Rheinhessens Wirtschaft hat sich lange gegen den Abwärtstrend in Deutschland gestemmt, nun kommen Absatzflaute und Industrieschwäche auch hier an. Die jüngste Konjunkturumfrage der Industrie- und Handelskammer für Rheinhessen zum Herbst spricht von „alarmierenden Rückgängen“ vor allem in den Bereichen Industrie und Handel. Gut die Hälfte aller Handelsunternehmen verzeichnen demnach Umsatzrückgänge, auch der Inlandsabsatz gilt als Geschäftsrisiko. Die IHK warnt: die rheinhessischen Unternehmen stehen „an einem Kipppunkt.“
Jahresempfang d4er Wirtschaft in der Mainzer Rheingoldhalle: Stimmung getrübt. – Foto: gik
Rheinhessen gilt als eine der wirtschaftsstärksten Regionen in ganz Deutschland, der Landkreis Mainz-Bingen ist gar der reichste der Republik – Unternehmen wie Boehringer Ingelheim oder Biontech in Mainz, aber auch eine Vielzahl sogenannter „Hidden Champions“ sorgen für Wirtschaftskraft, Arbeitsplätze und Wohlstand. Doch nun schlägt die Industrie- und Handelskammer Mainz-Rheinhessen Alarm: Deutschlands Wachstumsschwäche spiegele sich zunehmend auch in Rheinhessen wider, „der Abwärtstrend der rheinhessischen Wirtschaft setzt sich fort“, heißt es.
Grund ist die aktuelle Konjunkturumfrage zum Herbst, und da zeigt sich: Der aktuelle Konjunkturklimaindex – ein wichtiger Gradmesser für die wirtschaftliche Entwicklung – liegt derzeit bei gerade einmal 92 Punkten, und damit weiterhin unter der Wachstumsschwelle von 100 Punkten. Während sich das Dienstleistungsgewerbe positiv entwickele, geraten Industrie und Handel zunehmend unter Druck, lautet die Bilanz der IHK: „Die Rückgänge in Industrie und Handel sind alarmierend“, warnt IHK-Präsident Marcus Walden.
Rheinhessische Unternehmen „am Kipppunkt“
Der Konjunkturklimaindex ist ein regelmäßig von den IHKs erhobener Wert, der den Grad der Zufriedenheit in der Wirtschaft misst sowie die Bereitschaft, in Zukunft Investitionen zu tätigen und Arbeitsplätze zu schaffen. Schon im Oktober 2023 warnte die IHK in Mainz und Rheinhessen, die Geschäftslage der Unternehmen sei so schlecht wie seit dem Corona-Herbst 2020 nicht mehr – in den Unternehmen herrschten angesichts höchst unsicherer Zukunftsaussichten Frust und Verunsicherung.
Containerhafen in Mainz: Der Handel geht harten Zeiten entgegen. – Foto: gik
Damals lag der IHK-Konjunkturklimaindex bei gerade einmal 88 Punkten, stark erholt hat sich Stimmung in den vergangenen Jahren aber nicht: 65 Prozent der Unternehmen sehen die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen als Geschäftsrisiko, bei 55 Prozent ist es der schwache Inlandsabsatz, bei 52 Prozent die Arbeitskosten, bei 44 Prozent der Fachkräftemangel und für immerhin 36 Prozent die hohen Energie- und Rohstoffpreise.
„Die rheinhessischen Unternehmen stehen der IHK-Umfrage zufolge an einem Kipppunkt.“, warnt denn auch Walden. Nur von 21 Prozent der Unternehmen werde die Geschäftslage noch als positiv beschrieben, 57 Prozent beurteilen sie als „befriedigend“, aber 22 Prozent als „negativ“. Und auch für die kommenden zwölf Monate blieben die Geschäftserwartungen pessimistisch: 27 Prozent rechnen mit einer schlechteren Geschäftslage, 60 Prozent mit einer konstanten Entwicklung, während nur 13 Prozent positiv in die Zukunft blicken.
Weniger Investitionen, ein Drittel plant Stellenabbau
Das schlägt sich unmittelbar in Investitionsabsichten und Personalplanung nieder: Zwar gibt ein Fünftel der rheinhessischen Unternehmen an, im nächsten Jahr mehr zu investieren. Knapp ein Drittel der Betriebe planen aber, Investitionen zu kürzen. Auch mit Blick auf die Beschäftigung schlägt das Pendel zunehmend negativ aus, warnt die IHK: 28 Prozent der Betriebe rechnen damit, Stellen abbauen zu müssen, während nur noch 12 Prozent planen, zusätzliche Mitarbeiter einzustellen. „Das sind schlechte Nachrichten“, sagte Walden: „Wenn Investitionen und Personal zurückgefahren werden, kann sich die Wirtschaft auch zukünftig weniger kraftvoll entwickeln.“
Die Industrie in Rheinhessen gerät immer mehr unter Druck. – Foto: gik
Die Rückmeldungen zeigten, dass der angekündigte Bürokratieabbau und die Beschleunigung von Genehmigungsverfahren noch nicht in der Wirtschaft angekommen seien. „Unsere Unternehmen leisten Tag für Tag enorm viel – sie investieren, schaffen Arbeitsplätze und halten durch. Sie brauchen auch vor Ort eine spürbare Veränderung der Rahmenbedingungen. Kommunalfinanzen und Verwaltungsalltag müssen grundsätzlich neu aufgestellt werden, um wieder Aufwind in unsere Wirtschaftsregion zu bringen“, forderte Walden.
Und so fordern die Branchenvertreter deutlich mehr Tempo von der Bundesregierung: „Die Geschwindigkeit und Konsequenz des Regierungshandelns muss sich den volkswirtschaftlichen Realitäten anpassen“, sagte IHK-Hauptgeschäftsführerin Karina Szwede: „Die Wirtschaft hat keine Zeit für eine Findungsphase der Bundesregierung!“ Eine wirtschaftspolitische Trendwende in Bund und Land sei „dringender denn je, bevor auch in Rheinhessen aus einer Stagnation eine Rezession wird.“ Vor allem die Industrie als Rückgrat der Wirtschaft müsse wieder wettbewerbsfähig agieren können.
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Sinkflug bei Industrie, Einbrüche im Einzel- und Großhandel
Denn: Besonders negativ ist laut der Umfrage die Entwicklung in der rheinhessischen Industrie: 45 Prozent der Betriebe verzeichnen eine rückläufige Umsatzentwicklung, lediglich 14 Prozent bezeichnen ihre Lage als „gut“, aber 35 Prozent als negativ. Und für das kommende Jahr gehen lediglich 10 Prozent von einer positiven Geschäftsentwicklung aus, 30 Prozent aber rechnen mit einem Rückgang. Immerhin: Von einer Steigerung im Auslandsgeschäft gehen 17 Prozent aus, 63 Prozent rechnen mit einer gleichbleibenden Entwicklung und 20 Prozent mit Rückgängen.
Nach dem Zollkrieg mit den USA setzt sich auch im Einzel- und Großhandel der Negativtrend fort: Die Mehrheit von 55 Prozent der Betriebe verzeichnete Umsatzrückgänge in den letzten zwölf Monaten – und nur 5 Prozent der Händler gehen von einer positiven Entwicklung in der Zukunft aus. 47 Prozent geben eine negative Prognose ab, während 48 Prozent mit einer konstanten Entwicklung rechnen. Demgegenüber zeigen sich die Befragten mit Blick auf ihre Geschäftslage robust: Als befriedigend wird diese von 69 Prozent beschrieben, in einer guten Lage sehen sich 12 Prozent, während 19 Prozent ihre Geschäftslage als schlecht beurteilen.
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Erholung im Gastgewerbe, Aufwärts in der Dienstleistungsbranche
Dagegen blickt das Gastgewerbe in Rheinhessen auf eine positive Entwicklung: Eine Mehrheit von 54 Prozent der Betriebe konnte die Umsätze in den letzten zwölf Monaten steigern, bei 38 Prozent blieben sie konstant. Die Geschäftslage wird aber weiter gemischt betrachtet: Als „gut“ wird sie von 29 Prozent bewertet, als „befriedigend“ von 50 Prozent. 21 Prozent beurteilen sie negativ. In die Zukunft blickt die Branche eher verhalten: So gehen 14 Prozent der Betriebe von einer Verschlechterung ihrer Geschäftsentwicklung aus, während alle weiteren befragten Betriebe eine gleichbleibende Entwicklung erwarten.
Einzig der Dienstleistungssektor baut mit einer Steigerung des Geschäftsklimaindex um fünf Punkte auf 109 seinen Wachstumskurs aus. 29 Prozent der Betriebe sehen sich in einer guten Geschäftslage, für 56 Prozent ist die Geschäftslage befriedigend, während 15 Prozent eine schlechte Lage verzeichnen. Für die kommenden zwölf Monate erwarten 21 Prozent eine positive Geschäftsentwicklung, 61 Prozent erwarten keine Veränderung und 18 Prozent gehen von einer negativen Entwicklung aus. Im Rahmen der repräsentativen IHK-Konjunkturumfrage zum Herbst 2025 wurden insgesamt 747 Unternehmen aller Größen und Branchen in Rheinhessen befragt.
Info& auf Mainz&: Mehr zu der aktuellen IHK-Konjunkturumfrage samt Grafiken und Daten findet Ihr hier im Internet.
