Kam es bei der Kommunalwahl 2024 in Mainz zu gravierenden Verstößen gegen das Wahlgesetz und zu Scheinkandidaturen von Ministern, die das Wahlergebnis verzerrt haben? Mit diesen Vorwürfen muss sich heute das Verwaltungsgericht in Mainz befassen, der Grund: eine Klage des Freien Wähler-Stadtrats Erwin Stufler. Der hatte nach der Stadtratswahl im Juni 2024 zwei Wahlanfechtungsklagen erhoben, die sich gegen den grünen Ortsvorsteher der Oberstadt, Daniel Köbler, Ortsbeirat David Wilk (SPD) – sowie gegen gleich vier Landesminister richtet. Prominentester Fall: Innenminister Michael Ebling (SPD) und seine umstrittene Kandidatur für den Mainzer Stadtrat. Bekäme Stufler Recht, müsste die Kommunalwahl in Mainz wiederholt werden.
Die Minister Doris Ahnen (2. von links) und Michael Ebling (2. von rechts) mit den beiden Mainzer SPD-Chefs Ata Delbasteh und Jana Schmöller im Juni 2025. – Foto: SPD Mainz
Es war im November 2023, als die Mainzer SPD ihre Liste zur Stadtratswahl am 8. Juni 2024 aufstellte – und auf dieser Liste fand sich auf einmal ein höchst prominentes Gesicht: Innenminister Michael Ebling. Der Vorgang sorgte für erhebliche Kritik, hatte doch gerade Ebling im Oktober 2022 mit seinem plötzlichen Abgang aus dem Amt des Oberbürgermeisters in Richtung Innenministerium die Mainzer SPD schwer in die Bredouille gebracht: Bei der folgenden OB-Neuwahl verlor die SPD nach mehr als 70 Jahren den Chefsessel im Mainzer Rathaus ans den parteilosen Newcomer Nino Haase.
Mehr noch: Ebling dürfe als Innenminister gar nicht für den Stadtrat kandidieren, monierten die Freien Wähler. Laut Kommunalwahlgesetz in Rheinland-Pfalz dürfe ein Mitglied des Gemeinderates „nicht zugleich hauptamtlich als Beamter tätig sein, der unmittelbar mit Aufgaben der Staatsaufsicht über die Gemeinde befasst ist“, betonte der Vorsitzende der Freien Wähler in Mainz, Christian Weiskopf, bereits im November 2023. Der Innenminister des Landes sei aber qua Amt derjenige, der die oberste Staatsaufsicht über die Kommunen habe, und damit auch über die kommunalen Haushalte.
Vier Landesminister auf Stadtratsliste: Kräftig Stimmen geholt
In Rheinland-Pfalz ist dafür ganz konkret die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) in Trier zuständig, deren oberster Dienstherr: der Innenminister. Damit sei Ebling als Beamter unmittelbar „für die überörtliche Prüfung der Gemeinde“ zuständig, als Stadtrat werde das zu Interessenkonflikten führen, betonte Weiskopf: „Es mag zwar sein, dass Michael Ebling in Person diese Staatsaufsicht über die Stadt Mainz nicht ausübt, und er sich bei einzelnen Tagesordnungspunkten jeweils für befangen erklärt oder an der Beratung nicht teilnimmt – über allem schwebt dann aber trotzdem die Mächtigkeit des Ministers.“
Auch die Grünen zogen mit Familienministerin Katharina Binz in den Wahlkampf zum Mainzer Stadtrat – Binz zog nicht in den Rat ein. – Foto: Grüne RLP
Und diese „Mächtigkeit“ – oder in diesem Fall wohl eher: Bekanntheit – war es offenbar, die die SPD zu ihrem Manöver motivierte: Ebling sollte als bekanntes Zugpferd Stimmen bringen, das gleiche galt für Finanzministerin Doris Ahnen (SPD), die ebenfalls auf der Stadtratsliste stand. Und die SPD war damit nicht alleine: Auch die Grünen setzten ihre prominenten Mainzer Ministerinnen Katrin Eder und Katharinas Binz auf ihre Listen zur Stadtratswahl – mit Erfolg: Alle vier Landesminister holten mächtig Stimmen bei der Wahl und wurden von den Wählern per Stimmenhäufung auf höhere Plätze kumuliert.
Einzig Innenminister Ebling trat nach der Wahl sein Mandat im Mainzer Stadtrat auch tatsächlich an, der Ex-Oberbürgermeister war von den Wählern von Listenplatz 30 auf Platz 4 hochgewählt worden. Die SPD errang bei der Wahl 12 Sitze im Mainzer Stadtrat, die Grünen wurden gar mit 15 Sitzen erneut stärkste Kraft, allerdings nur noch knapp vor der CDU-Opposition. Minister Ebling legte indes sein Stadtratsmandat im Juni dieses Jahres schon wieder nieder, nur ein Jahr nach der Wahl. Seine Nachrückerin verzichtete ebenfalls: Finanzministerin Ahnen und Ebling wollten sich auf ihre Kandidaturen bei der Landtagswahl im März 2026 konzentrieren, lautete die offizielle Begründung.
Scheinkandidaturen der Landesminister zum Stimmenfang?
Doch ein Klage der Freien Wähler spricht nun von „Scheinkandidaturen“: Bei der Stadtratswahl hätten „Bewerber zur Wahl gestanden, die nicht wählbar waren“, heißt es in der Klageschrift, die Mainz& vorliegt, dazu habe es Verstöße gegen Wahlvorschriften gegeben – die Konsequenzen könnten gravierend sein: Die Kommunalwahl in Mainz könnte im Extremfall für ungültig erklärt werden. „Die Wahl eines Gewählten ist wegen Mangels der Wählbarkeit für ungültig zu erklären“, heißt es in der Klageschrift – das gelte auch, falls „erhebliche Verstöße gegen die Wahlvorschriften vorgekommen sind, die geeignet sein können, das Wahlergebnis wesentlich zu beeinflussen.“
Kandidierte ebenfalls für den Mainzer Stadtrat trotz Ministerinnenamt: Umweltministerin Katrin Eder (Grüne). – Foto: Umweltministerium
Die Klage beruft sich dabei auf das Kommunalwahlgesetz Rheinland-Pfalz aus dem Jahr 1994, dort heißt es in Paragraph 5: „Wer zum Mitglied des Gemeinderats gewählt ist und die Wahl angenommen hat, darf nicht gleichzeitig hauptamtlich tätig sein als Beamter oder als Beschäftigter der Gemeinde, der Verbandsgemeinde“ oder als „Beamter oder als Beschäftigter, der unmittelbar mit Aufgaben der Staatsaufsicht über die Gemeinde oder mit der überörtlichen Prüfung der Gemeinde befaßt ist.“ Das aber treffe auf den Innenminister des Landes Rheinland-Pfalz als obersten Dienstherren der Kommunen zu, argumentieren die Freien Wähler – und reichten eine Wahlanfechtungsklage vor dem Verwaltungsgericht Mainz ein.
Begründete das Amt des Ministers also „eine Unvereinbarkeit von Amt und Mandat“? Ja, sagt die Wiesbadener Rechtsanwältin Joy Hensel – und spricht sogar von „Scheinkandidaturen“. Hensel verweist dabei auf eine Gesetzesnovelle zum Kommunalwahlgesetz in Rheinland-Pfalz aus dem Januar 2023, in der es ausdrücklich heißt: „Bei Wahlen zu den kommunalen Vertretetungskörperschaften kommt es immer wieder zu Scheinkandidaturen von kommunalen hauptamtlichen Amtsträgern für ein kommunales Mandat.“
Werbung
Weniger Sitze für SPD und Grüne ohne prominente Minister
Da Scheinkandidaturen aber „zu Wettbewerbsverzerrungen (…) führen können und somit dem Ansehen einer transparenten demokratischen Kultur abträglich sind“, führte die Gesetzesnovelle eigens eine neue Regel ein: Bewerber, bei denen durch die angestrebte Wahl „eine Unvereinbarkeit von Amt und Mandat nach den Bestimmungen des Kommunalwahlgesetzes begründet würde“, sind seither verpflichtet, „vor der Wahl zu erklären, ob sie gewillt sind, das Mandat später anzunehmen oder auf das Mandat zu verzichten.“ Diese Absichtserklärung muss mit dem Wahlvorschlag eingereicht und den Wählern bekannt gemacht werden – Innenminister Ebling legte indes keine solche Absichtserklärung vor.
Im Mainzer Stadtrat bildete sich nach der Kommunalwahl 2024 eine Kenia-Koalition – womöglich hätte es ohne die prominenten Minister-Kandidaten andere Mehrheitsverhältnisse gegeben. – Foto: gik
Allein das begründe schon einen Verstoß gegen Wahlvorschriften, argumentiert Anwältin Hensel – und kritisiert weiter: Nachdem Minister Ebling sein Stadtratsmandat niedergelegt hatte, habe das Gericht angeregt, die Klage zurückzunehmen. Der Verzicht auf das Mandat korrigiere aber nicht den ursprünglichen Fehler bei der Wahl, argumentiert die Anwältin – zumal sich diese „Wahlfehler“ wegen der erheblichen Bekanntheit der vier Ministerbewerber auf die Stimmenanzahl der Parteien und damit auch auf die Sitzverteilung im Stadtrat ausgewirkt hätten.
Denn: Allein Ebling erhielt bei der Stadtratswahl rund 24.000 Stimmen, Finanzministerin Ahnen ebenfalls rund 20.000 – ohne diese Kandidaten hätte die Liste der SPD erheblich weniger Stimmen erhalten, und damit im Stadtrat womöglich einen Sitz weniger gehabt. „Die auf den Kandidaten Ebling entfallenden Stimmen sind mandatsrelevant und führen zum Verlust eines Sitzes“, rechnet Hensel vor, ähnliches gelte im Übrigens auch für die grünen Ministerinnen Binz und Eder: Ohne deren knapp 46.000 Stimmen hätten die Grünen statt 15 Sitzen im Stadtrat nur 14 erhalten – und hätten nicht mehr als stärkste Fraktion das Erstzugriffsrecht auf eine Koalitionsbildung gehabt.
Werbung
Klage gegen Köbler und Wilk wegen möglicher Schein-Wohnsitze
Das Fazit der Anwältin: „Es ist zu einer Wählerbeeinflussung unter Verstoß gegen Wahlvorschriften gekommen“, die Stimmen der „Minister-Promis“ seien relevant für die Verteilung der Stimmen auf die einzelnen Parteien und ihre Anzahl der Sitze im Stadtrat gewesen – und damit für die Möglichkeit, Koalitionen zu bilden. „Die Verstöße sind erheblich und auch ergebnisrelevant. Damit ist die Wahl zu wiederholen“, so die Anklageschrift. Ob das Verwaltungsgericht dem folgt, dürfte sehr ungewiss sein, die SPD hatte stets behauptet, es gebe keinen Konflikt, rechtlich sei die Kandidatur der Minister möglich.
Der Grüne Daniel Köbler im Mai 2025 nach seiner Wahl zum neuen Mainzer Bürgermeister und Finanzdezernenten im Mainzer Stadtrat. – Foto: gik
Doch da gibt es auch noch die zweite Klage von Stadtrat Stufler, die richtete sich gegen die beiden Kommunalpolitiker Daniel Köbler (Grüne) und David Wilk (SPD). Köbler wurde bei der Wahl zum Ortsvorsteher gewählt, Wilk in den Ortsbeirat, aber beide hätten im Frühjahr 2024 gar nicht in der Mainzer Oberstadt gelebt – was die Voraussetzung für die Kandidatur ist. Köbler habe vielmehr bei seiner Frau und den beiden Töchtern in Weisenau gelebt, Wilk bei seiner Partnerin in Wackernheim, so die Klage. Die angegebenen Hauptwohnsitze seien lediglich „Pro-Forma“ gewesen, um die gesetzlichen Anforderungen zu umgehen.
Stufler hatte diese Anschuldigungen bereits im Vorfeld der Kommunalwahl erhoben, Gehör hatte er damit beim Wahlausschuss der Stadt Mainz nicht gefunden – trotz durchaus vorhandener Anhaltspunkte. Die Scheinwohnsitze widersprächen „dem Geist und der Intention des Gesetzgebers, der eine klare Verankerung der Kandidaten im Stadtteil vorsieht“, betonte Stufler nun noch einmal. In beiden Fällen hätten die fehlerhaften Kandidaturen Einfluss auf das Wahlergebnis genommen, das sei aber nicht hinnehmbar: „Aus meinen starken Bedenken, ob diese Kandidaturen rechtmäßig gewesen sind, entstanden diese beiden Verfahren.“
Für ihn sei die strikte Einhaltung der Wahlgesetze „überlebenswichtig für eine funktionierende, anerkannte und resiliente Demokratie“, unterstrich Stufler nun im Vorfeld der Gerichtsverhandlungen am Dienstag. Gesetze, die Kandidaturen für eine Kommunalwahl regelten, müssten von allen Beteiligten eingehalten werden, „unabhängig von strategischen Parteiinteressen“, so der Stadtrat weiter: „Vor dem Gesetz sind alle Menschen gleich!“
Info& auf Mainz&: Mehr zur Kritik an der Kandidatur von Innenminister Michael Ebling (SPD) für den Mainzer Stadtrat 2024 lest Ihr noch einmal hier bei Mainz&. Dazu auch:
