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Die „Alte Post“ in Bergen-Enkheim und ihre Wirtin Dragi sind Kult – das zeigt sich, als der Stadtschreiber von Frankfurt dort eintrifft.
Frankfurt – .,,Liebe Dragi, komm mal zu mir.“ Der Stadtschreiber nennt die Gastwirtin Dragica Laschitsch schon bei ihrem Spitznamen. Ein Gedicht hat er ihr geschrieben. Die Wirtin muss lachen und legt die Hände um die Hüfte des Poeten, während er weiter vorliest. Stadtschreiber José Oliver umarmt sie und überreicht ihr dann sein Geschenk. Es ist ein Gedicht mit seinen Wünschen für Dragi, das Publikum und den Abend. „ins Lächeln stolpern/ dem eigenen Schatten ein Schnippchen schlachen/ Freunde/ Freude/ Liebende/ eine gut Flasche Wein/ & die Gesundheit/ zu Tisch bitten“.
Stadtschreiber José Oliver überreicht Dragica Laschitsch, der Wirtin des Gasthauses „Zur Alten Post“ ein Gedicht mit Wünschen für sie und ihre Gäste. © Rainer RüfferDas Lachen weckt die Nachbarn auf: „Dragis markantes Lachen“
Normalerweise ist Mittwoch Dragis freier Tag, das Wirtshaus „Zur Alten Post“ hat Ruhetag. Für den Stadtschreiber macht sie eine Ausnahme. Es ist warm im Gastraum. Es riecht nach Schnitzel und Bratkartoffeln und die Tische sind voll besetzt. Ein Pärchen erzählt, dass es die Alte Post an der Marktstraße seit mehr als 40 Jahren besucht. Er spricht von „Dragis markantem Lachen“. Der Mann gegenüber erzählt, er sei eines Nachts bei offenem Fenster gar mal von ihrem Lachen geweckt worden. „Wir hatten überlegt, ob Dragi nach 22 Uhr das Lachen verboten werden sollte.“ Es ist ein Scherz. Dragi sei „ein Stück Heimat“, sagt einer von ihnen.
Stadtschreiber José Oliver seit einigen Wochen Stadtschreiber von Bergen-Enkheim
Auch für José Oliver ist das Wirtshaus ein Ort des Wohlfühlens geworden. Vor anderthalb Monaten ist er Stadtschreiber geworden. ,,Umarmend“, fühle es sich hier an, sagt er. In das Gasthaus hat er zu einer „literarisch kulinarischen Begegnung“ eingeladen. Es gibt deftiges Essen und Literatur. So einfach.
,,José Oliver wirkt sehr locker, er wirkt nicht fremd“, beschreibt eine der Gäste ihren Eindruck vom Neuen im Stadtschreiberhaus. Mit offenem karierten Hemd, schwarzer Hose ist er gekommen. Massive Silberringe trägt der Künstler. Drei an der linken Hand, zwei an der Rechten. In der Pause zwischen Essen und Erzählungen geht der 64-Jährige nach draußen zum Rauchen. Er lehnt an dem Stehtisch. Ein Gast hat ein Buch mitgebracht und bittet um ein Autogramm. Oliver schreibt die ganze Seite voll.
Stadtschreiber erzählt von eigener Vergangenheit
Nach dem Essen erzählt Oliver von seiner Vergangenheit. Er spricht von der Weisheit seines Vaters, dass der Kühlschrank immer voll sein müsse. Von der Paella, die er als Kind nicht zu schätzen wusste und mit seinen Geschwistern aus dem Fenster geworfen hatte. Oliver ist 1961 in Hausach im Schwarzwald geboren. Seine Eltern waren von Spanien nach Deutschland ausgewandert. Er ist das älteste von vier Kindern. Während Dragi noch Teller mit Klößen und Rotkraut zwischen den Tischen balanciert, spricht Oliver von seinem Großvater. Er hatte ein Boot. Mit ihm war er so weit raus aufs Meer gefahren, bis sie die Lichter an der Küste nicht mehr sahen.
Vormittags ging Oliver zur deutschen Schule. Am Nachmittag war er beim Spanischunterricht. Der Sprachmischmasch habe für Chaos im Kopf gesorgt. „Ich fing an zu schreiben über all das, was ich nicht verstanden habe.“
Stadtschreiber liest aus unveröffentlichtem Werk vor
Aus seinen noch unveröffentlichten Werk ,,Gaumengarten“ liest er vor. Eingeleitet mit: „Nehmen Sie alles sehr ernst, was Sie jetzt hören werden“. Es folgen Gedichte über Birnen, Paprikas, Knoblauch und Bananen. Der Stadtschreiber spielt mit den Möglichkeiten der deutschen Sprache.
Gegen 22 Uhr endet der literarisch-kulinarische Teil, aber nicht die Begegnung. Oliver setzt sich zu seinen Gästen an den Tisch. Dragi serviert weiter Getränke. Einen „gelungenen Abend“, wird sie die Veranstaltung am nächsten Tag am Telefon nennen. Ihr neues Gedicht im Bilderrahmen will sie in die Gaststätte hängen. (Frederike Leger)
Der Schriftsteller Clemens Meyer war auch einst Stadtschreiber von Bergen-Enkheim.