Die Kirchen treten aus Sicht von Julia Klöckner zu politisch auf. Mit der Besetzung tagesaktueller Themen würden sie austauschbar, sagte die CDU-Politikerin. Bei SPD und Grünen sieht man das anders, und auch aus der eigenen Partei kommt nun Kritik.

Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) stößt mit ihrer Kritik am politischen Engagement christlicher Kirchen nun auch in der eigenen Partei auf Widerspruch. Dennis Radtke, der Vorsitzende des CDU-Sozialflügels (CDA), sagte am Sonntag der „taz“: „Ich finde es maximal irritierend, dass wir meinen, wir hätten das Recht, die Kirchen zurechtzuweisen und in ihrer Kommunikation auf ihre vermeintlichen Kernaufgaben zurückzudrängen, wie Julia Klöckner das jetzt getan hat.“

Die Kernaufgabe von Kirche sei die Verkündigung des Evangeliums und die Lehre von Jesus Christus, sagte Radtke weiter – und fügte hinzu: „Überall da, wo Kirchen der Meinung sind, das kollidiert mit der Politik, hat Kirche natürlich das Recht und auch die Pflicht, sich zu Wort zu melden.“

Es sei nicht unsere Aufgabe als CDU, diese Kritik eins zu eins zu übernehmen, schließlich sei sie nicht der politische Arm der Kirchen, sagte der CDA-Chef. „Aber unsere Aufgabe ist schon, uns ernsthaft mit dieser Kritik auseinanderzusetzen.“

Zuvor hatten bereits SPD und die Grünen entsprechende Äußerungen der Bundestagspräsidentin bemängelt. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Ralf Stegner warf der CDU-Politikerin etwa „obrigkeitsstaatliche Zurechtweisung“ vor.

Stegner (SPD) wünscht sich sogar eine noch stärkere Positionierung der Kirchen

Die Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann wiederum fordert mehr Offenheit gegenüber der „kritischen Zivilgesellschaft“. Klöckner hatte zuvor in einem Interview gesagt, die Kirchen gäben Stellungnahmen „wie eine NGO“ ab.

„Warum sollten sich die Kirchen nicht äußern zu Ungerechtigkeiten in der Welt, zu Humanität und Menschlichkeit, zum sozialen Zusammenhalt und zur Nächstenliebe?“, sagte Haßelmann nun dem „Tagespiegel“. „Das sind doch existentielle Fragen des Lebens.“ Die Union zeige sich „gerade nicht besonders offen gegenüber der kritischen Zivilgesellschaft. Erst ein 551 Fragen-Katalog zum bürgerschaftlichen Engagement von zivilgesellschaftlichen Organisationen, jetzt Ratschläge von Julia Klöckner an die Kirchen“.

Stegner wünscht sich sogar eine noch stärkere Positionierung der Kirchen, wie er dem „Tagesspiegel“ sagte: „Die Stimme der Kirchen für Frieden und Gerechtigkeit dürfte ruhig häufiger, unbequemer und lauter zu hören sein, wenn es darum geht, der Militarisierung von Denken und Handeln, der Inhumanität und der sozialen Spaltung unserer Gesellschaft Paroli zu bieten.“ Weiter sagte Stegner: „Statt der österlichen obrigkeitsstaatlichen Zurechtweisung hätte ich mir von meiner Präsidentin des Deutschen Bundestages die besondere Wertschätzung für diese Rolle der Kirchen gewünscht.“

In Deutschlands freiheitlicher Demokratie könne und dürfe man im Gegensatz zu anderen Staaten die Kirchen kritisieren, sagte Stegner, „und das gilt selbstverständlich auch für die Bundestagspräsidentin. Allerdings liegt Frau Klöckner fundamental daneben, wenn sie fordert, dass sich die Kirchen weniger ins politische Tagesgeschäft einmischen sollten. Das hätten manche Politiker(innen) wohl gerne. Das Gegenteil wäre aber richtig und notwendig.“

Auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) kritisierte Klöckner. Er schrieb auf X, wenn Kirchen sich auch politisch äußerten, sei das „sehr wichtig“. Das Christentum sei „ursprünglich auch die Stimme der Armen und Rechtelose“ gewesen. „Ihnen sollte kein Maulkorb empfohlen werden.“

„Dann wird sie leider austauschbar“, sagt Klöckner über die Kirche

Klöckner hatte die Kirchen kritisiert und sich von ihnen weniger Stellungnahmen zu tagesaktuellen Themen gewünscht. „Wenn Kirche manchmal zu beliebig wird oder zu tagesaktuellen Themen Stellungnahmen abgibt wie eine NGO und nicht mehr die grundsätzlichen Fragen von Leben und Tod im Blick hat, dann wird sie leider auch austauschbar“, sagte die CDU-Politikerin der „Bild am Sonntag“: „Ich meine: Klar kann sich Kirche auch zu Tempo 130 äußern, aber dafür zahle ich jetzt nicht unbedingt Kirchensteuer.“

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Es sei ein freies Land, „da kann man alles sicherlich tun und machen“, räumte Klöckner ein: „Aber ich glaube, von Kirche erwartet man sich diese sinnhafte Begleitung, diese Antwort auf Fragen, die ich in meinem Alltag habe, vielleicht auch Trost und Stabilität.“

Zur Frage, warum so viele Menschen aus den Kirchen austreten, sagte Klöckner: „Ich glaube, es hat mit mehreren Punkten etwas zu tun. Mit steigendem Wohlstand lässt häufig auch eine Kirchenbindung nach. Dann der zweite Punkt: Es gibt auch Ersatzreligionen.“ Eine weitere Erklärung sei sicherlich, dass Kirche nicht immer „die Antworten gibt, die die Menschen gerade brauchen“.

Klöckner kritisierte zudem: „Kirche ist auch nicht frei von Fehlern und Skandalen. Und wenn wir in die Corona-Zeit schauen – da hätte die Kirche vielleicht noch einen Tick mehr an Stabilität, mehr an Sinnstiftung und Seelenbegleitung geben können. Und ich glaube, an der einen oder anderen Stelle hat sie wirklich eine Chance verpasst.“

Für sie selbst spiele der christliche Glaube eine wichtige und haltgebende Rolle, so Klöckner. Sie glaube an die Wiederauferstehung: „Ich glaube daran, dass wir Menschen, unsere Seele, unsere Bestimmung über das hinausweist, was das Irdisch-Vergängliche ist, das, was uns weiterträgt. Wie das genau aussehen wird, das weiß ich nicht.“

epd/AFP/gub/krott/saha