Mit der Rückkehr zum neunjährigen Gymnasiums müssen manche Schulen umdenken und viele anbauen. Das trifft auch die freien Schulen – und das in wirtschaftlich schwierigen Zeiten.

Mit diesem Schuljahr ist das neue neunjährige Gymnasium mit den Fünft- und Sechstklässlern gestartet. Beschäftigt Sie dieses Thema sehr?

Nicht besonders. Es gibt einige Änderungen – beispielsweise soll die Demokratiebildung gestärkt werden. Manche Fächer wurden gestrichen und andere gestärkt oder umbenannt und die Stundenverteilung über die Jahre geändert. Die neuen Bildungspläne sind allerdings noch nicht fertig, da warten wir ab. Im neuen G9 wird außerdem das Mentoring fest verankert. Lern- und Entwicklungsgespräche führen wir allerdings schon seit Jahren – das ist bei uns gelebte Praxis. Schön, dass nun auch die staatlichen Schulen diesen Weg gehen.

Also alles ganz entspannt?

Nicht ganz. Vor uns stehen noch bauliche Veränderungen: Durch den zusätzlichen Jahrgang müssen wir zwei neue Klassenräume schaffen. Die Räume, die früher für das neunjährige Gymnasium vorgesehen waren, wurden längst anderweitig genutzt – etwa für die Nachmittagsbetreuung oder als Oberstufenzimmer. Nun planen wir einen Anbau: Ein Architekt ist beauftragt, die Genehmigung der Stadt steht noch aus, und das Kollegium muss in den Prozess eingebunden werden. Bis 2030 soll der Anbau stehen. Das ist schon eine Herausforderung – statt in Bildung selbst zu investieren, müssen wir nun erneut in Gebäude investieren. Diese Situation wird viele Schulen betreffen, da jedes Gymnasium mindestens so viele Klassenräume haben muss, wie es Klassen gibt.

Und die finanzielle Lage ist ohnehin angespannt.

Ja, das beschäftigt mich sehr. Die Stadt Stuttgart muss sparen, und ich hoffe, dass die Schulen davon verschont bleiben. Bildung ist für mich das Wichtigste – daran darf nicht gespart werden, weder bei staatlichen Schulen noch bei Schulen in freier Trägerschaft, deren Sprecherin ich bin. Etwa 20 Prozent der Stuttgarter Schülerinnen und Schüler besuchen Schulen in freier Trägerschaft. Damit entlasten wir die Stadt finanziell, und die Zusammenarbeit war bislang immer sehr gut. Ich hoffe, dass die Stadt uns weiterhin unterstützt, damit wir unseren Beitrag im Bildungssystem leisten können.

Die Anmeldezahlen für den Realschulzweig an der Waldschule Degerloch sind im Vergleich zum Vorjahr um 50 Prozent gestiegen. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

In den vergangenen Jahren sind Schulen in freier Trägerschaft in Stuttgart immer beliebter geworden – insbesondere die Realschulen. Wie sieht es an der Waldschule aus?

Die Anmeldezahlen für unsere Realschule sind im Vergleich zum Vorjahr um 50 Prozent gestiegen. Mit der Wiedereinführung des G9 kam auch die verbindliche Grundschulempfehlung. Viele Eltern hatten Sorge, dass ihr Kind keine Gymnasialempfehlung erhält, und wollten sich daher über eine Anmeldung bei uns einen Schulplatz sichern. Leider wurde die Realschule in den vergangenen Jahren durch politische Entscheidungen in der öffentlichen Wahrnehmung oft zur „Restschule“ degradiert – was ich völlig ungerechtfertigt finde. Die Realschule ist eine hervorragende Schulform, und unsere Kolleginnen und Kollegen leisten dort großartige Arbeit. Das möchte ich ausdrücklich betonen.

Was macht die privaten Realschulen in der öffentlichen Wahrnehmung so attraktiv?

Ich denke, viele Eltern reagieren auf die Unsicherheiten im staatlichen Schulsystem. Wir arbeiten an der Waldschule seit vielen Jahren konsequent daran, die Qualität unserer Arbeit zu sichern und weiterzuentwickeln. Zudem bieten wir den sogenannten Realschulaufsetzer an – eine Anschlussmöglichkeit, mit der unsere Schülerinnen und Schüler direkt an unserer Schule das Abitur machen können.

Wie unterscheidet sich der Realschulaufsetzer vom neuen G9?

Zu Beginn hatten wir tatsächlich Bedenken, dass wir uns gegenseitig Konkurrenz machen könnten, da beide Wege in 13 Jahren zum Abitur führen. Inzwischen hat sich aber gezeigt, dass beide Schulformen unterschiedliche Schwerpunkte haben. In der Realschule betreuen wir die Schülerinnen und Schüler individueller – wir haben einen höheren Personalschlüssel, bieten mehr Lern- und Entwicklungsgespräche und ermöglichen den Kindern, in ihrem eigenen Tempo zu lernen. Im Gymnasium ist der Unterricht etwas straffer organisiert, es gibt mehr fachlichen Input, und die Jugendlichen müssen selbstständiger und eigenverantwortlicher arbeiten.

Zur Person
Karin Schneider (54) ist in Sindelfingen aufgewachsen. Nach dem Abitur studierte sie in Hohenheim Biologie und Physik auf Lehramt. Seit 2002 unterrichtet sie an der Waldschule, seit 2020 war sie dort stellvertretende Rektorin. Mit Beginn dieses Schuljahres trat Karin Schneider die Nachfolge von Kai Buschmann als Schulleitung an. Zudem hat sie von ihm das Amt als Sprecherin der freien Schulen in Stuttgart übernommen.

Privatschulen
In Stuttgart gibt es insgesamt 20 allgemeinbildende Schulen in freier Trägerschaft. Zumeist sind es Verbundschulen, die sich noch einmal aufteilen in acht Grundschulen, drei Werkrealschulen, fünf Realschulen, acht Gymnasien, drei Sonderpädagogische Bildungs- und Beratungszentren, eine Gemeinschaftsschule, vier Waldorfschulen und 14 berufliche Schulen. Hinzu kommt die International School of Stuttgart. Den Realschulaufsetzer gibt es in Stuttgart auch am evangelischen Mörike-Gymnasium.