Manche Dinge sind so selbstverständlich, dass man sie erst dann wahrnimmt, wenn sie nicht mehr da sind. „Dann weiß man, dass etwas da war, aber man sieht es nicht mehr. Es ist wie ausgelöscht“, sagt der Biotechnologe und Fotograf Philipp Graf. Ihm passiert das zwar immer noch, aber selten. Immerhin hat er vor bereits 16 Jahren mit Martin Frey, der hauptberuflich als Grafiker arbeitet, damit begonnen, Wiener Geschäftsportale zu fotografieren.

Es gehe ihnen dabei nicht um den nostalgischen Blick, sondern darum, Momentaufnahmen der Stadt zu zeigen, und damit auch, wie sie sich verändert. Denn manchmal verschwindet zwar ein Geschäft, was zumindest für die Kundschaft oft schade ist. Aber sehr oft entstehe dabei Neues.

Das Kindermodengeschäft Süsses Mädl in der Rotenturmstraße gibt es nicht mehr. Jetzt werden hier Gummibärchen verkauft.

Das Kindermodengeschäft Süsses Mädl in der Rotenturmstraße gibt es nicht mehr. Jetzt werden hier Gummibärchen verkauft.  Philipp Graf

Neues kommt. Manchmal sogar auch das gleiche, nur eben in neuer Version, wie die beiden stolz bei einer Fotografie eines Geschäfts in der Breitenfurter-Straße zeigen. Auf einem Foto ist das Portal eines Friseurs (Haarmoden Rabl) zu sehen, das in den 1980ern stehen ­geblieben zu sein scheint. Auf einem weiteren ist derselbe Standort zu sehen. Allerdings steht hier nun ein Neubau, in dessen Erdgeschoss ebenfalls ein Friseur und Nagelstudio untergebracht ist. „Als wir das fotografiert haben, ist die Dame rausgekommen und wollte wissen, was wir da machen“, erinnert sich Frey. Also erzählten sie von dem Projekt und die neue Inhaberin war ganz erstaunt, dass sich hier schon einmal ein Friseur befunden hat. „Die wusste das gar nicht.“

„Geschäft mit Geschichte“ im Kino und als Ausstellung

Frey und Graf sind mit ihren „Geschäften mit ­Geschichte“, wie sich das Fotoprojekt nennt, immer wieder in der Stadt unterwegs. Derzeit mit einer neuen Ausstellung im Café El Speta im sechsten Bezirk oder aber auch mit ihren Fotobüchern bei der Vienna Art Book Fair. In der Vergangenheit haben sie auch schon, gemeinsam mit dem Wien Museum, Stadtführungen abgehalten, bei denen zu den porträtierten Geschäften geführt wurde. Wichtig war ihnen dabei auch hinein zu gehen und mit den Inhabern zu plaudern. Daraus sind in späterer Folge Kurzfilme entstanden, in denen die Geschäfte porträtiert werden und die am heutigen Sonntag in den Breitenseer Lichtspielen zu sehen sind.

Den Optiker Meller in der Gersthofer Straße gibt es nicht mehr.

Den Optiker Meller in der Gersthofer Straße gibt es nicht mehr.  Philipp Graf

Generell geht es ihnen nicht um einen musealen Blick auf die Geschäfte, sondern darum, sie in ihrer Funktionalität zu verstehen. Wenn sich etwas verändere, weil es eben so nicht mehr ­gebraucht werde, habe das seine Berechtigung. „Es geht uns auch sehr um die Gleichwertigkeit. Deshalb haben wir einen Lobmeyr in der Innenstadt genauso fotografiert wie eine Änderungsschneiderei im 22. Bezirk“, sagt Graf.

Wobei die beiden einen Fokus auf ­ältere Geschäfte haben, beginnend von der Jahrhundertwende bis hin zu den 1950er-, 60er- und teils in die 80er-Jahre hinein. Ausgenommen sind jüngere Geschäfte, die im Rahmen eines Projekts zu Neuübernahmen gezeigt wurden.

Die Hälfte der Geschäft gibt es nicht mehr

Etwa die Hälfte der fotografierten Geschäfte – vom Eisenwarenhandel über die Drogerie bis zum Romantauschgeschäft – gibt es heute nicht mehr, erzählen die beiden, die auch epochale oder branchenübliche ­Gemeinsamkeiten beobachtet haben. Geschäftsportale aus der Zeit der Jahrhundertwende sind oft sehr aufwendig gemacht, etwa mit Metalllettern oder mit kunstvollen Holzportalen. „Früher hat man ein Geschäftsportal für die Ewigkeit konzipiert, da ist man davon ausgegangen, dass es über Generationen halten muss“, sagt Graf. Heute hingegen sei vieles schnelllebiger und auch austauschbarer. Da werde eher mit LED-Schriftzügen oder Klebefolien auf ein Geschäft aufmerksam gemacht.

Das Hutgeschäft Maurer auf der Mariahilfer Straße.

Das Hutgeschäft Maurer auf der Mariahilfer Straße.  Martin Frey

Was die Branchen betrifft, sei auffällig, dass sich Fleischhauereien auch von außen gerne mit Fliesen schmücken, was wohl Sauberkeit vermitteln soll. Friseure haben (oder hatten) ein Faible für Mosaikfliesen, mit denen kunstvolle Muster gesetzt werden. Und Zuckerlgeschäfte machen oft mit einer runden, schwungvollen, „schönen“ Schrift auf sich aufmerksam.

Eingänge sind heute manchmal schwer zu finden

Der Eingang eines Geschäfts ist heute oft beinahe versteckt. Während früher ein Portal hineingeführt hat und die Eingangstür ein bisschen ins Innere versetzt war, gibt es heute meist eine durchgehende Glasfront, bei der die Tür lediglich durch einen langen, senkrechten Stoßgriff gekennzeichnet ist. Manchmal wird dann mit Displays, Blumen oder Gegenständen vor der Tür auf den Eingang hingewiesen.

Und noch etwas ist aufgefallen: Mancherorts geht man dazu über, Portale, die das Geschäft mit Schaufenstern und Tafeln verkleidet haben, zu entfernen und wieder die Grundstruktur des Gebäudes zu zeigen. Graf und Frey ist das alles recht. „Hauptsache das Erdgeschoss ist belebt und es ist keine Garageneinfahrt daraus geworden.“

Termine

Die Ausstellung „Graf und Frey‘s Geschäfte mit Geschichte. Eine fotografische Reise zu Wiener Traditions­geschäften“ läuft von 18.10. bis 15.11. im Café El Speta (6., Hofmühl­gasse 23).

Kino. Am 19. Oktober sind die „Geschäfte mit Geschichte“ in acht Kurzfilm-Portraits in den Breitenseer Lichtspielen zu sehen (20 Uhr; 14., Breitenseer Straße 21).

Die Fotobücher sind auch bei der Vienna Art Book Fair (bis 19. Oktober) auf der Angewandten zu sehen (3., Vorderer Zollamtsstraße 7).

Alle Infos und Termine unter geschaefte-
mitgeschichte.at