Die Reihe „Bilderbande“ im Verlag E. A. Seemann wächst. Das sind großformatige Kinderbücher, die einführen in die großen und kleinen Themen der Welt. Zum Beispiel in das Ballett. Für manche Kinder entfaltet es seine Faszination, wenn sie es mit ihren Eltern zum ersten Mal in der Oper erleben. Für manche ist das Tanzen selbst das Faszinierende und sie melden sich zum Ballettunterricht an, wo sie die ersten Schritte und Bewegungen lernen. Aber das Buch erzählt natürlich viel mehr, taucht mit den Lesern auch hinab in die Geschichte des Balletts.
Und die begann wohl irgendwie mit Katharina von Medici, die den französischen Thronfolger Heinrich heiratete und ab 1547 Königin von Frankreich war. Und irgendwie hatte sie aus Italien ihre Liebe zum Tanz mitgebracht und ließ auch ihre Lieblingskünstler an den französischen Hof kommen, wo sie ausufernde Tanzfeste veranstaltete: ballets de cour. Also Hoftänzchen, denn Ballett ist ja die Verkleinerungsform von ballo, was auf Italienisch schlichtweg Tanz heißt.
Aber es ging nicht nur ums Tanzen. Es ging um das Geschichtenerzählen mit Tanz – also ohne Worte. Aber mit Kostümen und Kulissen und Musik natürlich. Und was als große Aufführung am Hof begann, eroberte in den folgenden Jahrhunderten nach und nach auch die Bühnen der Städte.
Eine kleine Revolution war dann die Zeit der Romantik. Auch davon erzählt Rachel Oidtmann. Denn in dieser Zeit entwickelte sich die klassischen Formen des Balletts, wie wir es heute kennen. Und es entstanden die berühmten Ballette, die noch heute das Publikum in Scharen in die Opernhäuser ziehen, wo es einfach märchenhaft, romantisch und zauberhaft wird.
Im Tanz der Zeit
Rachel Oidtmann erzählt also auch gleich noch die Geschichte der berühmtesten Ballette – von „Giselle“, „Schwanensee“, „Der Nußknacker“ bis „Bolero“. Und in derselben Zeit entstanden natürlich auch die berühmten Zutaten, die wir heute alle mit dem Ballett verbinden – vom Spitzenschuh, der es den Tänzerinnen überhaupt erst ermöglicht, richtig auf Spitze zu tanzen, bis zum Tutu, dem immer kürzeren Rock aus Tüll, der immer mehr von den Beinen der Tänzerinnen sehen ließ. Und damit Bewegungsfreiheit schuf und mehr Sichtbarkeit für die faszinierenden Tanzfiguren der Ballerinen.
Dabei begegnet man auch berühmten Tänzerinnen wie Marie Taglioni, die den Tanz auf der Bühne für ihre Zeit geradezu revolutionierte. Was nicht das Ende der Geschichte ist. Denn das Ballett hat sich auch nach seiner romantischen Hochzeit in der Mitte des 19. Jahrhunderts weiterentwickelt, wurde moderner, sportlicher, experimenteller. Was Rachel Oidtmann am Beispiel von John Cranko als Ballettdirektor am Stuttgarter Ballett erzählt. Denn natürlich verändern sich auch Sehgewohnheiten, ist das Publikum auch aufgeschlossen für neue Erzählweisen, Geschichten, die nicht immer nur romantisch sind, sondern auch manchmal wild und expressiv.
Und bei der Gelegenheit werden auch Legenden wie Rudolf Nurejew und Anna Pawlowa kurz porträtiert. Ballett ist längst ein eigenständiger Kosmos mit eigenen Großerzählungen und Geschichten vom Ruhm.
Im Rampenlicht
Aber wie dann so ein Ballett auf die Bühne kommt, auch das muss erzählt werden. So bekommen auch die kleinen Leser eine Ahnung, was für ein gewaltiges Gemeinschaftswerk so ein Ballett ist und wie viele Menschen vor und hinter den Kulissen daran mitarbeiten. Vom Dramaturgen bis zum Beleuchter, von der Kostümbildnerin bis zum Maskenbildner. Auf großformatigen Zeichnungen zeigt Ana Luisa Oliveira, wie das alles so nebeneinander und gleichzeitig passiert, wie es im ganzen Haus rumort und vorbereitet, während das Publikum gemütlich seine Sessel einnimmt und der Dinge harrt, die da kommen werden.
Tja, und dann ist die Frage: Ist man selbst dabei? Hat man selbst eine Rolle da oben auf der Bühne? Ist es überhaupt ein Traumjob? Dazu haben die Tänzerin Polina Semionova und der Tänzer Friedeman Vogel so einiges zu sagen, die als Solotänzer/-in in Berlin bzw. Stuttgart auf der Bühne stehen.
Aber sie erzählen eben auch, dass der Beruf bei aller tänzerischen Leichtigkeit anspruchsvoll und anstrengend ist. Kein Tag ohne Proben. Denn um die kühnen Sprünge auf der Bühne zu schaffen, müssen die Tänzerinnen und Tänzer fit sein, müssen sie ihren Körper elastisch halten, bereit zu echten Höchstleistungen am Abend der Aufführung.
Wie man das lernt, deutet das Buch zumindest an – mit den ersten Schritten und Übungen, die die Ballettschüler/-innen im Übungssaal mit dem großen Spiegel und der Ballettstange erleben. Und üben und üben. Bis das alles ganz leicht und selbstverständlich geht.
So entsteht auf jeden Fall ein Buch für Kinder, die sich tatsächlich für Tanz und Ballett interessieren, vielleicht selbst in die Ballettschule gehen wollen oder nur wissen wollen, was da vorn im Scheinwerferlicht eigentlich passiert. Und wie viel Arbeit und Mühe darin steckt, bis das alles so federleicht und märchenhaft aussieht. Denn manchmal will man ja auch nur zuschauen und über alles Bescheid wissen.
Und da Eltern beim Thema Ballett in der Regel auch nicht alles wissen, hilft das Buch dabei, die erste große Wissbegier zu befriedigen. Bevor die Familie ihre Karten für den „Nussknacker“ kauft, voller Vorfreude auf einen Abend mit einer märchenhaft getanzten Geschichte.
Rachel Oidtmann, Ana Luisa Oliveira „Ballett. Deine ersten Schritte in die Welt des Tanzes“ E. A. Seemann, Leipzig 2025, 20 Euro.