts Kunstverein Wagenhalle zu werden; zu verstehen welche Themen die Kunstschaffenden umtreiben.

Eindrücke vom Tag des offenen Ateliers Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Seit dem Wegfall der Container City steht zum Beispiel immer noch die Frage im Raum, wann der Bau der Interimsoper beginnen soll. Zudem mussten die Backsteingebäude am Rande des Geländes geräumt werden. Nur die Erdgeschosse sind noch vermietet, hier ist allerdings die Heizung defekt. Manche Kunst kann zwar auch daheim am Computer entstehen, für andere jedoch sind die kostengünstigen Ateliers die Grundlage ihres Schaffens, erklärt eine Künstlerin.

Und was hier entsteht, muss sich vor großen Galerien nicht verstecken. Skulpturale Objekte aus Automobilen, Zeichnungen, Fotografien und Handwerkliches. Der Besuch im Kunstverein Wagenhalle ist wie ein Streifzug durchs Wunderland der Kunstvielfalt: Es gibt kaum etwas, was es nicht gibt.

Unweit des Nordbahnhofs in Stuttgart

Dazu kommt die außergewöhnliche Atmosphäre der kleinen Anlage unweit des Nordbahnhofs: „Es ist wie der Besuch in einer anderen Welt“, sagt eine Besucherin. „Die Architektur, das Leben, die kleinen Ateliers an jeder Ecke. Und alle sind so freundlich aufgeschlossen und gut drauf. Man merkt kaum, dass man noch in Stuttgart ist.“

Mit ihrer Familie besucht sie am Samstag den Tag des offenen Ateliers. Manche von ihnen seien zunächst skeptisch gewesen, als die Mutter den Programmpunkt als Ausflug fürs Wochenende vorschlug, sagt sie und lacht. Doch am Ende sind alle überzeugt. „Erst dachte ich, es sei etwas langweilig, gerade für die Kinder. Aber nee, es ist echt schön“, sagt der Vater.

Kunst muss eben nicht hinter Glas, in kühlen und ruhigen Galerien hängen. Hier im Kunstverein Wagenhalle trifft sie auf Leben, auf Lachen und Menschen. „Es macht den Tag irgendwie aus, dass die Kunst hier steht, wo sie produziert wird. Manches ist noch im Entstehen, das ist spannend und sehr lebendig und real“, fasst der Besucher Jonte seinen Eindruck zusammen.

Eine besondere Erfahrung – auch für die Künstler aus Stuttgart Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Aber nicht nur für die Besucher und Besucherinnen, auch für die Kunstschaffenden selbst ist es ein besonderes Erlebnis, ihre Ateliers am Wochenende mit der Öffentlichkeit zu teilen. Die Künstlerin Jessica Guidi bietet eine Filzwerkstatt an und kommt dabei mit den kleinsten Besuchern ins Gespräch. Adeline Rüss teilt ihre Leidenschaft für Figurentheater und bastelt Sockenpuppen. Renate Liebel freut sich auf viele gute Gespräche – beispielsweise darüber, was Kunst ist und was Deko.

Bei der Künstlerin Anja Abele sorgt bereits der Gang ins Atelier für den ersten Aha-Moment. Denn der führt über eine Leiter durchs goldene Fenster aus PU-Schaum. Wer hineinsteigt bekommt im Inneren unter anderem Zeichnungen aus Abeles Skizzenblock zu sehen, die eine authentische und nachdenkliche Sicht auf ihre Umwelt offenbaren. Daneben hängen Fotografien von Julian Rettig, auch sie dokumentieren das Zeitgeschehen und schaffen einen Moment des Innehaltens und der Ruhe.