Verteidigungsexperten haben den britischen Premierminister in einem geheimen Brief vor russischen Angriffen auf Unterseekabel gewarnt. Werden sie zertrennt, wären weite Teile des öffentlichen Lebens lahmgelegt. Schon heute nimmt Russland die Leitungen ins Visier.

Britische Verteidigungsexperten haben Premierminister Keir Starmer eindringlich vor einem möglichen russischen Angriff auf Unterseekabel gewarnt. Dieser könnte zu einem „katastrophalen“ Zusammenbruch des zivilen Lebens in Großbritannien führen, berichtet die „Times“.

Geheim-Brief zu Unterseekabeln statt öffentlicher Bericht

Schon die Art der Warnung verdeutlicht, wie besorgt die Experten des Ausschusses für nationale Sicherheitsstrategie sind. Sie hatten im vergangenen Monat einen Bericht publiziert, aus dem das Thema Unterseekabel vor Veröffentlichung gestrichen worden war. Laut „Times“ seien die Ausschussmitglieder besorgt gewesen, Russland auf die Verwundbarkeit Großbritanniens aufmerksam zu machen.

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Stattdessen schrieben die Experten einen vertraulichen Brief direkt an Regierungschef Starmer. Das hat John Hutton, ein ehemaliger britischer Verteidigungsminister und Mitglied des Ausschusses, der „Times“ in einem Podcast berichtet. Demnach sei er selbst überrascht gewesen, wie anfällig Großbritannien immer noch für Angriffe auf die Kabel im Meer sei.

Unterwasserleitungen transportieren 95 Prozent der britischen Daten

Die Unterwasserleitungen transportieren 95 Prozent der britischen Daten rund um die Welt. Hutton sagte im Podcast: „Unterwasserkabel sind heute der wichtigste Teil unserer nationalen Infrastruktur. Ohne sie würden wir fast in das Mittelalter zurückgeworfen werden.“ Als Beispiele, welche Lebensbereiche beeinträchtigt wären, nannte er das Gesundheitssystem, den Einzelhandel und die Reisebranche.

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Besonders alarmierend ist für den Labour-Politiker die Verwundbarkeit des Bankensystems. „Die größte Sorge, die wir hatten, als wir uns unsere Schwachstellen angesehen haben, galt dem Finanzdienstleistungssektor. Stellen Sie sich ein Land vor, in dem Sie keinen Zugriff mehr auf Ihr Bankkonto haben“, sagte er der „Times“. 

Wenn Kabel ausfallen, droht sogar Bürgerkrieg

„Stellen Sie sich vor, Sie könnten keine Ihrer Rechnungen bezahlen, Sie könnten Ihre Hypothek nicht bezahlen, Sie könnten nicht auf Ihr Bargeld zugreifen, Sie könnten keine Lebensmittel kaufen, Sie könnten Ihr Auto nicht mit Benzin betanken.“ Hutton prophezeit, dass dann völliges Chaos ausbrechen würde, sogar ein Bürgerkrieg sei möglich.

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Der Ex-Verteidigungsminister erklärte im „Times“-Podcast deshalb, die Unterseekabel seien „das, was mich bei weitem am meisten umtreiben würde, wenn ich noch in der Regierung wäre“. Starmer und seine Minister müssten sich viel stärker um das Thema kümmern als bisher. „Es sollte jedem zivilen Notfallplaner heute auf die Stirn tätowiert sein: ‚Was ist mit den Kabeln?'“

Unter Militärexperten gilt es schon länger als mögliches Szenario, dass der russische Präsident Wladimir Putin bei einem Angriff auf die Nato auch Unterseekabel sabotieren würde. Deshalb sind nicht nur Großbritannien und die Leitungen durch den Ärmelkanal und Atlantik gefährdet, sondern auch Länder wie Deutschland, die solche Kabel durch die Ostsee nutzen.

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ANZEIGERussland setzt Schattenflotte gegen Unterseekabel ein

Dort hat die Beschädigung der Leitungen in den vergangenen Jahren bereits zugenommen. So wurden beispielsweise 2023 Kabel in der Ostsee durchtrennt. Im November 2024 wurden zwei weitere Datenkabel in der Ostsee zerschnitten. Sie hatten Finnland und Deutschland sowie Schweden und Litauen verbunden. Wenig später wurde das Stromkabel Estlink 2 zwischen Estland und Finnland beschädigt.

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Russische Schattenflotte Der Öltanker „Eagle S“ steht im Verdacht, Teil der russischen Schattenflotte zu sein und Unterseekabel beschädigt zu haben. Jussi Nukari/Lehtikuva/dpa

Im Verdacht stand jeweils Russland. Experten gehen davon aus, dass das Land seine sogenannte Schattenflotte für solche Operationen einsetzt. Dabei handelt es sich zum Beispiel um Öltanker, die unter Flagge anderer Staaten fahren und etwa ihren Anker einsetzen, um die Kabel zu beschädigen.

Die EU hat daher im Februar Sanktionen gegen die russische Schattenflotte verhängt. Allerdings scheint das wenig zu bewirken. Die Nato hat im Januar die Operation „Baltic Sentry“ („baltische Wache“) als direkte Reaktion auf die Infrastruktur-Angriffe gestartet.