Wie radikal ist es zu pusten? Oder wenn viele pusten, Tausende sozusagen? Gibt das genug Wind, um ein Menschenleben zu retten? Für Iphigenie ist es ein Traum, dass sich genug Bewohner von Aulis zusammentun, um den Wind zu erzeugen, für den sie geopfert werden soll. Mit Pusten, Papier und Pitabroten. Dann trieben die vielen Tausend griechischen Schiffe hinaus, und Iphigenie könnte fliehen, könnte weiterleben.

Es ist eine kleine, poetische Fiktion, die Lilly-Marie Vogler sich für ihre Soloperformance „Iphigenies Rache“ ausgedacht hat. Ein Traum. Wann hat man die Tochter Agamemnons, die geopfert werden soll, damit die Schiffe der Griechen weiter gen Troja segeln können, schon einmal von ihren Sehnsüchten erzählen hören? Oder Solidarität einfordern lassen? Es ist ein Perspektivwechsel, der sich hier vollzieht, durchaus einer, der im Trend liegt, und das ist gut so. Titelfiguren wie beispielsweise in „Ophelia Balladen“ im Marstall oder in Felicitas Bruckers „Nora“ an den Kammerspielen emanzipieren sich in neuen Texten, was auch gerne als „empowern“ beschrieben wird.

Filmfestivals in München

:Die Welt im Blick

In München finden im Herbst mehrere Filmfestivals statt. Mal geht es in ferne und nicht ganz so ferne Länder, mal um neue queere Perspektiven. Ein cineastischer Überblick.

Lilly-Marie Vogler hat ihre Bearbeitung des antiken Stoffs vergangene Spielzeit am Theater Regensburg herausgebracht. Nun tourt sie mit der Produktion im deutschsprachigen Raum, war mit ihr auch auf Einladung in Brasilien. Ein wichtiger Stopp: der Werkraum der Kammerspiele, fast eine Art Heimspiel für sie, wurde sie doch an der Otto-Falckenberg-Schule ausgebildet, machte dort 2022 ihren Abschluss.

Ihr Abend „Iphigenies Rache“, den Nils Strunk eingerichtet hat, ist dabei sehr witzig und schöpferisch, Vogler jongliert mit verschiedenen Theatermitteln und weiß auch, mit dem Publikum anzubandeln. Das Setting ist Iphigenies Kinderzimmer, jetzt ihre Gefängniszelle, in der sie als Jugendliche im Jogginganzug auf den Tod wartet. Da spielt sie mal, arg verkürzt, mit Puppen und Büsten ihre Familiengeschichte nach, singt ein Väter-Lied zur Melodie von Herbert Grönemeyers „Männer“, schlüpft in Männlichkeits- oder Duckmäuserposen in verschiedene Rollen – Agamemnon, Menelaos, Kalchas, Achilles –, spielt die Verliebte, das Kind, die Träumende, die Enttäuschte, die Kämpfende.

Die vielen Elemente sind schön ineinander verzahnt, getragen von einer wandlungsfähigen Schauspielerin, die der Ironie und der Komik zugeneigt ist. „Iphigenies Rache“ ist ein bemerkenswertes, launiges, gesellschaftspolitisches Solo-Debüt. Gerne mehr davon.