In der deutschen Politik überwiegen nach der Freilassung der letzten 20 lebenden israelischen Geiseln Freude und Hoffnung. „Endlich. Nach 738 Tagen kehren die Geiseln zurück – darunter auch Deutsche. Zwei Jahre Angst, Schmerz und Hoffnung liegen hinter ihnen. Heute können Familien ihre Liebsten endlich wieder in die Arme schließen“, schrieb Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) am Montag auf X. Und zwar auf Deutsch, Englisch und Hebräisch. „Dieser Tag ist ein Anfang: der Beginn von Heilung und ein Schritt auf dem Weg zum Frieden im Nahen Osten.“

Merz war am frühen Montagmorgen kurzfristig zur „Nahost-Friedenszeremonie“ ins ägyptische Scharm al-Scheich geflogen. Eingeladen waren auch UNO-Generalsekretär António Guterres, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sowie Jordaniens König Abdullah II.

Auch für den außenpolitischen Sprecher der SPD-Fraktion, Adis Ahmetović, ist der 13. Oktober zunächst ein Tag der Freude. Er lernte im August während einer Reise nach Israel den Vater von Omri Miran kennen. Miran gehört zu jenen, die nun freikamen. „Diese Nachricht erfüllt mich mit großer Freude und Dankbarkeit“, erklärt Ahmetović gegenüber der taz.

„Auch das unermessliche Leid der palästinensischen Bevölkerung findet nun hoffentlich ein Ende.“ Doch in die Freude mischen sich bereits erste Zweifel. Schweigen die Waffen wirklich? Wie kann der Prozess hin zu einem dauerhaften Frieden gelingen?

Ahmetović fordert entschlossenes diplomatisches Handeln, damit der Waffenstillstand hält. Dazu gehöre auch, dass politische Vorbereitungen für den Fall eines Scheiterns getroffen werden – „einschließlich möglicher EU-Maßnahmen, falls eine Konfliktpartei erneut militärisch eskaliert“. Im Klartext: Die diskutierten EU-Sanktionen gegen rechtsradikale Minister der israelischen Regierung und radikale Siedler dürfen – obwohl nie beschlossen – nicht zu schnell vom Tisch genommen werden. „Über der Euphorie sollte nicht vergessen werden, dass die Lage in der Westbank weiterhin sehr angespannt ist“, so Ahmetović.

Wahrscheinlich hebt die Bundesregierung aber den von Merz im August verkündeten teilweisen Lieferstopp von Rüstungsgütern an Israel bald wieder auf. Laut einem Regierungssprecher wird die Genehmigungspraxis nun angesichts der Ereignisse vor Ort überprüft.

Als erste Sofortmaßnahme will die Bundesregierung 29 Millionen Euro für humanitäre Hilfe überweisen, etwa an das Welternährungsprogramm, das Kinderhilfswerk Unicef und die Weltgesundheitsorganisation. Innerhalb der nächsten Wochen wird Deutschland zudem zusammen mit Ägypten eine Wiederaufbaukonferenz für Gaza in Kairo ausrichten. Diese, so teilte es ein Sprecher des Auswärtigen Amtes bereits am Freitag mit, werde „eine politisch breit angelegte Konferenz sein, die auch im Blick behält, dass am Ende eine Zweistaatenlösung stehen muss“.

Neben dem Auswärtigen Amt, das für humanitäre Hilfe zuständig ist, spielt das Entwicklungsministerium (BMZ) mit seiner langfristigen Zusammenarbeit eine zentrale Rolle. Ministerin Reem Alabali-Radovan (SPD) knüpfte Ende August in den palästinensischen Gebieten, in Jordanien und Saudi-Arabien erste Kontakte. 850 temporäre Unterkünfte stünden bereit, um nach Gaza gebracht zu werden.

Die Crux ist: Wie andere Länder hatte Deutschland die Mittel für Entwicklungszusammenarbeit stark zusammengekürzt. In diesem Jahre muss das BMZ mit rund 1 Milliarde Euro weniger auskommen, im kommenden Jahr sollen weitere 360 Millionen Euro wegfallen. Ahmetović fordert, die geplanten Kürzungen zurückzunehmen. „Deutschland sollte gemeinsam mit europäischen Partnern Verantwortung beim Wiederaufbau des Gazastreifens übernehmen und damit verlorenes Vertrauen im Globalen Süden und in Europa zurückgewinnen.“