„Gibt’s hier was umsonst?“ Der Passant, der über die lange Warteschlange in der Eberhardstraße staunt, gehört offenbar nicht zur Zielgruppe. Die anderen jedoch, die sich geduldig unter den Arkaden einreihen, miteinander ins Gespräch kommen und Erfahrungen austauschen, wissen ganz genau, warum sie sich die Zeit nehmen: Weil hier gleich „Stuttgarts erste vegane Fleischerei“ eröffnet wird.

„Ich freue mich riesig drauf“, sagt Tamara (52) strahlend. Sie lebt schon lange vegetarisch und hat dann konsequent den Schritt weiter zur veganen Ernährung getan. „Es war Zeit für dieses Geschäft und ist das richtige Zeichen, denn man kann sich auch ohne tierische Produkte sehr gut ernähren“, stellt Isabelle (39) fest. Sie weiß bereits, was sie sich gleich gönnen wird und wie es schmeckt: „Einen Leberkäswecken. Er ist hervorragend, ich habe es schon in München und Leipzig verkostet.“ Und dann schneidet Inhaber Andreas Holz mit seiner Frau Sonja und Sohn Marvin das schwarze Absperrband durch, und das Gedränge vor der reich gefüllten Theke wird beängstigend. Auch Ex-VfB-Torwart Timo Hildebrand guckt mit Björn Boltz, dem Geschäftsführer seine veganen Restaurants VHY („In Plants we trust“), vorbei.

Wer täuscht wen?

Was darf es sein? Das Sortiment in dem weiß gekachelten Geschäft, ganz wie eine klassische Metzgerei, aber mit dem unübersehbaren Spruch „Friends no Food“, lässt keine Wünsche übrig. Nur die Bezeichnung irritiert ein wenig: „Keine Bärlauch-Bratwurst“, steht auf dem Schildchen. Oder „Kein Burger“. Und auch „kein Hack“, „kein Schnitzel“ und „kein Steak“, aus dem ein „Blutstropfen“ herausquillt, der aber Rote-Rüben-Saft ist. Wie äußern die Kunden dann ihre Wünsche? „Bitte einmal kein Steak?“ Andreas Holz lacht: „So genau nehmen es die Kunden nicht, man wird sich immer einig.“

Der Andrang bei der Eröffnung war groß. Foto: Andreas Rosar Fotoagentur-Stuttg

Wichtig sei die Information, dass hier kein tierisches Produkt verarbeitet werde, sondern pflanzliche Stoffe wie Seitan, ein Getreideprotein, Erbsenprotein oder Soja die Grundlagen sind für Leberkäs, Lyoner, wahlweise mit Paprika oder Petersilie, oder Salami. Für den Geschmack sorgen, so Holz, die gleichen Gewürze, wie sie auch der Metzger verwendet. Auf den Vorwurf von der Landesinnung des Fleischerhandwerks, hier werde Verbrauchertäuschung betrieben, wird Holz deutlich: „Wenn ein Landwirtschaftsminister wie der amtierende Alois Rainer sagt, dass Fleischkonsum nichts mit Umweltzerstörung zu tun hat, dann ist das Verbrauchertäuschung.“

Gespräch mit Freunden sorgt für Umdenken

Das Geschäft in Stuttgart, das erste in Baden-Württemberg, ist nach Dresden, München, Leipzig, Berlin, Hamburg und Köln bereits die siebte Filiale des Unternehmens Meatless GmbH, das Nils Staiger und Andreas Henning 2023 als Manufaktur in einer ehemaligen Bäckerei in Dresden gegründet haben. „Mittlerweile“, so Andreas Holz, der Stuttgarter Franchisenehmer, „hat der Chefkoch Daniel Quiss mit seinem Team an Lebensmitteltechnikern und einer Ökotrophologin die Produkte so perfektioniert, dass man wirklich keinen Unterschied mehr zu Fleisch und Wurst schmeckt.“ Der 54-Jährige aus Backnang gibt zu, dass ihm das auch persönlich wichtig sei: Er sei in der Corona-Zeit zur veganen Ernährung übergegangen, ein Gespräch mit Freunden über deren Bedeutung für Umwelt, Ressourcen und Gesundheit habe ihm zuerst zu denken gegeben und dann überzeugt: „Als ich auf Borkum einen Fisch vor mir auf dem Teller liegen hatte, ist die Entscheidung gefallen.“

Den Geschmack von Wurst und Fleisch habe er dennoch nicht missen wollen, und genau den lieferten heute die Produkte der veganen Fleischerei dank der fortgeschrittenen lebensmitteltechnischen Entwicklung und vieler Gewürze. Seine Überzeugung für die Alternative hat nicht nur zu einer neuen und zweiten beruflichen Orientierung geführt – Holz ist eigentlich Personalleiter in einem Backnanger Maschinenbauunternehmen – sondern auch zu optimalem Blutdruckwerten, wie er stolz erzählt.

Auf der Eberhardstraße, die mit dem Geschäft Meat Club ein paar Häuser weiter auch noch die tierische Alternative bietet, wird die Schlange immer länger. Tamara und Isabelle haben da schon längst mit Hochgenuss ihre Wecken mit „kein Leberkäs“ gefuttert.