Flensburg taz | Im Handball wird gerade außergewöhnlich hart um die Stars gerungen. Es ist kein Gerücht, dass Simon Pytlick die SG Flensburg-Handewitt im kommenden Sommer in Richtung Berlin verlassen könnte, wo er auf seinen Entdecker Nicolej Krickau als Trainer träfe. Fest steht schon, dass Nationalmannschaft-Kapitän Johannes Golla nach Melsungen wechseln wird und sein Nebenmann Lukas Jørgensen zum ungarischen Spitzenteam Veszprem. Torwart-Souverän Kevin Møller zieht es kurz hinter die Grenze in dänische Gudme zu GOG.
Ist die Stärke des neuen Tabellenführers der Handball-Bundesliga mithin nur ein flüchtiges Phänomen? Lasse Møllers Sätze nach dem 36:34 im 113. Derby gegen den THW Kiel am Samstagnachmittag sprachen eine andere Sprache: „Ich bin stolz auf das, was hier entsteht. Wir bewegen uns als ganzer Verein in die richtige Richtung. Es ist ein sehr guter Weg.“ Die Kernspieler vertrauen der Arbeit ihrer Vorgesetzten auf dem Transfermarkt. Nach Jahren der Tristesse hat sich die Führung der SG Flensburg-Handewitt zu einem großen Umbruch entschlossen und verkündet nun im Monatsrhythmus Transfers oder Vertragsverlängerungen.
Während der abgelöste Tabellenführer THW Kiel den am Knie verletzten eiskalten Shooter Emil Madsen schmerzlich vermisste und hinter Andreas Wolff das erst 20-jährige Torwart-Talent Leon Nowottny sein Bestes gibt, weil Zugang Gonzalo Pérez de Vargas noch nicht spielfit ist, schöpfte SG-Trainer Aleš Pajović beinahe aus dem Vollen.
Dass Nationalspieler Luca Witzke wegen Schulterproblemen ausfällt, ist kein Nachteil, denn die Flensburger besitzen zum einen die schon ordentlich funktionierende Achse Lasse Møller, Simon Pytlick und Kent-Robin Tønnessen. Zum anderen kann Pajović Top-Einkauf Marko Grgić von der Bank bringen. „Es macht Hammerspaß, diese Spiele zu spielen“, sagte Lasse Møller später, „wir leben dafür. Wir haben in der Halbzeit gesagt, dass wir bei unserem Stil bleiben. Uns war klar, dass wir mehr Ressourcen haben würden.“
Regisseur mit Knorpelschaden
Als X-Faktor, Regisseur und Spezialist für das Eins-gegen-Eins ist Lasse Møller unersetzlich. Wer hätte das gedacht? Beim Zugang von 2020 war ein dreiviertel Jahr später ein Knorpelschaden im rechten Knie festgestellt worden. Møller kämpfte 15 Monate für seine Rückkehr auf das Parkett. Erst zur Saison 2022/2023 wurde das „Jahrhunderttalent“ ein vollwertiges Mitglied der SG-Gruppe.
Getragen hat ihn seine Zuversicht durch die langen Monate der Reha: Von den Medizinern hieß es seinerzeit, wenn er die Muskulatur um das Gelenk geduldig aufbaue, könne er wieder spielen.
Geglaubt haben das die wenigsten. Seitdem trägt der 29 Jahre alte Spielmacher eine dicke Manschette um das Gelenk. Die ganze Halle freut sich, wenn er trifft und seine Tormelodie erklingt: „Give it up“ von KC and the Sunshine Band. Aus dem Refrain „Baby give it up“ haben die Fans „Lasse schießt euch ab“ gemacht. Dann zieht ein breites Grinsen über sein Gesicht.
In Summe hatte die SG Flensburg-Handewitt einfach mehr Energie und bezwang den THW Kiel nun schon zum fünften Mal hintereinander – und das mit einer Abwehr, die bis zur 51. Minute nur acht Gegentore im zweiten Durchgang schluckte: Hier wirkte der Tausch von Benjamin Burić zu Kevin Møller Wunder. Der 36 Jahre alte Routinier mauerte sein Gehäuse zu. So waren es die dänischen Møllers, die den zuvor ungeschlagenen Kielern den Zahn zogen.