Gewalt und Erniedrigungen sind im russischen Militär allgegenwärtig. Jüngere Soldaten werden von älteren geradezu rituell schikaniert und gedemütigt. Immer wieder töten sich Rekruten selbst, weil sie den Terror durch Vorgesetzte oder gestandene Kameraden nicht länger ertragen.

Hauptstadt Inside von Jörg Quoos, Chefredakteur der FUNKE Zentralredaktion

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Mit äußerster Brutalität gehen russische Offiziere auch gegen Soldaten vor, die sich dem lebensgefährlichen Einsatz an der Front durch Flucht entziehen. Die Zahl der Deserteure ist in den vergangenen Monaten nach Informationen das ukrainischen Projekts „Ich will leben“ sprunghaft gestiegen. Demnach könnten bis zum Jahresende etwa 70.000 russische Soldaten fahnenflüchtig werden, das entspricht zehn Prozent aller russischen Soldaten, die im Angriffskrieg gegen die Ukraine im Einsatz sind.

Warum russische Soldaten desertieren

Gründe, die Waffen zu strecken und sich dem Gemetzel an der Front zu entziehen, gibt es laut dem Nordkaukasus-Projekt von Radio Free Europe/Radio Liberty viele. Die wenigsten Soldaten desertieren allerdings, weil sie den Krieg gegen die Ukraine ablehnen. Entscheidender sind Misshandlungen durch Vorgesetzte, ausbleibender Sold oder familiäre Gründe in der Heimat. So entlassen sich verwundete russische Soldaten eigenmächtig aus dem Krankenhaus und verschwinden oder kehren aus dem Urlaub nicht mehr in ihr Regiment zurück. Andere fliehen direkt im Gefechtsgebiet und ergeben sich freiwillig dem Feind.

Russia Ukraine War Deserters

Mittlerweile ist die russische Militärführung alarmiert und hat harte Maßnahmen gegen Deserteure ergriffen, die gefasst werden konnten. Bisher wurden fliehende Soldaten an der Front von ihren Kameraden kurzerhand erschossen. In mehreren Videos auf dem Kanal Telegram ist diese Praxis dokumentiert. Schon im November 2022 berichtete der britische Geheimdienst von „Barrieretruppen“. Diese drohten damit, Soldaten auf dem Rückzug zu erschießen, um Offensiven zu erzwingen.

Drakonische Strafen gegen Fahnenflüchtige

Auch mit nackter Gewalt und drakonischen Strafen geht das Militär gegen Fahnenflüchtige vor. Der US-Sender CNN hat einige dieser „Sanktionen“ dokumentiert. So werden Deserteure an Bäume gefesselt, wo sie ukrainischen Drohnen hilflos ausgeliefert sind. Auch erzwungene Zweikämpfe zwischen Deserteuren bis zum Tod sind belegt. In anderen Clips ist zu sehen, wie Soldaten in enge Gruben gepfercht und von ihren Kameraden als „Tiere“ beschimpft und erniedrigt werden.

Ein Flugabwehrsystem Boxer Skyranger 30 des Rüstungsunternehmens Rheinmetall.

Eine weitere grausame Strafe ist das sogenannte „Karussell“. Dabei wird ein fahnenflüchtiger mit einem Seil an ein Fahrzeug gebunden und minutenlang über Straßen und Felder geschleift.

Trotz hoher Verluste (laut ukrainischer Quellen bis zu 1000 Tote und Verletzte pro Tag) scheint es Kreml-Machthaber Wladimir Putin bisher noch zu gelingen, die Reihen wieder aufzufüllen. Laut russischen Quellen wurden zuletzt jeden Monat im Schnitt 31.600 neue Soldaten für den Einsatz in der Ukraine rekrutiert. Viele von ihnen dürften nur weiteres Kanonenfutter sein.