Lange wartete er auf sein ersten Länderspieltor – jetzt ist Nick Woltemade glücklich. Und mit ihm der Bundestrainer, der den Stürmer lobt und auf dessen Entwicklung eingeht.
Nachdem es vorher in den knapp 92 Minuten inklusive Nachspielzeit flirrend und hitzig war im kleinen Windsor-Park zu Belfast mit nordirischen Fans, die mit ihrem stimmgewaltigen Chor über alle vier Tribünen eine Gänsehautatmosphäre erzeugten, wurde es nach dem Abpfiff ruhiger. Reggae-Musik tönte aus den Boxen, als sich die Ränge leerten und die deutschen Nationalspieler nach ihrem hart erkämpften 1:0-Sieg in der WM-Qualifikation den Rasen in Richtung Kabine verließen. Die Stadionregie spielte nach 92 Minuten Hardrock aus dem Publikum jetzt leisere Töne. Reggae von Bob Marley stand auf der finalen Liedliste des Abends. Genauer: Three little birds – mit den berühmten Zeilen, die so wunderbar auf die Verfassung des Mannes einspielten, der das deutsche Siegtor geschossen hatte: „Cause every little thing gonna be alright. Singing, don’t worry about a thing.“
Alles wird also gut, mach dir um nichts Sorgen – das war so ziemlich genau die Gefühlslage, die Nick Woltemade, den ehemaligen Stürmer des VfB Stuttgart, am späten Montagabend umgab. Mit der Schulter hatte er nach einer Ecke in der ersten Hälfte das 1:0 erzielt, es war sein erstes Länderspieltor – nachdem vorher eben zumindest im DFB-Dress nicht alles gut war und man sich einige Sorgen um Woltemade machen musste.
Pfiffe gegen Nick Woltemade in Köln
Denn während er auf der Insel bei seinem neuen Club Newcastle United ordentlich durchstartete, knarzte es im Nationalteam gewaltig. Unglücklich waren seine Auftritte vom Sommer dieses Jahres an. Im September dann wurde Woltemade beim 3:1 gegen Nordirland in Köln gar ausgepfiffen – jetzt schaffte der 23-Jährige, der im Sommer für 85 Millionen Euro vom VfB nach England wechselte, seinen Befreiungsschlag. Alles war gut am Montagabend. Und die Sorgen waren weg. Innere Entspannung war angesagt – auch beim Bundestrainer.
Die Entwicklung von Nick Woltemade
„An Stürmern musst du immer ein bisschen länger festhalten, auch wenn sie mal nicht treffen“, sagte Julian Nagelsmann zunächst – eher er auf die spezielle jüngere Geschichte Woltemades einging. Der Coach sprach davon, dass der Offensivmann noch im vergangenen September noch nicht mal für die Champions League beim VfB nominiert war. Dass er dann durch die Decke gegangen sei beim VfB und auch bei der U-21-EM im Sommer. Und dass die extrem hohe Ablösesumme, mit der er im Sommer nach Newcastle wechselte, die Öffentlichkeit manchmal vergessen lasse, „dass Nick immer noch ein Spieler ist, der noch viele Entwicklungsschritte gehen kann und muss“.
Keine Frage: Für Nagelsmann ging das alles ein bisschen schnell bei Woltemade. Es wäre ihm lieber gewesen, wenn er den Offensivmann behutsamer an seine Aufgaben in der DFB-Elf hätte heranführen können. Aber dann kam eines zum anderen – Woltemades steiler Aufstieg (über den sich der Bundestrainer selbstredend nicht beschwert) und das Verletzungspech in der Offensive des Nationalteams. Jamal Musiala, Kai Havertz, Tim Kleindienst und Niclas Füllkrug fehlten oder fehlen wegen kleinerer und größerer Verletzungen. Und so wurde Woltemade schneller zur aktuellen A-Variante als vom Bundestrainer geplant
Doch selbst wenn insbesondere Kleindienst oder Füllkrug mit Blick auf die WM wieder zurückkommen: Woltemades Vorteil gegenüber der Konkurrenz ist sein eigenes Profil. So sind Kleindienst und Füllkrug klassische Mittelstürmer. Havertz wiederum, so sagte das Nagelsmann, könne „vorne alles spielen“. Und Woltemade? „Ihn sehe ich eher als hängende Spitze.“
Dank an den Torschützen: Julian Nagelsmann (li.) gratuliert Nick Woltemade. Foto: IMAGO/DeFodi Images
In Belfast aber war die hängende Spitze jetzt meist eine echte in Absenz der Verletzten – und: Es war eine verdammt engagierte Spitze, die Woltemade auf dem Platz zum Besten gab. „Der große Unterschied zu den ersten Spielen von Nick für uns war jetzt der defensive Fleiß, der war ein ganz anderer“, sagte Nagelsmann. Das Schultertor gegen die Nordiren sah der Coach demnach als Lohn für diesen Einsatz und wähnte gar höhere Mächte am Werk. „Und dann ist es manchmal so, dass der Fußballgott dich belohnt und einem der Ball auf die Schulter fällt und du dein erstes Tor machst.“
Tatsächlich war Woltemade gegen die aggressiven Nordiren stets griffig und mit viel Engagement unterwegs. Er musste einiges einstecken und holte einige Freistöße heraus, bisweilen musste man sich Sorgen um die Reißfestigkeit seines Trikots machen. Obwohl er, so sagte es Woltemade hinterher selbst, ein „ekliges Spiel“ durchlebt habe, hätten ihm die zahlreichen Zweikämpfe gefallen, was auch mit seiner jüngsten Vergangenheit zu tun habe. „Durch den Wechsel in die Premier League bin ich jetzt schon ein bisschen was anderes gewöhnt“, sagte er – und betonte, dass er sich in Sachen Duelle sogar ein bisschen mehr Freiheiten gewünscht hätte. „Es wurde ein bisschen mehr abgepfiffen, was in der Premier League nicht so gepfiffen wird. Mir macht das Spaß – wenn die Leine ein bisschen länger gelassen worden wäre, wäre es auch schön gewesen“, erklärte der Stürmer.
Das aber waren wahre Luxussorgen nach einem schönen Abend – den Woltemade beim Blick auf die Unruhe um ihn bei der DFB-Elf ob seiner unglücklichen Auftritte zuletzt mit der gelassenen Aussage abschloss: „Für die Medien ist es immer ein Thema, wenn ein Stürmer kein Tor hat, als Spieler ist es nicht so. Ich habe mich damit nicht befasst, aber natürlich mitbekommen, dass es von außen kam. Aber so ist es im Leben des Stürmers.“
Oder anders, frei nach Bob Marley: Alles wird gut. Mach dir um nichts Sorgen.