Nach erfolgreichen Testschüssen mit dem Luftverteidigungssystem Iris-T SLM von der Fregatte „Baden-Württemberg“ im norwegischen Andøya vor wenigen Tagen analysieren Fachleute des Bundeswehr-Beschaffungsamtes BAAINBw nun die gewonnenen Daten, um mögliche Anpassungen für eine spätere Serienbeschaffung festzulegen. Wie groß das Auftragsvolumen am Ende ausfallen könnte, lasse sich derzeit noch nicht beziffern, heißt es in einer Mitteilung des BAAINBw weiter. Doch schon jetzt gelte: Der Test markiere einen entscheidenden Schritt auf dem Weg zu einer flexibleren und modernen Flugabwehr der Marine.
Den Angaben der Behörde zufolge wurden drei scharfe Schüsse mit dem von Diehl Defence entwickelten System ausgeführt. Bei der Erprobung des normalerweise landbasierten Flugabwehrraketensystems bei Nacht und auf hoher See hatte das BAAINBw, gemeinsam mit dem Hersteller die Federführung, wie aus der Mitteilung hervorgeht. Die Bordradarsysteme der Fregatte lieferten demnach während der Schießübung fortlaufend Daten, die direkt in die Software des Raketensystems eingespeist wurden. Dadurch sei eine erste funktionale Verbindung zwischen Schiffssensorik und Waffensystem entstanden. Das BAAINBw bezeichnet dies als wichtigen technologischen Meilenstein. Die Fregatte verfügt über das Luftraumüberwachungsradar TRMS-4D von Hensoldt, das in der Landvariante etwa bei in der Ukraine im Einsatz befindlichen Iris-T-Systemen zum Einsatz kommt und als sehr leistungsfähig gilt.
Alle drei Flugkörper wurden den Angaben zufolge planmäßig abgefeuert. Dem Vernehmen nach wurde bei dem Test unter anderem eine direkt auf das Schiff zufliegende sowie eine quer zum Schiff fliegende Drohne erfolgreich bekämpft. Dabei sollen die Ziele sowohl in großer als auch niedriger Höhe geflogen sein. Der Bekämpfungsvorgang ist gut informierten Kreisen zufolge in deutlich mehr als zehn Kilometern Entfernung vom Schiff erfolgt.
Die Abwehr von querfliegenden Luftzielen dürfte wichtig sein, um gegebenenfalls andere Schiffe mit der Iris-T SLM schützen zu können. Für den Eigenschutz verfügen die bislang in puncto Luftverteidigung unzureichend ausgestatteten Fregatten der Klasse 125 noch über das RAM-System. Die Iris-T SLM würde bei einer Einrüstung den zweiten Abfang-Layer abdecken.
Der Mitteilung des BAAINBw zufolge kam die Initiative für die Integration des IRIS-SLM-Systems direkt von der Marine. Die bei der Operation EUNAVFOR gesammelten Erfahrungen mit dem Einsatz luftgestützter Seeraumüberwachung hatten demnach zu der Idee geführt, eine effektive Flugabwehr auf Schiffen der Marine zu testen. Dort hatte die Fregatte „Hessen“ die Operation unterstützt, bei der es um den Schutz der Seewege im Roten Meer geht.
Die enge Zusammenarbeit zwischen dem Verteidigungsministerium und dem BAAINBw habe es möglich gemacht, das Projekt Iris-T SLM auf einer Fregatte in Rekordzeit umzusetzen: Nur acht Monate nach der Entscheidung stand der Vertrag mit dem Hersteller Diehl Defence. Anschließend wurde die Fregatte Baden-Württemberg bereit für den Testeinsatz gemacht. Von der ursprünglichen Idee bis zur Umsetzung und dem erfolgreichen Test bei der Maritime Firing Exercise vor der Küste Norwegens vergingen insgesamt nur zehn Monate, wie das BAAINBw schreibt.
Mit dem erfolgreichen Test in Andøya habe die Marine nicht nur ein neues Kapitel in der Integration moderner Waffensysteme auf See aufgeschlagen, so das BAAINBw. Hier werde auch deutlich, wie eng Technologie, Erprobung und Beschaffung zusammenspielen müssen, um die Verteidigungsfähigkeit auf höchstem Niveau zu sichern.
Sollte das Waffensystem für die Fregattenklasse 125 eingeführt werden, bietet sich womöglich die Verwendung auf weiteren Marineeinheiten an. So will die Bundeswehr nach jetziger Planung in Zukunft sogenannte Large Remote Missile Vessels beschaffen, die mit Lenkflugkörpern ausgestatte werden sollen.
Beobachter gehen davon aus, dass der beim Schießen in Norwegen verwendete Werfer, der nur leichte Modifikationen zu dem auf einem Lkw transportieren Iris-T-Werfer für das Landsystem aufweist, in Zukunft gründlich überarbeitet werden dürfte. So werden Stützen auf See nicht benötigt, genauso wenig sind Hydraulik-Komponenten optimal für die Verwendung auf einem Schiff geeignet. Der Wegfall würde Platz und Gewicht sparen, was die Installation weiterer Flugkörper-Kanister zu denen jetzigen acht möglich macht. Eine deutliche Erhöhung soll diskutiert werden.
Der auf der Fregatte verwendete Launcher wird – wie beim Landsystem – während der Marschfahrt eingeklappt und bei einer Gefechtssituation aufgerichtet. Insider gehen davon aus, dass ein umfassend navalisierter Launcher jedoch fix auf dem Deck installiert sein dürfte, entweder im rechten Winkel oder leicht geneigt. Dem Vernehmen nach wurde bei dem Test das Oberdeck gegen zu hohe Hitzebelastung bei einem sogenannten Hangfire eines Flugkörpers mit einem Hitzeschild gesichert. Ob die gewählte Lösung beibehalten wird, scheint noch offen zu sein.
Beobachter vermuten, dass vor dem Einstieg in die Serienbeschaffung der Demonstrator in den Status eines umfassend navalisierten Iris-T-SLM-Systems überführt werden müsste, was womöglich bis 2027 realisierbar wäre.
Ein weiterer Schritt wäre auch die Integration des Waffensystems in das Führungs- und Waffeneinsatzsystem (FüWes) der Fregatte, was bisher nicht tiefgehend erfolgt ist. Gegenwärtig wird noch das ACNS von Atlas Elektronik verwendet. Wie aus gut informierten Kreisen zu vernehmen ist, werden die Fregatten der Klasse 125 jedoch in Zukunft mit dem von Lockheed Martin Canada entwickelten FüWes CMS 330 ausgestattet, das als neues Standard-FüWes der Marine gesetzt ist – der Vertrag könnte zur Beschaffung der Software könnte womöglich in den kommenden Wochen geschlossen werden.
Wie es heißt, soll auch bereits eine Machbarkeitsstudie erfolgt sein, wonach die Integration von Iris-T SLM in CMS 330 grundsätzlich möglich ist. Für die Beschaffung von Iris-T SLM für die F125 spricht neben den erfolgreichen Tests auch, dass es sich um eine nationale Schlüsseltechnologie mit hoher deutscher Wertschöpfung handelt und die Produktion massiv ausgebaut wird, womit die Marine langfristig über den Zugriff auf die Munition verfügen würde.
Offensichtlich gibt es für eine Kampfwertsteigerung der F125 noch ein weiteres Konzept, der kurzfristig in Frage kommen könnte. Dabei handelt es sich um das System CAMM/SEA CEPTOR von MBDA, das ursprünglich für die britischen Streitkräfte entwickelt wurde.
Der Flugkörper wurde laut Hersteller auch bereits für die neuseeländische Marine in das dort ebenfalls genutzte CMS 330 integriert, womit Entwicklungsaufwand bei der F125 entfallen dürfte. Der für den Einsatz auf See gebaute CAMM nutzt im Gegensatz zur Iris-T einen aktiven Radarsucher, der insbesondere bei schlechten Witterungsbedingungen Vorteile haben soll. Laut Hersteller ist der Flugkörper auf die Bekämpfung von Zielen mit geringer Signatur optimiert und unempfindlich gegen den sogenannten Ground-Clutter. Der Fragementations-Gefechtskopf des Flugkörpers soll eine Gewicht von 20 kg aufweisen.
Der 3,30 Meter lange CAMM wird mit einem Gasgenerator aus dem Startbehälter getrieben und zündet den Raketenmotor erst in einigen Metern Höhe. Aus diesem Grund spielen Hangfire oder heiße Abgase keine Rolle für die Installation auf dem Schiff.
Auf der F125 könnte der Flugkörper, der eine Höchstgeschwindigkeit von Mach 3 und eine Bekämpfungsreichweite von etwa 25 Kilometern aufweisen soll, im Fitness-Raum auf dem Vorschiff vor dem dem RAM-Werfer integriert werden. Die Waffe würde dabei in ein „Maritime Launching System MLS“ mit sechs Zellen eingerüstet. Dadurch würde allerdings Platz im Fitnessraum entfallen. Laut Hersteller könnte aber womöglich die doppelte Menge an Lenkflugkörpern oder sogar noch mehr integriert werden, wenn ganz auf den Fitnessraum verzichtet würde. Eine ebenso risikoarme und mit geringem Aufwand zur realisierende Integration ist laut MBDA überdies in einem 10-Fuß-ISO-Container zwischen den Masten des Schiffes möglich, dort wo heute das Iris-T-System steht.
Ein Nachteil des Flugkörpers dürfte jedoch darin liegen, dass er bisher nicht in der Bundeswehr eingeführt ist und nicht in Deutschland hergestellt wird. Allerdings nutzen Partnermarinen in Europa wie die Royal Navy und zukünftig auch die Seestreitkräfte Polens, Schwedens und Norwegens den Flugkörper. International kommen noch Chile, Brasilien, Neuseeland und Saudi-Arabien dazu. Damit bestünde eine hohe Interoperabilität mit befreundeten Nationen. Zuletzt hatten sich Deutschland und Großbritannien im Rahmen der Trinity-House-Vereinbarung für mehr bilaterale Kooperation in Rüstungsfragen stark gemacht.
Nun bleibt abzuwarten, welche Ergebnisse die Analysen des BAAINBw nach dem Testschießen in Norwegen hervorbringen und wie sich diese auf die Beschaffung auswirken. Dabei drängt die Zeit. Denn die Fregatten der Klasse 125 müssen dringend eine angemessene Luftverteidigung erhalten, um in den zukünftigen Kriegsszenarien einsetzbar zu sein.
Lars Hoffmann