Die Krabbelstube „Hügelhüpfer“ im Frankfurter Stadtteil Eschersheim hat rote Zettel ins Fenster gehängt: „Wir haben freie Plätze“. Der Krippe „Deborah“ in Ginnheim geht es genauso. Und die Kita „Don Bosco“ zwischen Nordend und Dornbusch kann ebenfalls noch Kinder aufnehmen. In den nördlichen Frankfurter Stadtteilen gibt es immer mehr Betreuungseinrichtungen für die Altersgruppe „U3“, also Krippen und Krabbelstuben für Kleinkinder bis zum dritten Geburtstag, die nicht mehr wie bisher nach Erziehern, sondern nach Kindern suchen.
Die geburtenschwachen Jahrgänge in Frankfurt haben die Betreuungseinrichtungen erreicht. Das bestätigen mehrere Träger auf Anfrage. Annett Werner leitet die Abteilung Kita beim Caritasverband. In einzelnen Stadtteilen sei der Geburtenrückgang spürbar, sagt sie. Die Entwicklung habe sich schon im vergangenen Jahr bei den Trägern abgezeichnet. „Wir haben eine Überversorgung in einzelnen Stadtteilen, vor allem in den nördlichen Regionen.“
Christian Strickstrock, der den großen Kitaträger BVZ leitet, pflichtet ihr bei: „Die Kinderzahlen sind rückläufig.“ In den Krabbelstuben und Krippen für die ganz Kleinen sei das besonders deutlich erkennbar. Aber sogar bei den Dreijährigen – also im ersten Kindergartenjahr – komme diese Entwicklung schon an.
Nachfrage ist bisher nur in geringem Umfang zurückgegangen
Die Stadt Frankfurt treibt den Ausbau der Betreuungseinrichtungen seit Jahren voran. Ein kontinuierlicher Platzausbau für alle Altersgruppen – Kinder unter drei Jahren, Kindergartenkinder und Grundschulkinder – habe dazu geführt, dass in Frankfurt inzwischen in fast allen Stadtteilen ein bedarfsgerechtes Betreuungsangebot vorgehalten werden könne, teilt das Bildungsdezernat auf Anfrage mit. Gleichzeitig sei eine rückläufige Bevölkerungszahl in den Altersgruppen der unter Dreijährigen und Kindergartenkinder zu beobachten.
Das liegt an den sinkenden Geburtenzahlen. 2017 wurden in Frankfurt noch 9003 Kinder geboren. Die Geburtenzahl blieb jahrelang auf einem ähnlich hohen Niveau, sank dann jedoch abrupt: 2023 kamen nur noch 6737 Kinder zur Welt, 2024 waren es 7341. Diese Jahrgänge kommen nun in den Kitas an. Zwischen 2019 und 2024 ist die Zahl der unter Dreijährigen in Frankfurt um fast 4000 Kinder gesunken. Aufs Jahr bezogen, bedeutet das einen Rückgang um rund 800 Kinder. Dabei handele es sich um ein stadtweites Phänomen, das im bundesweiten Trend liege, antwortet das Bildungsdezernat. „Perspektivisch wird sich diese Bevölkerungsentwicklung auf die Nachfrage und Inanspruchnahme von Betreuungsangeboten auswirken.“ Bisher sei die Nachfrage aber nur in geringem Umfang zurückgegangen.
Doch für viele Kitas ist das schon spürbar. Weil längst nicht alle Eltern in der Altersgruppe U3 ein Betreuungsangebot in Anspruch nehmen, gilt der Bedarf schon bei einer Versorgungsquote von 50 Prozent als gedeckt. Durch den Platzausbau bei gleichzeitig rückläufigen Kinderzahlen betrage die Versorgungsquote für die Altersgruppe der unter Dreijährigen in Frankfurt inzwischen 58,1 Prozent, teilt die Stadt mit. Und mit einer Versorgungsquote von 100,5 Prozent sei auch das Ziel für Kindergartenkinder bereits übererfüllt.
„Das Phänomen ist auf einzelne Stadtteile bezogen, dort aber zum Teil heftig“
Zwar wächst die Bevölkerung immer noch. Aber vor allem in Altersgruppen, in denen die Menschen – noch – keine Kinder bekommen. Das Amt für Statistik hat die Wanderungsbilanz nach Altersgruppen differenziert. Seit 2022 übertreffen die Zuzüge die Wegzüge nur in zwei Altersgruppen, und zwar zwischen 15 und 24 Jahren und zwischen 25 und 34 Jahren. Vor allem die Berufsanfänger kommen also nach Frankfurt. In den jüngeren und älteren Altersgruppen ist die Wanderungsbilanz negativ: Den stärksten Rückgang in der Bevölkerung erlebt Frankfurt in der Altersgruppe zwischen 35 bis 44 Jahren. In der Phase, in der die Menschen traditionell eine Familie gründen, verlassen besonders viele die Stadt.
Allerdings gibt es große Unterschiede zwischen den Stadtteilen. Eine Kitaleiterin berichtet, dass in Bockenheim viele Kinder auf der Warteliste stünden, während in Ginnheim erwogen werde, Gruppen zusammenzulegen oder sogar zu schließen. Besonders krass ist die Entwicklung in ehemaligen Neubaugebieten wie dem Riedberg und dort vor allem in Bauabschnitten, die als Erstes fertiggestellt wurden. Weil die Bewohner, die vor Jahren dorthin gezogen sind, die Phase der Familiengründung hinter sich haben, kommen kaum noch Kinder nach.
„Es gibt Teile vom Riedberg, in denen uns die Einrichtungen leerlaufen“, berichtet Strickstrock vom BVZ. Noch handele es sich aber um ein lokales Phänomen, das beispielsweise auch für Eschersheim sowie Teile von Sachsenhausen und Oberrad, aber nicht für das gesamte Stadtgebiet gelte. Aber auch im Frankfurter Westen und in Bergen-Enkheim im Osten gingen die Kinderzahlen massiv zurück. „Das Phänomen ist auf einzelne Stadtteile bezogen, dort aber zum Teil heftig. Wir haben in manchen Stadtteilen eine erkennbare Überversorgung.“
Einige Eltern warten ab, bis die Betreuung kostenfrei wird
Der Grund dafür seien aber nicht nur die rückläufigen Geburtenzahlen. „Junge Familien ziehen aus Frankfurt weg, weil sie sich die teuren Wohnungen nicht mehr leisten können“, sagt Strickstrock. Außerdem habe die Tatsache, dass die Stadt das letzte Krippenjahr beitragsfrei gestellt habe, zu einem unerwünschten Nebeneffekt geführt. „Das hat eine Lenkungsfunktion“, sagt Strickstrock. Einige Eltern warteten nämlich ab, bis die Betreuung kostenfrei wird, und schickten ihre Kinder erst mit zwei Jahren in die Krippe. Viele Eltern seien auch die hohen Ausfälle in der Kinderbetreuung und die unzuverlässigen Öffnungszeiten vieler Krippen leid und entschieden sich für eine Tagesmutter, oder ein Elternteil bleibe gleich zu Hause.
Der Evangelische Regionalverband, Träger von 119 Kinder- und Tageseinrichtungen in Frankfurt und Offenbach, bestätigt: „Die geburtenschwachen Jahrgänge sind in den Krippen angekommen, aber neben den demographischen Schwankungen spielen auch noch andere Faktoren eine Rolle. So wurde zum 1. Juli 2023 die Beitragsfreiheit auf den zweiten Geburtstag des Kindes heraufgesetzt. Einige Familien überbrücken die Zeit bis zur Beitragsfreistellung beispielsweise mit flexiblen Homeoffice-Möglichkeiten. Aufgrund der hohen Lebenshaltungskosten ziehen Familien auch vermehrt ins Umland.“
Einige Träger geben auch dem neu aufgelegten Anmeldesystem Kindernet, über das in Frankfurt Betreuungsplätze vergeben werden, eine Mitschuld an der Entwicklung. Einige Einrichtungen leiden darunter, dass den Eltern dort vor allem nahegelegene Einrichtungen angezeigt werden und beispielsweise nicht mehr solche, die auf dem Weg zur Arbeit liegen.
Wie reagieren die Träger auf diese Entwicklung? „Wir schließen einzelne Gruppen komplett“, sagt Strickstrock. Zum Teil könne man das Personal verschieben und in anderen, unterbesetzten Einrichtungen einsetzen. „Es entspannt den Fachkräftemangel, aber löst ihn nicht“, sagt er. Ähnlich sieht das auch der Evangelische Regionalverband. „Der Fachkräftemangel ist immer noch Thema. Die Entlastung durch weniger belegte Plätze bringt nur lokal vereinzelt eine leichte Entspannung.“ Das Bildungsdezernat meint: Trotz veränderter Bevölkerungszahlen bleibe der Fachkraftmangel in der Kindertagesbetreuung angesichts der demographischen Entwicklung eine große Herausforderung.
Drohen also in Frankfurt keine Verhältnisse wie in Thüringen, wo Erzieher nach Arbeit suchen, weil die Kinder ausbleiben? Strickstrock winkt ab: „Das sehe ich im Ballungsraum nicht.“ Außerdem könne sich die Entwicklung auch wieder drehen: „Wenn wieder bezahlbare Wohnungen zur Verfügung stehen, kann es wieder in die andere Richtung gehen.“