Ein Werber verabschiedet sich – angeblich. «Am Ende» ist Erinnerungsbuch, Ideenlabor und Altersprovokation zugleich. Lesenswert, gerade jetzt, wo die Branche zerfasert und Mut knapper wird.
Beat Hürlimann
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16. Oktober 2025

Das Buch liest sich wie ein Rückspiegel, der mehr zeigt als Erinnerungen – ein Versuch, das eigene Schaffen in eine Erzählung zu fassen, die zwischen Selbstanalyse und Branchenkommentar pendelt. Zwischen Beobachtung, Bekenntnis und leiser Ironie entsteht ein Selbstporträt, das herausfordert und die Frage aufwirft:
Was bleibt vom Werber?
Von Matt, in Brüssel geboren, in der Schweiz aufgewachsen, in Deutschland zur Ikone aufgestiegen, erzählt ohne Pathos, dafür mit viel Lust an Verdichtung. Statt Case-Movie-Orchester: stille Töne, klare Kanten. Die Verschiebung vom Dienstleister zur Konzeptkunst wirkt konsequent – und genau deshalb streitbar. Seine «Carpe Vitam Clock» (die Restlebenszeit als Digitalanzeige) ist eine schöne Idee der Achtsamkeit; als Werk bleibt sie jedoch näher an Branding-Denke als an radikal offener Kunst.
Die List mit der Benotung
Kapitelbewertung, die nach hinten «schlechter» wird – ein schlauer Leser-Hook. Aber: Hinter dem Trick steckt viel Substanz. Wer will, kann hinten raus Know-how destillieren, mit dem sich eigene Positionierungen bauen lassen. Von Matt weiss das natürlich. Und gönnt uns den Spagat zwischen Leselust und Lehre.
Radikal einfach – oder gar nicht
Überall blitzt die alte Schule auf: Nein sagen können. Ideen gegen Bedenkenträger schützen. Verdichten, bis nur noch das Unverwechselbare bleibt. Der «elfte Zeh» als Merkfrage für jede Idee – herrlich unvergesslich.
Werbung heute: Fragmentiert, ver-insourst, verunsichert
Während Altwerber Bücher schreiben (oder Kunst machen), verlagern Marken Budgets inhouse, Agentur-Ökosysteme fransen aus, AI liefert brauchbare Mittelmässigkeit im Akkord. Gerade deshalb würde man sich die alte Von-Matt-Härte wünschen: weniger Angst, mehr Haltung, weniger Gremium, mehr Entscheidung. Die Branche braucht wieder Wagemut für das Einfache, das traut.
Mutter, Babyelefant, Banane
Die schönsten Passagen sind biografisch: eine Mutter als Meisterin des liebevollen Framings; der «Babyelefant» als Mass für Distanz – ein Kommunikationsbild, das sich ins kollektive Gedächtnis fräst; und die banale Banane als Pop-Ikone. Man spürt: Gute Werbung beginnt im Alltag, nicht im Whitepaper.
Fazit: Am Ende? Noch nicht.
«Am Ende» ist kein Schwanengesang, sondern ein Handbuch für den nächsten Mutakt. Wer in der Inhouse-Routine feststeckt (oder AI für Kreativität hält), findet hier das Gegenprogramm: Verdichten, Entscheiden, Verantwortung übernehmen. Und ja: Die Restlebensuhr tickt. Umso besser.
«Am Ende» ist im Buchhandel erhältlich. Das Werk umfasst 240 Seiten, wiegt 404 Gramm und verbraucht 60 Kalorien pro Lesestunde.
