Die Staatspolizei von Illinois greift am 11. Oktober Demonstranten vor der ICE-Einrichtung in Broadview an. [AP Photo/Adam Gray]
In den letzten Tagen haben Agenten der Einwanderungs- und Zollbehörde ICE im gesamten Großraum Chicago zunehmend gewaltsame und provokante Razzien durchgeführt.
Am Donnerstag führten ICE-Agenten eine Razzia auf einem Flohmarkt in der Ashland Avenue im Süden der Stadt durch. Fast alle Agenten trugen Masken, und nichts deutete darauf hin, dass irgendeiner von ihnen eine Körperkamera trug – und das obwohl noch am gleichen Morgen eine Bundesrichterin angeordnet hatte, dass alle Agenten Körperkameras tragen und dass sie jederzeit eingeschaltet sein müssen.
Mehrere junge Männer wurden von den schwer bewaffneten Agenten von ihren Ständen verschleppt und abgeführt, während Dutzende Freunde und Familienmitglieder lautstark protestierten und die migrantenfeindliche Razzia mit Handys aufzeichneten.
Bei der Anhörung zuvor am gleichen Tag zeigte sich die US-Bezirksrichterin Sara Ellis schockiert über die dreiste Missachtung ihrer Anordnungen. Anfang der Woche hatte sie den ICE-Agenten den Einsatz von Tränengas und Pfefferspray-Geschossen gegen Demonstranten, Journalisten, Rechtsbeobachter und Passanten untersagt.
Sie erklärte: „Ich bin, offen gesagt, etwas verwundert. Ich lebe in Chicago, falls das jemand noch nicht mitbekommen hat. Und ich bin nicht blind, oder? Ich bekomme Bilder geschickt, und sehe sie in den Nachrichten, in der Zeitung, ich lese Berichte. Und wenn ich danach gehe, habe ich ernsthafte Bedenken, dass meine Anordnungen befolgt werden.“
Der Anwalt Sean Skedzielewski, der die Trump-Regierung vertritt, machte „einseitige und selektiv bearbeitete Medienberichte“ dafür verantwortlich, und rechtfertigte damit faktisch die Taktik der ICE, Journalisten als Teil des „feindlichen“ Lagers zu behandeln.
Letzte Woche hatte Ellis angeordnet, dass ICE-Agenten Dienstmarken tragen müssen und ihnen den Einsatz von Aufstandsbekämpfungs-Techniken gegen friedliche Demonstranten und Journalisten untersagt. Bei der Anhörung am Donnerstag erklärte sie: „Ich füge hinzu, dass alle an Operation Midway Blitz beteiligten Agenten Körperkameras zu tragen haben, die eingeschaltet sein müssen.“
Nachdem Skedzielewski dies als logistisch nicht möglich bezeichnet hatte, erlaubte Ellis einige Ausnahmen. Dies wurde jedoch von der ICE offenbar als grünes Licht interpretiert, wie bisher weiterzumachen.
Die Richterin wies Trumps Behauptung zurück, die US-Grenze würde „am Lake Michigan beginnen“. Sie erklärte, Agenten der Einwanderungsbehörden könnten hier nicht so vorgehen wie an der Grenze: „Wir sind hier in einem dicht besiedelten städtischen Gebiet, wo sich bei Unruhen Menschenmengen versammeln und angemessene Kontrolle über die Menschenmenge wichtig ist.“
„Das Problem ist, dass das DHS [Heimatschutzministerium] Gewalt in einer Weise anwendet, die gegen die verfassungsmäßigen Rechte von friedlichen Demonstranten, Journalisten und, im Grunde, Geistlichen verstößt.“
„Man kann ihnen nicht [mit Pfefferspray-Geschossen] in den Kopf schießen. Man kann kein Tränengas einsetzen. Man kann keine Blendgranaten verwenden. Man kann nicht mit einem Auto durch eine Menschenmenge fahren.“
Die Richterin setzte einen Gerichtstermin für Montag, den 20. Oktober, um 10:30 Uhr Ortszeit für den örtlichen ICE-Leiter, Russell Hott, an, „um mir zu erklären, warum ich Bilder sehe, auf denen Tränengas eingesetzt wird und Berichte lese, laut denen es keine Vorwarnung vor dem Tränengaseinsatz gab“.
In den lokalen Medien tauchten weitere Berichte über das gewalttätige Vorgehen der ICE auf. Die Chicago Sun-Times schilderte detailliert eine Verfolgungsjagd mit Autos durch ein ruhiges Wohngebiet, bei der sich eine Menschenmenge aus Anwohnern versammelte, die dann mit Tränengas und Rauchgranaten angegriffen wurde.
Die Trump-Regierung hat mehr als 500 Nationalgardisten aus Illinois, Texas und Kalifornien in einem Ausbildungszentrum außerhalb von Chicago stationiert. Eine andere Bundesrichterin, April Kelly, erließ dann eine einstweilige Verfügung, die ihren Einsatz in der Stadt verbietet. Ein Berufungsgericht bestätigte die Verfügung, doch die Regierung legt weiterhin Berufung ein und erwartet letztendlich eine Genehmigung durch die ultrarechte Mehrheit am Obersten Gerichtshof der USA.
Ein weiterer Rückschlag für Trump vor Gericht war die Anordnung des obersten Richters von Cook County, zu dem auch Chicago gehört, die der ICE die Verhaftung von Menschen in Gerichtsgebäuden untersagte – eine immer häufiger angewandte Taktik der Einwanderungs-Gestapo. Die Anordnung trat am Mittwoch in Kraft und verbietet die Festnahme „von Parteien, Zeugen oder potenziellen Zeugen“, die an Gerichtsverhandlungen teilnehmen.
Diese gerichtlichen Anordnungen haben Trump jedoch nicht abgeschreckt, sondern das Weiße Haus nur dazu veranlasst, sich noch direkter auf die Unterdrückung des Widerstands der Arbeiter in Chicago zu konzentrieren. Der Facebook-Mutterkonzern Meta hat auf einen Aufruf von Justizministerin Pam Bondi reagiert und eine Facebook-Gruppe gelöscht, die Informationen über ICE-Razzien verbreitete, um die betroffenen Gemeinden zu warnen. Bondi behauptete, die Gruppe würde dazu benutzt, um ICE-Agenten „zu doxxen und anzugreifen.“
Während Bondi sich über eine angebliche „Welle der Gewalt gegen die ICE“ beklagt, ist es die ICE, die mit Gewalt und brutaler Unterdrückung gegen Arbeiter und Jugendliche in der Stadt vorgeht.
Im Weißen Haus wird offensichtlich kalkuliert, dass eine politische Explosion in Chicago den Vorwand für die Anwendung des Aufstandsgesetzes [Insurrection Act] von 1807 liefern könnte. Auf dieser Grundlage würde Trump die Vollmacht erhalten, Soldaten der Bundesarmee nach Chicago zu schicken, ohne Rücksicht auf den Widerstand des Gouverneurs von Illinois, JB Pritzker, oder des Chicagoer Bürgermeisters, Brandon Johnson.
Die Anwendung des Aufstandsgesetzes – die laut Aussage der Trump-Regierung unmittelbar bevorsteht – wäre ein entscheidender Schritt zur Errichtung einer offenen Präsidialdiktatur.
Am Mittwoch bezeichnete Trumps Chefberater, Stephen Miller, Pritzker bei einem Auftritt in der Sendung von Sean Hannity auf Fox als „Schwachkopf“, der „Amerika hasst.“ Mit immer lauter werdender Stimme erklärte Miller: „Man kann sein Land nicht lieben und gleichzeitig gegen Präsident Trump kämpfen.“ Damit stellte er den Gangster im Weißen Haus im Grunde als die Personifizierung von Amerika dar. Miller behauptete weiter, Pritzker wolle „die Mörder schützen, die Leute, die jede Woche Dutzende und Aberdutzende von Menschen erschießen.“
Die Pressesprecherin des Weißen Hauses, Karoline Leavitt, schlug in die gleiche Kerbe und erklärte auf Fox: „Die Hauptwählerschaft der Demokratischen Partei sind Hamas-Terroristen, illegale Ausländer und Gewaltverbrecher.“
Solche Behauptungen können nur bedeuten, dass im Weißen Haus täglich über Vorbereitungen für ein Verbot jeder Form von politischer Opposition diskutiert wird, das sich in erster Linie nicht gegen die Demokraten, sondern gegen die Arbeiterklasse richtet.
Julie Bosman, die Leiterin des Chicagoer Büros der New York Times, verfasste einen Bericht mit der bemerkenswerten Schlagzeile: „Chicagoer widersetzen sich ICE-Agenten“. Darin hieß es weiter: „Einwanderungsagenten benutzen aggressive Taktiken. Einwohner der Zufluchtsstadt versuchen, Widerstand gegen sie zu leisten.“
Bosman beschreibt die offen rassistische und provokante Taktik der ICE-Gangster und schreibt: „Die Präsenz von Beamten der Border Patrol und der ICE hat eine heftige Gegenreaktion ausgelöst. Die Chicagoer beschimpfen die Einwanderungsagenten als Faschisten und Nazis, bewerfen sie mit Gegenständen und verfolgen ihre nicht gekennzeichneten SUVs und Minivans. Sie hupen, um Passanten vor der Anwesenheit der ICE zu warnen.“
Die Demokratische Partei reagiert auf diese Entwicklung mit Schweigen und Komplizenschaft. Während die Demokraten in Chicago und Illinois die Anwohner aufrufen, den Gerichten zu vertrauen und auf Rechtsmittel zu warten, hat die Trump-Regierung bereits deutlich gemacht, dass sie sich jedem Urteil widersetzen wird, das ihre Operationen beeinträchtigt. Auf nationaler Ebene ignoriert die Führung der Demokraten schlichtweg den Angriff auf demokratische Rechte.
Am Mittwochabend traten Senator Bernie Sanders (Vermont) und die Abgeordnete des Bundesstaates New York, Alexandria Ocasio-Cortez, in einer auf CNN übertragenen „Bürgerversammlung“ auf, um zu parteiübergreifender Zusammenarbeit aufzurufen. Ihre zentrale Botschaft war ein verzweifelter Appell an einen Teil der Republikaner, gemeinsam mit den Demokraten eine Folgeresolution zu verabschieden und den Shutdown der Regierung zu beenden. Im Verlauf der Veranstaltung erwähnten weder Sanders noch Ocasio-Cortez die ICE-Razzien in Chicago, den Einsatz der Nationalgarde oder Trumps erklärte Absicht, er wolle das Aufstandsgesetz anwenden und das Militär gegen die amerikanische Bevölkerung einsetzen.
Die Demokraten befürchten, dass jeder echte Widerstand gegen Trumps Kurs auf Diktatur eine Massenbewegung von Arbeitern und Jugendlichen auslösen könnte, die weit über ihre Kontrolle hinausgehen würde.