Seit Jahrhunderten gibt es in Augsburg Menschen, die Hüte tragen – und Menschen, die sie verkaufen. Neubarth 1800 ist eines der wenigen Geschäfte, das diese Tradition bis heute fortführt. In der Steingasse, unweit des Rathausplatzes, erstreckt sich der Laden über zwei Stockwerke: Hunderte Hüte füllen die Regale, oben befindet sich eine kleine Werkstatt für Einzelstücke, Reparaturen und Anpassungen. Wer das Geschäft betritt, trifft auf Herbert Jennissen, der es seit fast drei Jahrzehnten führt. Für ihn ist der Hut mehr als ein Accessoire: „Ein Hut ist das persönlichste Kleidungsstück der Garderobe. Ein Hut verändert einen.“
Die Wurzeln des Hauses reichen bis ins Jahr 1800 zurück, damals noch als Hutmacher- und Kürschnerbetrieb gegenüber dem Rathaus. Anfang des 20. Jahrhunderts übernahm die Familie Neubarth aus Thüringen das Geschäft. Nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs fand es in den 1960er Jahren in der Karlstraße eine neue Heimat. Seit Mitte der 90er Jahre leitet Herbert Jennissen das Haus. Seine Familie war eng mit den Neubarths befreundet. „Eigentlich wollte ich studieren, dann tat sich diese Möglichkeit auf, und ich verliebte mich in die Branche“, sagt der heute 54-Jährige. Zuvor hatte er eine kaufmännische Ausbildung gemacht.
Vor zehn Jahren zog Neubarth 1800 zurück in die Steingasse, wieder in die Nähe des Rathausplatzes. Jennissen beschreibt die Kontinuität seines Hauses mit pragmatischer Gelassenheit: „Das Unternehmen steht unter einem guten Stern. Man muss aber auch am Puls der Zeit bleiben. Man muss bei den Leuten auf der Straße sein.“ Die Stadt verändere sich, die Einkaufsgewohnheiten auch. Deshalb sei er froh, wieder mitten im Zentrum zu sein: „Klar, unsere frühere Adresse in der Karlstraße ist nicht weit. Die Frequenz ist trotzdem eine andere. Und die brauchen wir Händler.“
Traditionsgeschäft Neubarth 1800 in Augsburg: Wer hier einkauft
Laut Jennissen ist die Kundschaft gemischt: Männer und Frauen halten sich die Waage, ältere Stammkunden treffen auf junge Menschen, die den Hut neu für sich entdecken. Auch Touristinnen und Touristen finden den Weg in die Steingasse – „oft staunend, denn solche Fachgeschäfte kennen viele aus ihrer Heimat nicht.“ Neubarth 1800 hat seit einigen Jahren auch einen Onlineshop. „Der dient aber mehr als digitales Schaufenster“, sagt Jennissen. Das eigentliche Erlebnis – das Anfassen, Anprobieren, der Moment der Verwandlung – finde vor Ort statt: „Mit drei verschiedenen Hüten kann man drei verschiedene Menschen sein.“ Viele Kundinnen und Kunden verlassen den Laden mit einem anderen Modell, als sie ursprünglich im Sinn hatten. Den Satz „Ich habe kein Hutgesicht“ hört er oft – seine Standard-Antwort: „Weil Sie noch nicht den richtigen aufhatten.“
Neben bekannten Marken führt Jennissen eigene Kollektionen, die in Italien nach seinen Vorstellungen für sein Geschäft produziert werden. Einzelstücke entstehen in der hauseigenen Werkstatt über der Ladenetage. Ergänzt wird das Sortiment durch Mützen, Schals und Handschuhe.
Ein bekannter Musiker trug gerne die Hüte von Neubarth 1800
Jennissen hat das Hutmacherhandwerk in Wien erlernt, um sein Geschäft nicht nur kaufmännisch, sondern auch handwerklich zu verstehen. In den vergangenen Jahrzehnten ergaben sich immer wieder besondere Begegnungen, von denen er gerne erzählt: Der englische Musiker Nikki Sudden war erst Kunde, dann Freund. Für das Cover seines Albums „Treasure Island“ fertigte Jennissen einen großen Hut an. „Den hat er dann etwas mit Tüchern verunstaltet, aber gut“, sagt er lachend. „Ein Hut kann nicht nur einen Menschen verändern – manchmal verändert eben auch ein Mensch den Hut.“
Der Handel in der Innenstadt ist permanent in Bewegung, neue Geschäfte eröffnen, andere schließen. Die Lokalredaktion berichtet regelmäßig über diese Entwicklungen. Viele Läden aber behaupten sich mit einem besonderen Angebot. In loser Folge stellt unsere Redaktion solche Konzepte vor – und die Menschen, die dahinterstecken.
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Daniela de Haen
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Augsburg
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