Für einen Artikel in unserer losen Serie über Dreibezirke-Ecke in Berlin haben wir Maili Hochhuth, Stadtführerin und engagiert in der Stolpersteingruppe Pankow, einige Fragen gesandt. Statt sie einzeln zu beantworten, hat Frau Hochhuth uns zwei zusammenhängende Stellungnahmen geschickt, im Folgenden dokumentieren wir Fragen und Antworten.

Hier der Artikel, für den die Fragen gestellt wurden: Mauer, Wege, Kirschbäume Das Dreibezirke-Eck im Berliner Norden Unsere Fragen:

Können Sie bitte beschreiben, wie die biographische Recherche für den Stolperstein für Erna Baruch aus der Schulzestraße lief?

Zu Heimann Baruch gibt es ja dank der Arbeit Ihrer Stolpersteingruppe umfangreiche Informationen, aus denen ich zitieren kann (natürlich mit Quellen-Nennung). Dazu nur eine kurze Nachfrage: Auf der Webseite heißt es: „Heimann Baruch betrieb ein Geschäft auf dem Gebiet der Elisabeth-Kirchengemeinde in der Wollankstraße.“ Sind damit die Gebäude vor dem Friedhof gemeint?

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Wie war das Feedback der Teilnehmenden bei Ihrer Führung durch Kuhr- und Schulzestraße? Können Sie sich an besondere Wortmeldungen/Reaktionen erinnern?

Spielte die Gedenktafel für Albin Köbis in der Schulzestraße bei der Führung eine Rolle und wenn ja, wie haben Sie Köbis den Teilnehmenden vorgestellt?

Worum ging es in der Wilhelm-Kuhr-Straße, nicht zuletzt mit Blick auf den Namensgeber?

Ging es auch um den Mauerweg und wenn ja, wie?

Zu welchen Thema gab es besonders viele Rückfragen/Reaktionen?

Gibt es weitere Gedenkorte in den beiden Straßen, die uns noch nicht auffielen?

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Bieten Sie weitere Führungen dort an? In Zusammenarbeit mit der Kontaktstelle Pflegeengagement oder auch sonst?

Wie gefällt Ihnen persönlich das Umfeld des S-Bahnhofs Wollankstraße, das „Dreibezirke-Eck“? Wird aus Ihrer Sicht dort adäquat mit der vielschichtigen Erinnerung (Erster Weltkrieg, Holocaust, DDR…) umgegangen?

Frau Hochhuths Antworten:

1.   Stolpersteine: Schulzestraße 14 Familie Baruch

Heimann Baruch betrieb ein Geschäft auf dem Gebiet der Elisabeth-Kirchengemeinde in der Wollankstraße.“ Ob damit die Gebäude vor dem Friedhof gemeint sind, weiß ich nicht.

Über Erna Baruch weiß man erstaunlich viel, weil Ihre Tochter Hilde, die mit einem Kindertransport nach England entkommen konnte, über ihre Mutter berichtet hat. Hilde war Schülerin im Jüdischen Waisenhaus in Pankow gewesen, dort gab es mehrere Treffen ehemaliger Schüler nach der Wende, und Hilde nahm an diesen Treffen teil. Erna Baruch musste Zwangsarbeit bei den Pertrix-Werken in Niederschöneweide leisten. Solche Informationen kann man durch Akten, z.B. über Vermögenserklärungen finden. 2015 gab es in Berlin in der Dokumentationsstelle für Zwangsarbeit eine Sonderausstellung zu Zwangsarbeit bei Pertrix.

Die Stolpersteinverlegungen fanden 2012 statt. Zur Enkeltochter Stephanie in England habe ich leider keinen Kontakt mehr. Sie hatte auch nicht zu den Stolpersteinverlegungen kommen können.

2.   Wilhelm-Kuhr- und Schulzestraße

Zwischen 2012 und 2023 habe ich sieben Spaziergänge durch die Wilhelm-Kuhr-Straße und durch die Schulzestraße angeboten, entweder zu beiden Straßen oder zu einer, einmal auch während eines Straßenfestes in der Schulzestraße. Die Teilnehmerinnenzahlen beliefen sich auf ca. 12 bis 20 Personen, also relativ große Gruppen für einen Mittwochvormittag. Viele Interessierte kamen aus der näheren Pankower Umgebung, auch mehrmals, um z.B. etwas über die Entwicklung des Sanierungsgebietes in der Schulzestraße zu erfahren. Aber natürlich bezog sich das Interesse auch auf die Geschichte: 1. Weltkrieg, Nazizeit, DDR, Wiedervereinigung und danach. Mehrere Teilnehmer/innen berichteten darüber, wie es in der Schulzestraße nach dem Mauerbau als Grenzbereich (Mauersperrgebiet) zuging. Ich selbst komme aus Hessen und bin erst 2009 nach Pankow (Bürgerpark) gezogen. Ich habe mich sehr für diese Gegend interessiert, aber die Vorwendezeit nicht miterlebt.

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Während der ersten Führung durch die W.-Kuhr-Straße (bis 1915 Spandauer Straße) führte uns der Spaziergang bis zum Ende der Straße, also nach Wedding (Gesundbrunnen). Auch dort hat sich durch Baumaßnahmen in den letzten Jahren viel verändert. Soweit ich mich erinnere, kamen keine Teilnehmer aus Wedding zu den Führungen, es fehlte auch jegliche Werbung dort.

Bürgermeister Wilhelm Kuhr, der die Parkanlage als kommunalen Bürgerpark erhalten hat und als Kriegsfreiwilliger schon 1914 starb, war für viele ein Begriff. Weniger bekannt war der Kies- oder Millionenschulze (Windmühle um 1900), dessen Erbbegräbnisstätte wir auf dem alten Friedhof 1 besuchten. Die meisten Gedenkorte der Straße sind Ihnen sicher aus der Literatur bekannt.

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Haus Nr. 1 gehörte Familie Schmidt (1875) , Louis Schmidt betrieb die alte Dorfschmiede, nach ihm wurde die Schmidtstraße, heute Kattegattstraße benannt. Nachkommen wollten den Namen zurück, es gelang ihnen aber nur eine ganz kleine Straße Nähe der Friedrich-Engels-Straße nach ihm zu benennen. Kein Austausch zwischen den Bezirken.

In Nr. 87 A/B, erbaut 1884, wohnte die letzte Kossätenfamilie. In Nr.62, erbaut 1712, der Kupferstecher G.F. Schmidt (Notgeldschein 1921). Nr. 76 war um 1920 ein Restaurant, dann Besitz eines Metallbildhauers, dessen Sohn 1962 versuchte durch einen Kanalschacht zu fliehen.

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Die in die Straße eingelassene Aufschrift „BERLINER MAUER 1961-1989“ findet viel Beachtung, auch letzte Überreste der Hinterlandmauer am Haus Nr. 22, Ecke Schulzestraße; Vereinslokal des Arbeitersportbundes. Im Bereich der S-Bahn wird sich in nächster Zeit durch die umfangreichen Baumaßnahmen viel verändern.

Die Schulzestraße erregte während der Weimarer Republik besondere Aufmerksamkeit durch die Straßenkämpfe zwischen Kommunisten und Nazis (Nr. 44 Wahllokal, mehrere Kneipen, Nr. 35 Geburtshaus von Karl Grünberg). Erstaunlich, dass es die Gedenktafel für Albin Köbis noch gibt. Der Kieler Matrosenaufstand war den meisten nicht bekannt, aber man war schon interessiert. Durch die Neubauten hat sich die Straße sehr verändert, die alten DDR-Garagen wurden alle abgerissen. Nr. 8 und 9 Kohlenplatz der Hedwigshütte. Nr. 13 Molkerei, daran konnte sich eine Frau noch erinnern, wie sie dort Milch gekauft hatte. Nr. 5 Gartenhaus des Dichters Karl Mundstock wurde inzwischen durch einen riesigen Neubau ersetzt.

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Nr. 24 die „Goldene Hausnummer“ (noch zu sehen) wurde mit Interesse betrachtet. Michael Schmidt wurde dort 1984 beim Versuch die Mauer zu überwinden, erschossen.

Seit einigen Jahren gibt es in der Schulzestraße 1 das SprachCafé Polnisch. Dort ist man sehr interessiert an der Geschichte der Straße.

Mit der letzten Führung 2023 habe ich nach über zehn Jahren meine Spaziergänge beendet. Über die Kontaktstelle Pflegeengagement werden aber weiter verschiedene Führungen angeboten.