Der schwedische Künstler Anders Zorn (1860 – 1920) holt den Betrachter im wahren Wortsinn mit ins Boot. Aus nächster Nähe, so als säße er selbst im Heck des hölzernen Kahns, porträtiert er eine junge Frau, die in einer hellen, nordischen Sommernacht über einen See rudert. Sie wirft einen Blick über die Schulter, sodass von vorn nur ihr Profil zu sehen ist, während ihr helles Haar und ihre kräftigen Arme im späten Licht leuchten. Viel von dem, was Zorn auszeichnet, findet sich in dem Gemälde „Mitternacht“, das vom 26. September an im Rahmen der Retrospektive „Anders Zorn. Schwedens Superstar“ in der Kunsthalle zu sehen ist.

Reflexe auf der Wasseroberfläche als Markenzeichen

So war der Maler besonders begnadet darin, Wasser lebendig abzubilden: „Er hat Reflexe auf der Wasseroberfläche zu seinem Markenzeichen gemacht“, sagt Markus Bertsch, Kurator der Schau. Auch das Motiv des Bootes durchzieht das Werk des Malers, Grafikers und Bildhauers, der zahlreiche Reisen unternahm. So befahren seine Ruderer nicht nur die Gewässer im schwedischen Schärengarten, sondern skullen auch vor Istanbul, Algier und Hamburg. Für die Wahl origineller Perspektiven oder seinen Umgang mit dem Licht, der auf Zorns Nähe zum Impressionismus verweist, ist das Bild der jungen Rudernden ebenfalls ein gutes Beispiel.

Mit der Ölmalerei setzte sich der Bierbrauersohn aus dem mittelschwedischen Mora, der sein Studium an der Akademie der Künste in Stockholm bereits mit 15 Jahren aufgenommen hatte, erst relativ spät auseinander: „Er war in den ersten Jahren als Aquarellmaler tätig. Weil er schnell Erfolg damit hatte, hielt er daran fest“, sagt Bertsch, der die Schau mit Leihgaben aus vielen europäischen und amerikanischen Sammlungen chronologisch aufgebaut hat. Bereits ein frühes Bildnis einer Frau in Trauer erregte große Aufmerksamkeit. Anerkennung erhielt Zorn bald auch international: In London und Paris, wo er lange lebte, sowie in den USA, wohin er sieben Reisen unternahm, wurde er zum Star.

Immer wieder malte Zorn seine Ehefrau Emma

Im Frühwerk griff er bereits alle seine späteren Sujets auf. Da sind seine Landschaften, die spannungsvoll zwischen Nähe und Ferne, Detailgenauigkeit und Andeutung wechseln. Da sind außerdem seine in Spanien entstanden volkstümlichen, erzählerische Szenen: ein junges Paar, das sich frisch getrennt hat oder zwei Liebende im blühenden „Park der Alhambra“. Da sind auch die Bilder der werktätigen Bevölkerung, etwa die Arbeiterin in einer Gobelinmanufaktur oder ein Pantoffelverkäufer. Und da sind schließlich seine Porträts: In Lissabon aquarellierte er beispielsweise einen steinreichen Auftraggeber – in einem blauen Sessel thronend, mit hochherrschaftlichem Gesichtsausdruck.

Immer wieder malte Zorn seine Ehefrau Emma, die auch seine Marketingstrategin war, die „maßgebliche treibende Kraft“, so der Kurator. Sie gehörte einer großbürgerlichen jüdischen Familie in Stockholm an, war bestens vernetzt und vermittelte dem aufstrebenden Künstler wichtige Kontakte. „Die lesende Emma Zorn“ ist auf einem der ersten Ölgemälde von 1887 zu sehen. Selbstvergessen blättert sie in einer Zeitung, wirkt dabei entspannt und natürlich, ihr einziger Schmuck ist ein Goldring mit einem Smaragd. Ab 1888 lebte das Ehepaar Zorn für acht Jahre in Paris, wo sich der Maler mit den Impressionisten Renoir, Degas und Max Liebermann anfreundete sowie Preise und Porträtaufträge erhielt. Zu Zorns impressionistisch beeinflussten Arbeiten zählt das Gemälde „Omnibus“, dessen Passagiere er kunstvoll ins Licht setzte.

Porträts, Genrebilder, Akte

Die Schau zeigt viele Hauptwerke aus dieser Zeit – etwa das Bildnis einer „Parisienne“ im grünen Mantel, das Genrebild „In der Brotbäckerei“ oder das resolute Aktporträt „Venus de la Villette“: Hier malte Zorn eine einfache Frau, die unbefangen in seinem Atelier posiert, „eine Person, die mit beiden Füßen fest auf dem Boden steht“, so Bertsch. Auch mit der Aktmalerei befasste sich Zorn immer wieder.

Ende 1891 bekam er vom Kunsthallendirektor Alfred Lichtwark den Auftrag, dessen „Sammlung von Bildern aus Hamburg“ zu ergänzen. „Er war der erste Maler von internationalem Rang, der dieser Einladung folgte“, erklärt der Kurator. Zorn aquarellierte am Hamburger Hafen Frachtschiffe, Schlepper und kleine Boote, vor allem aber das flirrende Licht auf den Elbwellen. Lichtwark trödelte mit der Bezahlung, erwarb aber Radierungen des Künstlers. Eine große Gruppe dieser gekonnt schraffierten Grafiken, meist Porträts und oft Variationen bereits bearbeiteter Motive, ist in der Schau zu sehen.

In den USA waren drei Präsidenten Zorns Kunden

Gemälde verkaufte Zorn in Deutschland nur selten – in den USA hingegen kam er als Porträtist groß heraus, zählte sogar drei Präsidenten zu seinen Kunden: William Howard Taft, Theodore Roosevelt sowie Stephen Grover Cleveland. Das Bildnis des letzteren entstand 1899 und kam jetzt aus dem Washingtoner Smithsonian in die Hansestadt. „Was meine hässliche Visage betrifft, so denke ich, dass der Künstler sie in großartiger Form weggestrichen hat“, soll das zufriedene Staatsoberhaupt angesichts des Bildes gesagt haben.

Auch das schwedische Königspaar Sofia und Oskar II. ließ sich von Zorn malen, der 1896 mit Emma wieder in seine Geburtsstadt zog. In Mora griff er heimatliche Sujets auf, schuf etwa das dynamische, von feierlich gestimmten Menschen bevölkerte Bild „Mittsommertanz“. Dass Zorn ein Meister der Atmosphäre war, beweist auch das Gemälde „Hirtin“: Eine junge Kuhhirtin steht stoisch in einem Tannenwald, mit dem Horn an ihrem Gürtel wird sie die Tiere am Abend zusammenrufen. Die scharlachrote Schürze des Mädchens hat dieselbe Farbe wie der Anzug, den Anders Zorn auf seinem letzten Selbstbildnis von 1915 trägt; der wohlhabende Malerstar posiert hier in einem schlichten, schwedischen Holzhaus.

Kunsthalle: „Anders Zorn“: bis 25. Januar 2026