Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung der RWTH Aachen hat einen chemischen Durchbruch erzielt: Erstmalig lassen sich stabile Amine – zentrale Bausteine vieler Medikamente – gezielt aktivieren und umbauen. Die Methode könnte die Wirkstoffentwicklung verbessern: schneller, einfacher und mit bisher unerreichter chemischer Vielfalt.

Chemiker der RWTH Aachen entwickeln eine Methode, mit der sich stabile Amine gezielt umbauen lassen – ein wichtiger Schritt für neue Wirkstoffe.

Chemiker der RWTH Aachen entwickeln eine Methode, mit der sich stabile Amine gezielt umbauen lassen – ein wichtiger Schritt für neue Wirkstoffe.

Foto: Smarterpix/kwanchaidp

Forscherinnen und Forscher der RWTH Aachen aus Deutschland, Großbritannien, China und Italien haben erstmals ein Verfahren entwickelt, mit dem die Reaktivität von Aminen erhöht werden kann. Dabei handelt es sich um organische Verbindungen, die von Ammoniak abgeleitet sind und Stickstoff enthalten. Diese sind in vielen weltweit am häufigsten verwendeten Medikamenten zu finden: Ibuprofen, Aspirin oder dem Antiallergikum Cetirizin.

Amine – die „Sturköpfe“ der Chemie

Normalerweise sind Amine chemisch gesehen der „Endpunkt“: Aufgrund ihrer wichtigsten Bindung, nämlich der äußerst stabilen Kohlenstoff-Stickstoff-Bindung, sind sie nur schwer umbauen oder mit anderen Molekülen zu verknüpfen. Das Forscherteam hat nun in der Fachzeitschrift Nature ihren neuen Ansatz vorgestellt, welcher verspricht, die pharmazeutische Synthese deutlich zu vereinfachen.

Aktivierung der Amine

Zunächst werden die Amine mit einer Borverbindung verknüpft, was die Elektronenverteilung im Molekül verändert und die Amine deutlich reaktiver macht. Mithilfe eines Kupferkatalysators wird dann gezielt die Verbindung zwischen Kohlenstoff und Stickstoff gespalten. Dabei entstehen sogenannte Alkylradikale, also sehr reaktionsfreudige Zwischenstufen, die sich leicht an andere Moleküle binden können.

Nachdem die Amine aktiviert, also für Reaktionen mit anderen Molekülen vorbereitet, worden sind, folgt die Kreuzkupplung. Dabei handelt es sich um eine Reaktion, die zu den leistungsfähigsten Methoden gehört, um komplexe Moleküle aus einfacheren Bausteinen herzustellen. In diesem Fall bedeutet es, dass die Alkylradikale sich mit anderen Stoffen verbinden können, sodass man die ursprüngliche Aminogruppe durch viele verschiedene chemische Gruppen ersetzen kann.

Die Forscherinnen und Forscher konnten verschiedene Klassen der Amine aktivieren und erfolgreiche Kreuzkupplungen mit einer Vielzahl anderer organischer Moleküle durchführen. So war eine Synthese verschiedener Verbindungen möglich.

Warum ist diese Methode wichtig?

Aminogruppen spielen eine wesentliche Rolle in der biologischen Funktion vieler Medikamente, zum Beispiel in:

  • Antibiotika
  • Anästhetika
  • Antidepressiva

Diese neu entwickelte Methode erlaubt es Chemikerinnen und Chemikern, kleine, aber entscheidende Veränderungen an pharmazeutischen Molekülen vorzunehmen. Dadurch wird es wesentlich einfacher, chemisch vielfältige Arzneimittel mit unterschiedlichen biologischen Funktionen herzustellen. Bisher haben diese Bemühungen viele Einzelschritte erfordert.

Diese Modifikationsstrategie kann die Anzahl der Syntheseschritte, die zur Herstellung und Diversifizierung einzelner Wirkstoffe erforderlich sind, drastisch verringern und so Zeit, Kosten und Arbeitsaufwand einsparen.

„Die Möglichkeit, Amine direkt zu aktivieren und zu modifizieren, wird es uns ermöglichen, schnell zu untersuchen, wie sich strukturelle Veränderungen auf die biologische Aktivität auswirken“, erklärt Daniele Leonori, Lehrstuhl für Organische Chemie III an der RWTH Aachen.

Medikamente schneller testen?

Diese Methode ist ein neuer Weg, um Medikamente gezielt zu verändern oder zu optimieren. So können beispielsweise Wirkstoffe mit einem leicht veränderten Aufbau schneller getestet werden, sodass ihre Wirkung oder Verträglichkeit effizient verbessert werden kann.

Diese Strategie funktionierte bereits bei bekannten Medikamente wie Sertralin, einem Antidepressivum und Rivastigmin, ein Medikament, welches oftmals bei Parkinson-Erkrankten verschrieben wird.