1984 erscheint das erste Kinderbuch über den alten Pettersson und seine Katze Findus. Gut 40 Jahre später ist ihr Erfinder Sven Nordqvist selbst ein alter Mann. Im nächsten Jahr feiert er seinen 80. Geburtstag. Bevor es so weit ist, treffen wir ihn in seiner Stockholmer Wohnung, die eine noch buntere Wunderkammer ist als Petterssons Küche. In der Zimmerpalme sitzen Plüsch-Affen und auf jeder freien Fläche liegen seltene Steine, Federn, Schiffsmodelle und Tierschädel. Bei einem Kaffee in der guten Stube sprechen wir über Nordqvists kreatives Leben.

Herr Nordqvist, woran arbeiten Sie gerade?

Ich sitze an Bildern für ein Computerspiel. Der Hersteller mochte meine Bücher „Spaziergang mit Hund“ und „Wo ist meine Schwester“, große Panoramen mit vielen Details. Er hatte die Idee, einen Jungen durch verschiedene Welten zu schicken, in denen er dann Dinge finden und Rätsel lösen muss. Wir sind noch ganz am Anfang. Ich entwerfe gerade die erste Szene und wir denken darüber nach, was für Spiele man einbauen kann.

Den Erfindungsgeist teilen Sie mit Ihrer Figur Pettersson. Ich glaube, Sie haben nicht nur digitale Spiele entwickelt, sondern auch Maschinen und Klettergeräte aus Holz gebaut?

Als wir auf dem Land lebten, hatte ich eine Tischlerwerkstatt. Gemeinsam mit einem Freund, der auch Illustrator ist, haben wir eine alte Mühle zu einem mehrgeschossigen Spielhaus umgebaut, in dem man rumklettern kann. Es gibt auch eine komplizierte Holzspieluhr mit vielen Zahnrädern, die Monstermaschine. Da schiebt sich ein Untier aus einer Kiste und kriegt dann von einer kleinen Frau einen Besen über den Kopf gezogen. Ich habe auch Wandgemälde und Reliefs für ein Kinderkrankenhaus gemacht. Fotos einiger dieser Arbeiten werden Ende des Jahres in Karlsruhe ausgestellt.

Ich habe gelesen, dass Ihr Großvater geschrieben hat und auch ein guter Aquarellist war. Können Sie etwas über seinen Einfluss auf Ihre Kunst erzählen?

Als wir klein waren, haben wir immer mal wieder eine Woche bei ihm verbracht, mein Bruder, ich und fünf Cousins. Er hatte ein großes Haus und gern Kinder um sich. Mein Großvater hat geschrieben, aber keine Geschichten wie ich, sondern politische und philosophische Essays. Er hat eine kleine Zeitschrift herausgegeben, in der er wütende seine Ansichten verbreitet hat. Und es stimmt: Er war ein ausgezeichneter Aquarellist.

Was hat er gemalt?

Er saß draußen in der Natur und hat noch die kleinste Blume gemalt. Dass ich mich fürs Malen interessiert habe, gefiel ihm. Er hat mich ermutigt weiterzumachen. Ich weiß noch, wie sehr mich sein Set mit Buntstiften beeindruckt hat. Ich wollte unbedingt auch so eins haben, aber es war sehr teuer. Und dann hat er mir die Stifte zu Weihnachten geschenkt, 20 oder 30 Stück. Er hatte selbst nicht viel Geld. Das war etwas Besonderes.

Und eine gute Investition war es auch.

Stimmt. Heute benutze ich keine Buntstifte mehr, aber damals habe ich gern damit gezeichnet. Noch wichtiger war, dass er sich für meine Bilder interessiert hat. Wenn man Kinder in dem unterstützt, was sie von selbst machen, erreicht man viel mehr als mit Strafen für das, was sie nicht tun. Ich habe schon immer gezeichnet, wie alle Kinder. Der Unterschied war nur, dass ich drangeblieben bin. Die meisten hören auf, wenn sie merken, dass sie nicht gut sind.

Ihre Bücher strotzen von versteckten Details. Muss man ein Perfektionist sein, um das Chaos in Petterssons Küche zu zeichnen?

Ich zeichne sorgfältig. Es soll richtig aussehen. In dem Sinne bin ich ein Perfektionist. Ich habe auch Sachbücher illustriert, zum Beispiel über die Wikinger. Und da möchte ich, dass alles genauso aussieht wie in der Wirklichkeit – zum Beispiel die Oberfläche eines Metall- oder Holzobjekts. Die Pettersson-Bücher sind nicht so schwer zu zeichnen. In der Regel nehme ich den ersten Entwurf. Kompliziert wird es höchstens, wenn Bewegung im Bild ist – dann mache ich vorher vielleicht ein paar Skizzen. Ich fange immer bei den Figuren und der Szenerie an und zeichne, was der Text vorgibt. Und dann entstehen all die kleinen Details. Mit der Zeit wird es immer kniffliger. Jedes Pettersson-Buch soll dieselbe Atmosphäre haben, mit all den Mucklas, die da so leben. Aber ich will mich auch nicht wiederholen und denselben Witz zweimal machen. Es wird schwieriger, auf was Neues zu kommen.

Beim ersten Pettersson-Buch waren Sie 38 Jahre. Sind Sie seitdem selbst der alte Mann geworden, den Sie sich damals ausgedacht haben?

Ich habe ihn mir eigentlich nicht ausgedacht. Als Pettersson entstanden ist, habe ich aus mir selbst geschöpft. Das Einfachste war, ihn so sein zu lassen wie mich. Und im Innern bleibt man ein Leben lang derselbe. Auch wenn ich jetzt bald 80 Jahre bin. Mir wird nur mehr und mehr bewusst, dass mir nicht mehr so viele Jahre bleiben. Aber davon abgesehen, verändere ich mich nicht wirklich. Pettersson und ich sind eins und das schon, seit ich 40 bin.

Und Findus? Ist der Kater eine andere Seite Ihrer Persönlichkeit?

Nicht von meiner. Die meisten meiner Pettersson-Bücher sind entstanden, als ich kleine Kinder im Haus hatte. Mein erster Sohn hat mich inspiriert. Er war drei Jahre alt, als ich das zweite Pettersson-Buch gemacht habe. Beim ersten habe ich noch an eine Katze gedacht – aber danach immer an ein Kind. Als meine Kinder groß waren, ist es mir schwerer gefallen, neue Bücher zu schreiben – weil mir Vorbilder fehlten.

Können Sie sich trotzdem vorstellen, die Reihe noch mal fortzusetzen? Der letzte Band ist schon über zehn Jahre her.

Ich glaube nicht. Wie gesagt: Es ist schwer, noch mal eine neue Geschichte zu entwickeln. Wobei – naja, … also es ist so: Wenn unser erstes Enkelkind ein paar Jahre alt ist, kommen mir vielleicht doch noch mal neue Ideen für Findus.

Ihre beiden Kinder sind Söhne. Ist das der Grund, warum Findus ein Kater ist?

Ich glaube schon, aber es macht auch keinen großen Unterschied. Ein fünfjähriger Junge verhält sich nicht viel anders als ein fünfjähriges Mädchen. Sie lachen, weinen und toben gleich. Wenn manche Leute Unterschiede zwischen Menschen aus unterschiedlichen Ecken der Welt sehen wollen, muss man sich nur die Kinder angucken: Kinder sind überall gleich.

Meine Kinder können immer noch die Stimmen nachmachen, mit denen ich ihnen Mama Muh und die Krähe vorgelesen habe. Haben Sie beim Vorlesen auch die Figuren nachgeahmt?

Nein, beim Vorlesen bin ich ein Langweiler. Ich mache nicht gern einen anderen aus mir.

Pettersson kam zu seinem Kater, weil eine Nachbarin ihm gegen die Einsamkeit ein Haustier geschenkt hat – in einem Pappkarton mit der Aufschrift „Findus grüne Erbsen“. Hätte da auch ein Hund drin sein können?

Nein, ich mochte Katzen immer lieber. Als ich noch allein lebte, hatte ich selbst eine, immer nur eine zur Zeit, das aber mehr oder weniger durchgehend, seit ich 20 war. Mir gefällt, dass sie sanft und anschmiegsam sein können, aber auch rausgehen, ihr eigenes Leben führen und für sich selbst sorgen. Hunde sind so bedürftig. Die wollen Aufmerksamkeit und das mag ich nicht. Aber wer weiß – wenn ich wie Pettersson allein auf dem Land leben würde, hätte ich vielleicht auch einen Hund. Sie sind gute Kameraden, fast wie ein Mensch.

Zumindest im Sommer leben Sie auf einer Insel in den Schären vor Stockholm. Ist Ihr Haus dort ein Vorbild für Petterssons Hof gewesen?

Wollen Sie es sehen? Bitte schön!

(Nordqvist zeigt das Foto eines der typischen roten schwedischen Holzhäuser.)

Es ist ein altes Haus, aber es war kein Vorbild für meine Bücher. Schweden ist voller kleiner roter Häuser. Ich habe im Kopf, wie sie aussehen.

Wir sieht es im Haus aus?

Ich habe ein Zimmer dort, das wie mein Arbeitszimmer hier in Stockholm aussieht, mit meinen Bildern, mit lauter alten Dingen. Ich umgebe mich gern mit alten Sachen, mit Dingen, die ich in der Natur finde, mit Knochen und Schädeln von Tieren, mit alten, fremdartigen Werkzeugen. Ich mag Dinge, von denen ich nicht weiß, was sie sind. Meine Farben sind auch da, an der Wand hängen Skizzen und ein Leserbrief von einem Mädchen. Es sieht eigentlich genau wie hier aus, nur ein bisschen kleiner.

Was für Tiere leben auf der Insel?

Manchmal sieht man einen Elch. Einmal stand eine Elchkuh mit ihren zwei Kälbern bei uns im Garten, nah beim Haus. Hirsche gibt es auch.

In Ihren Büchern gibt es die Mucklas, kleine Wesen, die zu Füßen der Menschen einen eigenen Mikrokosmos bewohnen – so wie der Elch, der Ihren Garten für seinen Garten hält. Haben Sie diese Idee der Natur abgeschaut: dass wir alle gemeinsam in verschiedenen Welten leben, die sich überlagern?

Wir sind alle Teil der Welt von anderen. Aber ich weiß nicht, ob ich beim Zeichnen so viel nachdenke. Ich hab einfach Ideen, und wenn sie nicht zu verrückt sind, verwende ich sie. Die Mucklas sind natürlich tief in das Leben von Pettersson und Findus verwickelt, vor allem in das von Findus. Er ist der einzige der sie sieht. Für ihn sind sie wichtig. Es sind Freunde.

Hand auf Herz: Gibt es die Mucklas in echt?

Manchmal stelle ich mir vor, dass Dinge um mich herum passieren. In der Tischlerei sind mir oft Schrauben und anderes verschwunden, die ich dann stundenlang suchen musste. Es ist ein naheliegender Gedanke, dass da kleine Wesen dahinter stecken, die meine Sachen klauen. Es ist nur eine Fantasie, aber der Gedanke gefällt mir.

Die Pettersson-Geschichten sind Ihre bekanntesten Bücher, aber das beste – haben Sie mal gesagt – ist das Bilderbuch „Wo ist meine Schwester“. Warum gerade das?

Schon als ich es gemacht habe, hatte ich das Gefühl: Jetzt mache ich das Beste, was mir möglich ist. Ich habe sehr lange an jedem Bild gesessen. Das Buch hat mich anderthalb Jahre gekostet – wobei ich in der Zeit auch andere Arbeiten gemacht habe. Ich habe pedantisch an jedem Detail gearbeitet und Techniken verwendet, die ich nicht so oft einsetze, Airbrush zum Beispiel. Um etwas blau zu färben, muss man alles andere abdecken, was nicht blau werden soll – und das war nur eine von vielen komplizierten Ideen. Und am Ende hatte ich das Gefühl, dass es gelungen ist – die Zeichnung, die Farben und auch die Fantasie dahinter. Ich war glücklich damit und mit ein paar Jahren Abstand sind mir die Bilder noch wichtiger geworden.

War es schwer, danach etwas Neues anzufangen? Ich habe gelesen, dass Sie eine Art Schreibblockade hatten.

Ich erinnere mich nicht mehr so genau. Aber so wird es wohl gewesen sein. Nach einer Zeit hat mich das Nichtstun dann gelangweilt und ich habe ein neues Pettersson-Buch gemacht.

Wie schön wäre es, wenn das noch einmal passiert. Wir warten auf das Enkelkind und seine inspirierende Wirkung. Vielleicht bekommt Findus ja noch einen Bruder.

Das Enkelkind ist ein Mädchen. Und wie gesagt: Ich möchte mich nicht wiederholen.

Wenn es nach den Verlegern ginge, wäre das vermutlich egal – solange nur in jedem Herbst ein neues Buch erscheint. Machen die keinen Druck?

Sie haben es versucht, besonders mein deutscher Verlag. Dort entwickeln sie gern Ideen für neue Bücher, kleinere Projekte für jüngere Kinder, die sie einfach mit alten Bildern illustrieren wollen. Die Pettersson-Bücher machen Geld und sie wollen mehr davon. Wenn es Wimmelbücher sind oder Bücher zum Lernen von Zahlen, ist das auch in Ordnung. Aber der Gedanke, alte Arbeiten wieder und wieder zu verwenden, und das für neue Geschichten, gefällt mir nicht. Also mache ich Zeichnungen am Ende doch wieder selbst. So haben sie mich schon ein paar Mal dazu gebracht, neue Bücher zu machen.

Ihre Bücher wurden auch mehrfach verfilmt. Die Figuren gibt es als Merchandising-Artikel. Haben Sie solche Projekte auch mal abgelehnt?

Ich kann Nein sagen, wenn mir etwas nicht gefällt. Bei der ersten Anfrage für eine Verfilmung war ich aber einfach geschmeichelt. Animationsfilme habe ich als Kind geliebt. Mir wurde erst später klar, dass das auch Merchandising bedeuten würde. Für ein paar Jahre war das ein großes Problem für mich, eigentlich bis heute. In Schweden wurde akzeptiert, dass mir nicht jeder Vorschlag gefiel. In Deutschland wurden viele Sachen produziert, die ich nicht mochte. Ich wollte nicht, dass Findus auf irgendein Plastikprodukt gedruckt wird, was auch immer. Findus-Spielsachen sollten etwas Besonders sein – etwas, das in Petterssons eigenes Haus passen würde. Am Anfang war ich noch streng und habe Pettersson nicht mal auf einem Malblock akzeptiert. Inzwischen habe ich mich daran gewöhnt. Es gibt Pettersson und Findus auf Tassen und Anziehsachen. Was soll’s. Ich bin entspannter. Freie Hand kann ich ihnen aber nicht lassen, sonst würden sie den Markt mit Pettersson fluten.

Haben Sie je darüber nachgedacht, Pettersson sterben zu lassen und eine letzte Geschichte über seinen Tod zu schreiben?

Nachgedacht habe ich darüber. Aber ich möchte das nicht machen. Ich wüsste nicht, warum. Es ist eine Fantasiewelt. Pettersson und Findus werden nicht älter. Auch wenn Jahrzehnte zwischen den Büchern liegen, sind die beiden immer dieselben. Und so sollte es auch sein.