Aufgeschlagenes Buch in gemütlicher Umgebung | Bild: Colourbox

Hakan Nesser: Eines jungen Mannes Reise in die Nacht

„Ein ruhiger, literarischer Krimi mit philosophischen Untertönen – typisch skandinavisch.“

Sabine Abel


Cover von "Eines jungen Mannes Reise in die Nacht" | Bild: btb Verlag

Sabine Abel: „In Kymlinge, einer schwedischen Kleinstadt, stirbt an einem lauen Frühsommerabend ein Mann: Allan Fremling, einst gefeierter Leichtathlet, nun Sportlehrer, bekannt für seine fast schon übertriebene Selbstdisziplin. Er wird in seinem Hausflur erschossen aufgefunden – eine halbe Stunde, nachdem er völlig gegen seine Gewohnheit eine Pizza bestellt hatte. Die Szene ist ebenso rätselhaft wie beiläufig.
Kurz darauf fällt ein zweiter Mann, ein unauffälliger Gymnasiallehrer, einem ähnlichen Verbrechen zum Opfer – nur wenige Meter entfernt, fast unter dem Balkon des zuständigen Kommissars Borgsen. Zwei Morde in einer Stadt, in der eigentlich nichts passiert.
Gunnar Barbarotti wird zusammen mit seiner Kollegin und Partnerin Eva Backman zu dem Fall hinzugezogen. Bei ihren Ermittlungen stoßen sie auf viele Ungereimtheiten in der Vergangenheit der beiden Opfer. So richtig einordnen lässt sich die Lebensgeschichte der zwei Männer jedoch nicht. Stattdessen verdichtet sich die Geschichte der beiden Morde zu einer leisen, aber eindringlichen Erkundung moralischer Grauzonen: Wer bestimmt, welches Leben wertvoll ist? Und ist Töten immer falsch – oder manchmal nur der letzte Ausweg?
Nesser bleibt seinem Stil treu: Er erzählt mit einer Ruhe, die fast trügerisch wirkt, mit tiefen Dialogen, einer feinen Beobachtungsgabe für menschliche Schwächen und einer melancholischen Grundstimmung, die sich durch das ganze Buch zieht. Besonders beeindruckend ist die Figur des lokalen Kommissars Borgsen, den alle nur „Sorgsen“ nennen – ein Mann, der alles sieht, aber nichts einordnet.

‚Eines jungen Mannes Reise in die Nacht‘ ist kein klassischer Krimi, und dennoch hochspannend. Es gibt keine rasante Handlung, keine blutigen Schauplätze, sondern leise Töne und eine Erzählweise, die psychologische Tiefe über Tempo stellt. Für Leserinnen und Leser, die gerne mitdenken, sich auf vielschichtige Figuren einlassen und ein Gespür für das Tragische im Alltäglichen haben. Ein starker, nachdenklich stimmender Band aus Nessers Reihe – und einer, der auch für sich alleinsteht.“

Mick Herron: Down Cemetery Road

„Ein britischer Geheimdienstthriller mit viel schwarzem Humor – clever, trocken, spannend.“

Sabine Abel


Cover von "Down Cemetery Road" | Bild: Diogenes Verlag

Sabine Abel: „Als in einer ruhigen Straße im südlichen Oxford ein Haus explodiert, wird dies zunächst als tragischer Unfall verbucht. Doch Sarah Tucker, Hausfrau, kinderlos, wohlhabend und in einer zunehmend sinnentleerten Ehe gefangen, lässt der Vorfall nicht los. Während ihr Mann geschäftlich verreist ist, beginnt sie sich, zunächst aus Langeweile, bald aus echter Besessenheit, für das zerstörte Haus und seine früheren Bewohner zu interessieren. Besonders ein Gedanke verfolgt sie: Wenn dort wirklich ein Kind lebte, warum spricht niemand darüber? Ihre Nachforschungen führen sie bald über das Viertel hinaus. In alten Dokumenten und zufälligen Begegnungen beginnt sich ein verstörendes Bild zu formen: von einem Kind, das nicht vermisst wird, und von Erwachsenen, die offenbar viel dafür tun, damit das so bleibt. Dabei trifft sie auf Zoë Boehm, eine melancholische, aber scharfsinnige Privatdetektivin mit eigenem moralischem Kompass. Zwischen beiden Frauen entsteht eine Art Allianz, während sie gemeinsam einer Spur folgen, die immer stärker in Richtung einer politisch motivierten Vertuschung weist. Es geht nicht nur um ein verschwundenes Kind, sondern um Verrat, Schuld und das, was Menschen bereit sind zu vergessen, um weiterleben zu können.
Herron verwebt in diesem ersten Band seiner Oxford-Reihe Elemente des klassischen Krimis mit psychologischer Tiefe. Die Figuren sind keine strahlenden Ermittler, sondern Suchende – getrieben von Verlust, Selbstzweifel oder einem Bedürfnis nach Wahrheit. Die Handlung entfaltet sich langsam, aber zielgerichtet, mit feinen Wendungen und einer unterschwelligen Spannung, die nicht auf schnelle Effekte, sondern auf atmosphärische Dichte setzt.

In Deutschland wurde Mick Herron durch seine Reihe ‚Slow Horses‘ bekannt, die auch als Fernsehserie höchst erfolgreich ist. Die Krimis rund um Zoë Boehm, von denen der erste Band schon 2003 erschienen ist, sind mindestens genauso spannend, schräg und voller britischem Humor. Wer Kriminalromane mit gesellschaftlichem Hintergrund und psychologischer Präzision schätzt, wird hier fündig. ‚Down Cemetery Road‘ ist kein Thriller im herkömmlichen Sinn, sondern ein leiser, kluger Roman über Verdrängung, Verantwortung und die Frage, wie nah das Unheil manchmal kommt, ohne dass jemand wirklich hinsieht.“

Dan Brown: The Secret of Secrets

„Ein actiongeladener Verschwörungs- und Rätselthriller im typischen Dan Brown-Stil.“

Sabine Abel


Cover von "The Secret of Secrets" | Bild: Lübbe Verlag

Sabine Abel: „Robert Langdon, Harvard-Professor für Symbologie, reist nach Prag, um seine langjährige Freundin Katherine Solomon zu treffen. Sie forscht an einem hochbrisanten Thema: dem Einfluss des menschlichen Bewusstseins auf die physische Realität – ein Grenzbereich zwischen moderner Wissenschaft und uralten Vorstellungen. Doch noch bevor sie sich sehen, wird eine Leiche gefunden, Katherine verschwindet, und ihr möglicherweise revolutionäres Manuskript ist plötzlich unauffindbar.
Langdon gerät in ein Netz aus alten Mythen, politischen Interessen und wissenschaftlichen Visionen. Die Spur führt ihn durch das historische Prag, wo sich Fakten und Legenden auf geheimnisvolle Weise überlagern: alte Symbole, vergessene Rituale, die Geschichte des Golems. Bald wird klar, dass Katherines Forschung nicht nur Erkenntnisse verspricht, sondern auch Macht. Eine Organisation, die im Hintergrund operiert, will genau diese Macht kontrollieren – um jeden Preis.
Ein typischer Dan Brown: Rätsel, Kunstgeschichte, symbolische Codes und geheime Orden. Wieder einmal gerät man beim Lesen fast außer Puste, die Handlung macht die Lesenden atemlos, sie ist dicht und konzentriert. Besonders gelungen ist die Einbettung der Stadt Prag, nicht als bloße Touristenkulisse oder Schauplatz der Handlung, sondern als Ausgangspunkt für die vielen fast schon philosophischen Fragen des Buches. Was ist Bewusstsein? Wer kontrolliert Wissen? Und wie gefährlich kann Erkenntnis werden?

‚The Secret of Secrets‘ ist der perfekte Schmöker für ein verregnetes, graues Herbstwochenende auf dem Sofa. Dan Brown schafft es auch im sechsten Abenteuer seines Helden Robert Langdon, seine Leserinnen und Leser ab Seite eins in den Bann der Geschichte zu ziehen. Geheimnisvoll, intelligent, mythisch und unglaublich spannend. Ganz nebenbei: Wer bisher noch keine Lust hatte, Prag zu besuchen, wird nach der Lektüre dort sofort ein Hotel buchen.“

Rita Falk: Apfelstrudel-Alibi

„Der neue Eberhofer-Krimi – humorvoll, bodenständig, bayerisch.“

Sabine Abel

Cover von "Apfelstrudel-Alibi" | Bild: dtv Verlag

Sabine Abel: „Im dreizehnten Fall der Eberhofer-Reihe wird Franz Eberhofer erneut aus seiner niederbayerischen Ruhe gerissen. Diesmal führt ihn ein ungewöhnlicher Todesfall ins schöne Südtirol: Letizia, die Patentochter des pensionierten Richters Moratschek, ist bei einer Wanderung tödlich verunglückt. Angeblich. Denn Zweifel regen sich, und Eberhofer soll inoffiziell ermitteln. Unterstützt wird er – wie gewohnt und wider Willen – von Rudi Birkenberger, der sich in eine mehr als abenteuerliche Undercover-Mission auf einem Campingplatz stürzt. Während Franz ganz entgegen seiner Natur auf den Spuren der jungen Frau in den Dolomiten herumkraxelt, kümmert sich Rudi um die verdächtigen Personen im Tal.
Parallel dazu sorgt Franz‘ Freundin Susi als frisch gewählte Bürgermeisterin daheim für Unruhe. Geht es nach Eberhofer, nimmt sie sich schon ein wenig sehr wichtig. Der Franz kann sich schließlich nicht um alles kümmern. Selbstverständlich gibt es dann auch noch Franz‘ Vater, der wie immer nur seinen Hanfanbau im Kopf hat. Und Franz‘ Sohn Pauli, der das Familiengefüge ordentlich durcheinanderbringt.
Rita Falks Ton ist schnoddrig, herzlich und von feinem Spott durchzogen. Die Sprache wirkt oft beiläufig, fast gesprochen, und gerade das macht ihren besonderen Charme aus. Die Figuren sind längst nicht mehr nur Romancharaktere, sondern Vertraute, allen voran Franz, dessen mürrischer Blick auf die Welt mehr über ihn selbst verrät, als er zugeben würde. Die Krimihandlung spielt sich wie so oft eher im Hintergrund ab, wichtiger sind die Zwischenräume, die Reibungen zwischen Familie, Pflichtgefühl und Eigenwillen.

‚Apfelstrudel-Alibi‘ ist weniger ein spannungsgeladener Kriminalroman als eine Heimatgeschichte mit Mordfall. Wer Rita Falk liest, tut das nicht nur des Verbrechens wegen, sondern wegen der Atmosphäre – zwischen Dorfwirtshaus, Polizeidienststelle und dem Esstisch bei der Oma. Für Kennerinnen und Kenner der Reihe ein Wiedersehen mit all den liebgewonnenen Schrullen. Neueinsteiger könnten sich fragen, worum es hier eigentlich geht – doch wer sich darauf einlässt, findet schnell Zugang. Die gelungene Fortsetzung einer sehr eigenen Krimireihe.“

Viel Spaß mit diesen Lesetipps wünschen Ihnen Sabine Abel und „Wir in Bayern“!