11.10 Uhr, Abnorm Studio in der Christophstraße: Der Concept Store in der Stuttgarter Innenstadt hat seit zehn Minuten geöffnet. Hier treffen sich Kreativschaffende und Kunststudenten oder die, die es gerne wären. Eleni Sismanidou kennt sie alle, ist selbst Stammkundin. Während sie an ihrem Lungo nippt, wechselt sie ein paar Worte mit den ersten Kunden. Sie ist aufgeregt. Grund ist ihre bevorstehende Ausstellung in der Staatsgalerie. Letzte Einladungen werden ausgesprochen, „viel Erfolg“ gewünscht.
Sismanidou, die mit 13 Jahren ihr Alter Ego „Sismalena“ erschuf, stammt aus einer Arbeiterfamilie. Die Großeltern kamen als griechische Gastarbeiter nach Stuttgart. Die gebürtige Untertürkheimerin, deren Herz schon immer für die Kunst schlägt, entscheidet sich, Deutsch und Kunst auf Lehramt zu studieren. Lehrerin ist für die Eltern ein solider Beruf, mit der Bezeichnung Künstlerin können sie wenig anfangen.
Künstlerinnen werden in den sozialen Medien häufig sexualisiert
„Noch heute fragt meine Mutter mich immer wieder, wann ich denn endlich als Lehrerin arbeiten werde“, sagt Sismanidou. Ganz vom Tisch sei das Thema noch nicht aber für die 27-Jährige ist der Lehrerberuf eher ein Plan B. „Ich will die Stuttgarter Kunstszene mitgestalten, ich will aktiv sein.“ Das ginge bei einem Vollzeitjob als Lehrerin nicht. Inzwischen hat sie ihr Studium an der Universität Stuttgart und der Kunstakademie abgeschlossen und ist im Weißenhof-Programm der Bildenden Kunst aufgenommen.
Sismalena beschäftigt sich in ihrer Kunst mit den sozialen Medien und damit, wie sie die Selbstdarstellung von Künstlerinnen beeinflussen. Sie zeigt in ihren Arbeiten, wie Identität heute entsteht und wie Frauen in der Kunstszene gesehen werden – besonders auf Plattformen wie Instagram oder Tiktok. Dort werden Künstlerinnen oft nach Klischees beurteilt, ihr kreativer Prozess wird sexualisiert oder nicht ernst genommen. „Bei mir als Künstlerin steht oft mein Körper im Vordergrund. Wenn ich auf Instagram ein Foto von einem neuen Werk und mir poste, wird auch immer mein Aussehen kommentiert.“
Dieses Werk ist aktuell in der Stuttgarter Staatsgalerie zu sehen. Foto: Elliott
Um dem zu entgehen, macht Sismalena ihre Kunst selbst zum Fetischobjekt, gießt zum Beispiel eine Leinwand aus Silikon und legt sie in eine Sexschaukel. Sie spielt mit einer übertrieben „sexy“ Ästhetik, um sexistische Muster sichtbar zu machen und zu hinterfragen. So steht ihre Kunst im Mittelpunkt und nicht mehr ihr Körper.
Absolventen der Kunstakademie Stuttgart stellen in der Staatsgalerie aus
700 Euro kostete die Leinwand aus Silikon. Viel Geld, wenn man keine reichen Eltern hat, die einem die Kunst finanzieren. Sismalena, die seit vier Jahren im Stuttgarter In-Café Tatti arbeitet, fasst daraufhin den Entschluss: „Ich brauche mehr Trinkgeld.“ Sie bedruckt ein weißes T-Shirt mit der Aufschrift „Tip me for silicone“. Sie meint ihre Silikon-Leinwand, Kunden denken, sie will sich die Brüste machen lassen. In jedem Fall klappt es. Sismalena trägt ihr Shirt hinter der Bar und bekommt ausreichend Geld für ihre Leinwand zusammen – und bestätigt gleichzeitig die Sexualisierung des Frauenkörpers, die sie mit ihrer Kunst kritisieren will.
Die Stuttgarter Kunstszene beschreibt sie als klein, was aber ein Vorteil sei. Es gebe nur wenige Orte für junge Künstlerinnen und Künstler, daher kenne man sich und wisse, wo man hingehen müsse, um die wichtigen Leute zu treffen. Zum Kaffee ins Abnorm Studio, abends in die Uhu-Bar. Die Nektar Galerie und der Projektraum Ostend seien zwei der wenigen Galerien, die von aktiven Künstlern betrieben werden. Sismalena sieht aber auch eine Entwicklung in Stuttgart: „Die Szene wird immer hotter.“ Und sie will mittendrin sein. Vom 17. bis 26. Oktober zeigt sie gemeinsam mit anderen Absolventen der Kunstakademie Stuttgart eine Auswahl ihrer Werke in der Stirling-Halle der Staatsgalerie.