„Der wirkliche Fortschritt findet auf der Bühne statt“, sagt Ferdinand Muradyan. Die Möglichkeit, Fortschritte zu machen, gibt ihm gerade das Staatstheater Augsburg: Von diesem Samstag an ist der Armenier dort in einer Neuproduktion von Georges Bizets „Carmen“ zu erleben, als Leutnant Zuniga. Eine Nebenrolle, gar nicht so klein, aber jedenfalls Muradyans erste auf einer deutschen Bühne.

Nach Augsburg gekommen ist der junge Bassist über ein neues Kooperationsmodell, das die italienische Stiftung „Mascerade Opera“ ins Leben gerufen hat: Ein Jahr lang werden junge Sängerinnen und Sänger in Florenz auf das Berufsleben vorbereitet, erhalten Gesangs-, Rollen- und Fremdsprachenunterricht, aber auch Vorsingtraining und Karrieretipps. Im zweiten Jahr geht es dann in die Praxis, mit Rollen an den Theatern in Augsburg, Heidelberg, Wiesbaden und Mannheim.

Die privat finanzierte Stiftung arbeitet damit ähnlich wie die Opernstudios großer Häuser, nur mit internationalem Brückenschlag. Doch warum vom schönen Florenz ausgerechnet nach Deutschland? „Deutschland ist der Anfängermarkt schlechthin“, sagt Ralph Strehle, der – ebenfalls deutsche – Direktor von „Mascerade“. Hier gibt es mehr Opernensembles als überall sonst, was auch bedeutet: mehr Rollen für Anfänger.

Das Programm sieht Strehle als „Brücke zwischen der Ausbildung in den Heimatländern und den großen Opernstudios oder auch direkt ins Festengagement“. Der Nachwuchs herkömmlicher Opernstudios wird natürlich ebenfalls in Produktionen eingesetzt, doch bei „Mascerade Opera“ muss er auch vor fremden Ohren bestehen. „Der Markt entscheidet mit.“ Will heißen: Intendanten und Operndirektoren der beteiligten Theater sitzen in den Vorsingen und Studienproduktionen in Florenz und suchen sich ihre Zöglinge gleich für bestimmte Rollen aus. Daneben arbeitet „Mascerade“ mit mehreren Künstleragenturen zusammen, wichtig für die spätere Vermittlung in Gastrollen und Festengagements.

Solche Bässe gibt es in Mitteleuropa fast nicht mehr

Entsprechend dankbar zeigt sich Muradyan im Gespräch, er betont es gleich mehrfach. Persönliche Eindrücke dagegen äußert der 24-Jährige nur ausgesprochen zurückhaltend. Dabei wirkt er älter, ein ziemlich viriler Typ. Klickt man sich durch seine Demovideos bei Youtube, dann fällt einem erstmal die Kinnlade runter: eine Bärenstimme, voll, rund und samtig, mit der natürlichen Beize, die den echten „Schwarzbass“ ausmacht, bis hinab zum tiefen E des Sarastro in der „Zauberflöte“.

Solche Bässe gibt es in Mitteleuropa fast nicht mehr, der Nachschub kommt aus Osteuropa, teilweise auch Asien. Muradyan hat bis 2023 in Jerewan studiert, an der Armenischen Nationaloper in der Hauptstadt hat er schon große Rollen gesungen, Colline zum Beispiel in „La Bohème“ und Dulcamara im „Liebestrank“. In Augsburg fängt er dagegen bescheiden wieder an. Am Nationaltheater Mannheim übernimmt er später in der Spielzeit noch einen der Gralsritter im „Parsifal“.

Das Staatstheater muss für die Stipendiaten nur die Unterkunft stellen

„Ein Bass wird immer gebraucht“, sagt Sophie Walz, die Augsburger Operndirektorin. Der Hausbass Avtandi Kaspeli, ein Georgier, darf bei „Carmen“ ausnahmsweise pausieren. Auch finanziell hat das Programm Vorteile, die Zöglinge bringen ein Stipendium aus Florenz mit, das Staatstheater muss nur die Unterkunft stellen. Neben Muradyan hat man sich für die thailändische Sopranistin Priya Pariyachart entschieden, die in Monteverdis „L’incoronazione di Poppea“ auftreten wird, außerdem in Wiesbaden als Papagena in der „Zauberflöte“.

Für Walz ist das Ziel, dass sie die Praxis eines Opernbetriebs kennenlernen, die organisatorischen Abläufe, die überall ähnlich sind, ebenso die Besonderheiten eines Hauses, das jeweilige Ensemble, in das sie sich einfügen müssen, neben der Lebensorganisation in einer fremden Stadt. Mit guten Effekten auch fürs eigene Ensemble, wie die Operndirektorin beschreibt. Die Neuen weckten bei den Älteren den Ehrgeiz, aber auch den Wunsch, eigene Erfahrungen weiterzugeben. Mit Muradyan ist sie jedenfalls zufrieden: ein guter Typ mit schöner Präsenz, vorbereitet und engagiert. „Er will alles richtig machen.“ Aber: „Man merkt ihm die Unsicherheit an, dass er den Betrieb noch nicht kennt.“

Das sieht der junge Bassist selbst nicht anders: Disziplin, Teamwork und den Rhythmus der Abläufe nennt er als zentrale Lerninhalte für sich. Und die gesprochenen französischen Dialoge bei „Carmen“, denn die machen ihm noch Bauchschmerzen. Aber Muradyan weiß auch, dass er Zeit hat, wie alle Bässe. „Das Leben eines Basses beginnt eigentlich erst mit Dreißig.“ Deshalb hat er sich gerade für eine weitere Ausbildung beworben, am Opernstudio der Hamburgischen Staatsoper. „Ich hoffe, dass ich in Deutschland bleiben kann.“ Es wäre ja auch dumm, ihn wieder ziehen zu lassen.